"Verschollener" Arzt erklärt sein Verschwinden

Bad Oeynhausen. Frank Eßers wagt den Neuanfang. Der Orthopäde, dessen mysteriöses Verschwinden im Wiehengebirge Ende Septemer tagelang für Schlagzeilen gesorgt hatte, wird seine (auch kassenärztliche) Praxistätigkeit am Dienstag, 12. Januar, wiederaufnehmen. Allerdings deutlich anders. "Die vier Tage im Wald waren entscheidende Warnsignale", ist er überzeugt. Mittlerweile ist es ihm gelungen, das Geschehen zu rekonstruieren und mit Hilfe eines Therapeuten Konsequenzen zu ziehen. Bevor er ab Montag Fragen seiner Patienten beantwortet, berichtet er nw.de in einem Exklusivgespräch. Am Sonntag, 20. September 2020, war der 52-Jährige Arzt und Orthopäde mit seinem Mountainbike zu einer Tour aufgebrochen, aber nicht wieder heimgekehrt. Seine Ehefrau Ute Gleichman hatte daraufhin zunächst eine private Suche gestartet, die dann durch eine Großaktion der Polizei ersetzt wurde. Am Montag durchkämmte eine Hundertschaft eine Fläche auf der Nordseite des Wiehengebirges – und fand nichts. Dienstagmittag wurde dann nach einem Zeugenhinweis das Fahrrad des Bad Oeynhauseners und wenige Meter weiter Helm, Handschuh und Trinkflasche gefunden – alles unversehrt. Danach durchstreifte die Polizei das ganze Gebiet erneut mit Hunden und überflog es mit dem Hubschrauber. Am Mittwoch wurde die Aktion beendet. In der Nacht zu Donnerstag dann die überraschende Wende: Um 0.30 Uhr ging auf der Leitstelle der Polizei ein Hinweis aus dem Johannes Wesling Klinikum ein. Dort hatte man einen Mann aufgenommen, der sich rund drei Stunden zuvor in hilfloser Lage befindend – so die Polizei – an Bewohner eines Hauses im Raum Petershagen gewandt hatte. 40 Kilometer Luftlinie ist das Gebäude vom Fundort des Bikes entfernt. Frank Eßers ist wieder da - unverletzt und ohne dass Ehefrau Ute Gleichmann die 10.000 Euro zahlen muss, die sie für die erfolgreiche Hilfe bei der Vermisstensuche als Belohnung versprochen hatte. Nachts gelaufen, tagsüber ausgeruht "Ich kann mich noch immer nicht an das Geschehen zwischen Sturz und Krankenhausbehandlung erinnern", bestätigt Eßers auch gegenüber nw.de seine damals bei der Polizei gemachte Aussage. Auch, dass er handschriftliche Notizen verfasst und bei sich getragen habe, sei ihm nicht mehr bewusst gewesen. Immerhin ließe sich so das Geschehen rekonstruieren. Nach dem Sturz mit dem Rad habe er sich aufgerappelt, um zu Fuß nach Hause zu gehen. "Weil es abends kühl wurde, bin ich nachts gelaufen und habe mich dann tagsüber in der Sonne ausgeruht", berichtet er. Mit den Energieriegeln, die er vor seiner Tour eingesteckt hatte, habe er sich ernährt. Die Trinkvorräte seien allerdings schnell erschöpft gewesen. "Ich war völlig dehydriert", führt er einen weiteren möglichen Grund für seinen temporären Gedächtnisverlust an. Im Mindener Klinikum wurde der Flüssigkeitsverlust wieder ausgeglichen. Und von diesem Zeitpunkt funktioniere auch sein Gedächtnis wieder, so Eßers. Nach einer längeren Ruhepause daheim begann er mit der Aufarbeitung des Geschehens und holte eine zweite Meinung ein. Denn, so gesteht er, "ich habe schon vor dem Unfall an einem Burn-Out gelitten". Seit August 2019 habe er deshalb bereits seine Praxistätigkeit unterbrochen und therapeutische Hilfe gesucht. "Nach dem Unfall wurde an anderen Stellschrauben gedreht", bilanziert er die Arbeit mit einem neuen Therapeuten. "Ich habe mich ständig überfordert", konkretisiert Eßers. Bis zu 60 Stunden in der Woche habe er beispielsweise in der Praxis gearbeitet. Zusätzliche Kraft habe die Arbeit im kassenärztlichen System gekostet. Eßers: "Da wird enormer ökonomischer Druck aufgebaut". Kassenzulassung wird abgegeben Dem will er sich künftig nicht mehr aussetzen. "Ich kann mich mit dem System nicht mehr identifizieren und werde meine Kassenzulassung zum 31. März voraussichtlich an die Gemeinschaftspraxis Bode/Ziemann abgeben", kündigt er an. Das bestätigt Vanessa Pudlo, Pressesprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe: "Der zuständige Zulassungsausschuss wird im März über eine Nachbesetzung entscheiden". Auch habe der Ausschuss dem Arzt zum 12. Januar wieder die vertragsärztliche Tätigkeit erlaubt. Zur Ruhe setzen will sich der Mediziner nicht, aber seine Arbeitszeit deutlich reduzieren und sie ausschließlich Privatpatienten und Selbstzahlern widmen: "Ich wechsele die Spur", sagt er. Auch sein Tätigkeitsfeld will der Orthopäde bald erweitern. Im Oktober hat er an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld ein berufsbegleitendes Studium "Mikronährstoffe und Regulationsmedizin" aufgenommen und für Ende 2022 den Masterabschluss geplant. Im Nachhinein betrachtet habe die erzwungene Auszeit daher durchaus positive Auswirkungen gehabt, stellt Eßers fest. Auch der Unfall mit dem Bike habe keine Folgen hinterlassen. Das regelmäßige Training habe er längst wieder aufgenommen. Für seine Angehörigen und Freunde sei das Geschehen im Wald möglicherweise belastender als für ihn gewesen. Eßers: "Ich habe daran ja keine Erinnerung".

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