Großbritannien dicht: Bad Oeynhausener Lkw stehen im Stau vor Eurotunnel

Bad Oeynhausen. Gedruffelt hat sich der Verkehr vor dem Eurotunnel in den letzten Wochen schon beständig. Aber: Es ging noch was. "Unsere Fahrer mussten mal fünf, mal neun Stunden warten", berichtet Horst Kottmeyer. Dann aber konnten sie die Insel über den Eurotunnel auch wieder verlassen. Bis Sonntagabend. Seitdem ist der Tunnel dicht. Frankreich verwehrt allen, die aus Großbritannien kommen, die Einreise. Grund ist die neue, vermutlich hochansteckende Mutation des Corona-Virus, das in Großbritannien aufgetaucht ist. "Das kam total überraschend" Am Sonntag um kurz nach 21 Uhr habe er einen Anruf vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) bekommen, dessen Aufsichtsratvorsitzender Horst Kottmeyer ist. Mit der Botschaft: Die Grenzen sind dicht, kein Lastwagen kommt mehr raus aus Großbritannien. "Das kam total überraschend", sagt Kottmeyer, geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Spedition in Bad Oeynhausen. 200 Lastwagen gehören zum Unternehmen. "Davon stehen aktuell 28 im Stau vor dem Eurotunnel", weiß Kottmeyer. Über ein spezielles Computerprogramm kann er genau lokalisieren, wo seine Brummis sich befinden. Und so auch abschätzen, wie lang der Stau vorm Eurotunnel ist. "Das dürften inzwischen so 70 Kilometer sein, die halbe Strecke bis London", so Kottmeyers Erkenntnisse am Montagmittag. "Bedrohlich ist die Lage für die Fahrer nicht, aber nervig" Sein Unternehmen hält beständig telefonischen Kontakt zu den Fahrern. "Die kommen klar", ist Kottmeyer überzeugt. In ihren Fahrerkabinen haben sie einen - hoffentlich - gut gefüllten Kühlschrank mit Lebensmitteln, eine Schlafkabine und Standheizung. "Das sind alles erfahrene Leute. Die kennen lange Staus, von Streiks am Brenner, vom Schneechaos in Österreich", versichert Kottmeyer. "Bedrohlich ist die Lage für die Fahrer nicht, aber nervig." Die Grenzen angesichts der in England aufgetretenen Virus-Mutation vollständig zu schließen, hält der Spediteur für eine Fehlentscheidung. Der Güterverkehr, so Kottmeyer, müsse aufrecht erhalten werden. "Wenn wir unsere Waren nicht am Rollen halten, bricht das System zusammen", fürchtet er. Über den BGL, dem 9.000 Logistik-Unternehmen abgeschlossen sind und dessen "ehrenamtlicher Geschäftsführer" Kottmeyer ist, will der Bad Oeynhausener zwei Dinge einfordern. "Zum einen sollte es für den Warenverkehr einen Korridor zwischen England und dem Kontinent geben", wünscht sich der Spediteur. So wie er im Frühjahr auch bereits durch Österreich eingerichtet wurde, um den Güterverkehr zwischen Deutschland und Italien zu ermöglichen. Zweitens: "Unsere Lkw-Fahrer sollten als systemrelevant eingestuft werden und so mit zu den Personengruppen gehören, die zuerst gegen Corona geimpft werden", so Kottmeyers Forderung. Fünf seiner Brummis aus Bad Oeynhausen sind am Montag noch in die Gegenrichtung, nach Großbritannien hinein, aufgebrochen. "Wir haben allen Fahrern gesagt, was Sache ist", sagt Kottmeyer. Aber auch, wie wichtig die Touren sind. Sein Transportunternehmen liefert vor allem Teile für die Automobilindustrie und den Maschinenbau auf die Insel. Die Aussicht, dass ab dem neuen Jahr der Warenverkehr mit Großbritannien ohne Handelsabkommen womöglich laufen müsste, ist für den Spediteur undenkbar. Dass die Verhandlungen immer noch kein Ergebnis gebracht haben, macht ihn schlicht sprachlos. "Irgendein Abkommen muss es geben. Oder man muss den Status quo eben noch einmal verlängern", sagt Kottmeyer. "Die haben keine Ahnung, wie so was läuft" Ein Brexit ohne Handelsabkommen, das wäre vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen eine schwer zu lösende Aufgabe, ist er überzeugt. Die großen Automobilhersteller auf der Insel, die Kottmeyer beliefert, kämen mit der Zollabwicklung klar. "Wir auch", sagt der Spediteur. "Wir trainieren hier schon am Computer, die entsprechenden Zollpapiere zu erstellen." Und wenn das alles elektronisch geregelt sei, müsse man auch nicht mit großem Zeitaufwand beim Grenzübertritt rechnen. "Wir beliefern aber zum Beispiel auch britische Fensterhersteller mit Kunststoffprofilen", berichtet Kottmeyer. "Und die haben keine Ahnung, wie so was läuft." "Das muss einfach klappen" Ein Nebenaspekt des Brexits: Die Europaletten, auf denen die Waren transportiert werden, müssten im neuen Jahr desinfiziert werden, wenn sie aus Großbritannien wieder in die EU eingeführt werden. "Das sind Paletten, die zigmal hin und hergefahren wurden. Dann aber kommen sie aus einem Drittland und nicht mehr aus der EU." Und unterliegen so anderen Hygienevorschriften. Folge: "Wir sollen noch bis zum Jahresende 10.000 Europaletten aus England abholen", so Kottmeyer. Und dazu nun noch der coronabedingte Mega-Stau vor dem Eurotunnel. Wie lange der dauert, vermag auch der Logistik-Funktionär nicht abzuschätzen. Angekündigt hat Frankreich die Grenzschließung bis Dienstagabend. Doch selbst wenn der Tunnel früher wieder für Lastwagen geöffnet würde, würde es dauern, bis sich der Stau abgebaut hat, weiß Kottmeyer. Müssen seine Leute also damit rechnen, Weihnachten auf einer britischen Autobahn zu verbringen? "Die müssen Heiligabend wieder zuhause sein. Das muss einfach klappen", sagt Horst Kottmeyer.

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