Kreis Minden-Lübbecke. „Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist außer acht gelassen worden", sagt Anwalt Dietrich Wollschläger. Seine Mandantin, eine Kosovo-Albanerin, ist mit ihrer Tochter in ihr Herkunftsland abgeschoben worden – trotz schwerer Erkrankung und trotz eines einstweiligen Abschiebestopps, den das Verwaltungsgericht Minden in einem Eilverfahren verhängt hatte.
Der Rechtsanwalt aus Hannover erhebt schwere Vorwürfe. Im Zentrum seiner Kritik: das Ausländeramt der Stadt Minden und das nordrhein-westfälische Innenministerium. Im März hatte nach einer Verhandlung beim Verwaltungsgericht Minden der zuständige Richter entschieden, dass die Frau mit ihrem Mann und zwei Kindern nicht abzuschieben sei, da die Unterlagen nicht ausreichend seien.
Anwalt erwirkt Aufschub
Erst sollte noch eine Begutachtung von Amtswegen durch das Gesundheitsamt des Kreises Minden-Lübbecke erfolgen. Dies geschah am 1. Juli. Inzwischen war der Richter übrigens in Ruhestand gegangen, was aber weiter keinen Einfluss auf den Lauf der Dinge hatte. Zehn Tage später erhielt der Anwalt am frühen Morgen einen Anruf des Ehemanns seiner Mandantin: In aller Herrgottsfrühe war die Polizei angerückt, um die Familie noch am selben Tag abzuschieben.
Da der minderjährige Sohn nicht zu Haus war, sondern bei Freunden schlief, wurde der Vater losgeschickt, ihn zu holen. Da der Sohn auch dort nicht war, rief der Kosovo-Albaner Dietrich Wollschläger an, der sofort ein Schreiben ans Verwaltungsgericht aufsetzte und im Eilverfahren die Justiz einschaltete. Beklagte war, wie dies notwendig ist, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Außenstelle Düsseldorf. Wollschläger erwirkte den Beschluss, dass seine Mandantin vorläufig nicht abgeschoben werden dürfte – zumindest so lange nicht, bis unter Einbeziehung der Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung über ihren Fall entschieden wäre. „Um 10.45 Uhr habe ich das Fax vom Gericht erhalten", sagt der Rechtsanwalt.
"Ausreichend Zeit, den Flieger zu stoppen"
Er geht davon aus, dass auch das BAMF als Klagegegner und das Ausländeramt der Stadt Minden nahezu zeitgleich das Fax erhielten. Doch statt die Abschiebung sofort zu stoppen und bei der Bundespolizei in Düsseldorf anzurufen, rief ein Vertreter der Stadt lediglich beim Gericht an und teilte mit, dass „die Frau schon unterwegs" sei. „Nachweislich startete der Flieger nach Pristina jedoch erst gegen 13 Uhr", behauptet dagegen der Rechtsanwalt. Es sei also sehr wohl noch ausreichend Zeit gewesen, die Abschiebung der Frau zu stoppen.
Wollschläger, der bundesweit Mandanten in Asylverfahren vertritt und dessen Mandanten zur Hälfte aus Nordrhein-Westfalen kommen, gibt in dem vorliegenden Fall nicht der Stadt Minden die Schuld, sondern sieht die Ursache in einem verschärften Vorgehen der Landesregierung gegen Asylbewerber. Vor allem das Innenministerium habe über die Bezirksregierungen als Kontrollinstanzen den Druck auf die örtlichen Ausländerämter der größeren Städte und der Kreise erhöht, die im Auftrag des Landes tätig werden müssten. Tun sie dies aus Sicht des Landes und des Innenministers nicht in ausreichendem Maße, drohten sogar Disziplinarmaßnahmen.
Abgeschobene Frau sei wieder unmittelbar in psychischer Behandlung
Darüber hinaus sieht der Jurist auch bei Mitarbeitern im Mindener Rathaus ein Verschulden. Sie hätten unverzüglich bei der Bundespolizei anrufen müssen, um den Ausgang des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht mitzuteilen, statt den Schwarzen Peter weiterzuschieben und sich auf die Zuständigkeit des BAMF als beklagter Behörde herauszureden.
Was den Anwalt nebenbei auch noch ärgert, ist die Tatsache, dass es sich bei den Betroffenen nach seiner Kenntnis um eine sehr gut integrierte Familie handelt. „Der Vater ist Vorarbeiter in einer Baufirma", sagt Wollschläger. Sein Chef habe ihm gesagt, dass er sechs bis sieben Leute entlassen müsse, wenn sein Teamleiter abgeschoben werde. Die volljährige Tochter hatte bereits eine Ausbildung begonnen, und der minderjährige Sohn, der noch in Deutschland ist, sollte in Kürze eine Ausbildung antreten. Die Familie stehe auf eigenen Beinen und lebe nicht von Sozialhilfe.
Die Mutter, die unter traumatischen Folgen des Bürgerkriegs im Kosovo litt, befand sich in psychologischer Behandlung, die sie in ihrem Herkunftsland nicht erhalten könne. Deshalb sollte sie in Deutschland weiterbehandelt werden. Durch die Abschiebung war sie nach Aussage Wollschlägers so mitgenommen, dass sie nach der Ankunft sofort in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Er hofft nun, die Frau nach Minden zurückzuholen.