Interview mit Joe Bausch: „Ich hatte nie den Mediziner-Blues“

Herr Bausch, in Ihrem neuen Buch fassen Sie die Lebensgeschichten von Mörder, Drogendealern und Vergewaltigern zusammen. Wie authentisch sind die? Auch Straftäter haben Persönlichkeitsrechte. Joe Bausch: Die habe ich natürlich, ebenso wie meine Verschwiegenheitspflicht, respektiert. Und dann musste ich auch noch schauen, was über Person und Tat schon veröffentlicht wurde. Letztlich habe ich alle Geschichten nicht nur anonymisiert, sondern auch fiktionalisiert. Ich habe neue Zusammenhänge erstellt, manchmal auch zwei Schicksale zu einem zusammengefasst, aber ein wahrer Kern ist immer geblieben. Nach welchen Kriterien haben Sie die harten Geschichten ausgewählt? Bausch:Es geht mir immer darum, neben den persönlichen Facetten eine zweite Ebene zu finden. Also hat ein Täter Reue gezeigt? Das habe ich beispielsweise in meiner 30-jährigen Tätigkeit nur selten erlebt. Oder warum wird man im Gefängnis wieder kriminell? Mit diesen Sachthemen will ich eine zusätzliche Diskussionsgrundlage schaffen. Ihre Patienten haben Ihnen Einblick in die Abgründe Ihrer Seele gegeben. Wie haben Sie dieses Vertrauensverhältnis hergestellt? Bausch: Mich haben immer und ohne Vorbehalte Menschen interessiert, das haben die Patienten gespürt. Bei manchen wurden die Gespräche auch erleichtert, weil die Gefangenen wussten, dass ich im Fernsehen arbeite und Bücher schreibe. Die hofften, dadurch auch selbst bekannt zu werden. Die meisten Hausärzte beklagen, zu wenig Zeit für ihre Patienten zu haben. Standen Sie auch unter Termindruck? Bausch:Und wie. Zum Schluss mussten wir mit der gleichen Personalstärke nicht mehr 700, sondern über 1.000 Patienten behandeln. Und die waren auch noch schwieriger, viele hatten Drogenprobleme oder waren psychisch krank. Manche Taten sind unfassbar brutal. Haben Sie da nicht auch manchmal Abscheu verspürt? Und dieses Gefühl auch zum Ausdruck gebracht? Bausch:Wer fragt, muss auch die Antworten aushalten. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich die Taten verurteile, aber nicht die Täter. Das ist Aufgabe der Gerichte. Konnten Sie für manche Täter Verständnis aufbringen? Bausch: Einige Patienten hatten eine biografische Entwicklung, die ihnen tatsächlich keine Chance gelassen hat, nicht kriminell zu werden. Aber eine gute behütete Kindheit und Jugend ist auch keine Garantie für ein straffreies Leben. Das habe ich in den letzten 30 Jahren zur Genüge erlebt. Wann haben Sie zwar nicht den Gangster-, aber den Mediziner-Blues gespürt? Bausch: Nie. Ich habe immer gern als Mediziner gearbeitet und habe auch nie darüber nachgedacht, mir einen anderen Arbeitsplatz zu suchen. Aufregende Geschichten zu hören, hat mich schon immer interessiert. Sie waren seit 1986 Anstaltsarzt in der JVA Werl. Seit November sind Sie in Pension. Wie sieht jetzt Ihr Alltag aus? Bausch:Der ist weiterhin vollgepackt mit Terminen. Ich halte Vorträge, gehe auf Lesereise, habe allein für 2019 noch 60 Anfragen. Die meisten Veranstalter buchen mich gleich wieder, weil sie wissen, der Bausch sorgt für einen unterhaltsamen Abend. Haben Sie schon Ersatz für Ihre Dienstwohnung auf dem Gefängnis-Gelände gefunden? Bausch: Nein, ich kann mir dafür auch noch Zeit nehmen. Es gibt ja noch keinen Nachfolger, der einziehen will. Und ich weiß auch noch nicht, wohin ich will. Kommt auch Bad Oeynhausen als neuer Wohnsitz in Betracht? Bausch: Ich war ja schon drei Mal dort, die Stadt ist mir nicht nur wegen der lebhaften Diskussionen in guter Erinnerung geblieben. Aber ich habe in Bad Oeynhausen weiter keine persönlichen Kontakte. Und die brauche ich. Ich bin jetzt 66 Jahre, da möchte ich mir nicht noch einmal ein neues soziales Netzwerk aufbauen. Werden Sie sich künftig ehrenamtlich in der JVA engagieren? Bausch: Nach 30 Jahren im Knast will ich mich jetzt ganz auf die Seite der Geschädigten und Benachteiligten konzentrieren. Ehrenamtlich habe ich mich ja schon früher beispielsweise für philippinische Straßenkinder, die Polizeiseelsorge und die Erforschung seltener Krankheiten engagiert, dafür habe ich jetzt endlich mehr Zeit. Aber mit der JVA bleibe ich möglicherweise professionell in Verbindung, vielleicht übernehme ich als Gefängnisarzt Urlaubs- und Krankenvertretungen. Seit 1997 spielen Sie als Gerichtsmediziner Joseph Roth im Kölner Tatort. Ist auch dort eine Pensionierung in Sicht? Bausch: Nein, Da mache ich ebenso weiter wie als Experte der Sendung &bdquo;Im Kopf des Verbrechers". Ist auch schon ein weiteres Buch geplant? Bausch:Der Gangster-Blues ist quasi dazwischen gekommen. Ich arbeite schon an einem biografischen Sachbuch, aber das dauert länger. Viele Pensionäre entdecken im Ruhestand die Lust am Reisen. Wie sehen Ihre Urlaubspläne aus? Bausch: Ich habe tatsächlich nach meiner Pensionierung zum ersten Mal seit zehn Jahren einen richtigen Urlaub gemacht und bin nach Südafrika gereist. Das reicht erst Mal. Im übrigen habe ich jetzt schon festgestellt, dass ich noch sehr üben muss, mal mit einem Buch auf dem Sofa zu liegen.

Meistgelesen