Schüsse mitten in Detmold: Sohn (20) des Getöteten muss für Messerstich nicht in Haft

Detmold. Eigentlich hätte Jugendrichter Christian von Borries anhand der Akte mit einem anderen Ausgang des Verfahrens gerechnet. Dann kommt es beim Prozess rund um die Gewalttat unmittelbar vor den tödlichen Schüssen in der Bachstraße doch anders als gedacht. Am Ende liegt das auch ein Stück weit an dem Auftreten eines emotional sichtlich angeschlagenen jungen Angeklagten, der seine Tränen zeitweise kaum bändigen kann. Wieder muss sich der Schüler im Sitzungssaal das Video anschauen, auf dem deutlich zu sehen ist, wie sein Vater angeschossen wird und zusammenbricht. Dass er selbst nicht unschuldig an der Situation ist, belastet ihn psychisch schwer, sagt er. Sohn fühlt sich für Tod des Vaters verantwortlich Sein Schmerz wirkt auf die Kammer authentisch und lebensnah. Er fühle sich für den gewaltsamen Tod seines Vaters mitverantwortlich, bekennt der Angeklagte, der am Montag gemeinsam mit seinem Cousin (24) wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht steht. Der Vorfall habe sein Leben verändert. &bdquo;Ich will jetzt für meine kleinen Geschwister ein Vorbild sein und die Schule fertigmachen.“ Diese Tür will ihm das Schöffengericht nicht vor der Nase zuschlagen. Obwohl der Sohn des Getöteten seinen Kontrahenten (19) am Nachmittag des 4. Januars also selbst angegriffen und mit dem Messer seitlich in den Oberkörper gestochen hat, bleibt ihm eine Gefängnisstrafe erspart. Laut Anklage befand sich der Verletzte zu keiner Zeit in Lebensgefahr. Weil er dennoch eine Waffe zog und dreifach abdrückte, muss sich der 19-Jährige gemeinsam mit seinem gleichaltrigen Kumpel parallel wegen Mordes und Beihilfe vor dem Landgericht verantworten. Beide wollen in dem anderen Verfahren nicht aussagen. Jugendschöffengericht hadert mit der Entscheidung Der Vorwurf des Messerangriffs wiegt aber ebenfalls schwer. Eine Entscheidung macht sich das Jugendschöffengericht nicht leicht, stellt der Vorsitzende klar. Sowohl Richter als auch die beiden Schöffen ringen lange mit sich, bevor ein Urteil steht. &bdquo;Das war ein Akt der Aggression sowie ein Akt der Selbstjustiz, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist“, fasst von Borries zusammen. &bdquo;Sie sind in dieser Situation kein Opfer, sondern Täter.“ Trotzdem ist die Kammer überzeugt, dass der Detmolder durch den Verlust des Vaters genug bestraft sei. An dessen gewaltsamen Tod trage der 20-Jährige &bdquo;eine moralische Schuld“, führt der Richter aus. Deshalb verurteilt das Gericht den Schüler nach Jugendstrafrecht wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Das hatte auch die Jugendgerichtshilfe angeregt. Daneben soll der Schüler an regelmäßigen Gesprächen mit der Drogenberatung sowie einem Anti-Aggressionstraining teilnehmen. Gericht urteilt deutlich milder als gefordert Damit bleibt das Gericht erheblich unter dem Antrag von Staatsanwältin Johanna Bretthauer, die für den 20-Jährigen wegen der Schwere der Schuld und seiner kriminellen Vorgeschichte nach Jugendstrafrecht drei Jahre Gefängnis fordert. Für den ebenfalls geständigen Cousin hält die Staatsanwältin eine achtmonatige Bewährungsstrafe samt Geldauflage von 2.000 Euro für angemessen. Das Urteil gegen den 24-jährigen Cousin setzt das Gericht dagegen etwas höher an. Für den Salzufler sieht die Kammer eine einjährige Bewährungsstrafe vor. Darüber hinaus soll er die 2.000 Euro an den Verein &bdquo;Die Brücke“ zahlen, der straffällig gewordene Menschen in Lippe unterstützt. Verteidiger Remzi Yalcin hatte zuvor einen minder schweren Fall angenommen und eine dreimonatige Bewährungsstrafe oder eine Geldstrafe unter 90 Tagessätzen beantragt. Damit hätte sein Mandant weiter in der Sicherheitsbranche arbeiten können. Cousin hatte nur geringen Anteil an der Tat Der 24-Jährige habe einen geringen Anteil an den Verletzungen des 19-Jährigen gehabt, sagt Yalcin im Plädoyer. Das belegen auch Bilder. Bis auf den Messerstich sei der junge Mann mit ein paar Kratzern davongekommen. Das sieht die Kammer zwar ähnlich, die Schuld des erwachsenen Mannes bewertet sie dennoch höher. Vor dem Schöffengericht lässt sich der Konflikt zwischen den einstigen Freunden weiter herausarbeiten. Die Eskalation hatte sich bereits über mehrere Wochen angebahnt. Laut Richter belegen zahlreiche Chats Beleidigungen und Drohungen, die vorrangig vom späteren Schützen ausgegangen sein sollen. Dass es bei dem Streit primär um Drogengeschäfte gegangen sei, lässt der Sohn des Getöteten am Montag erstmals über seine Verteidiger Burkhard Benecken aus Marl und Murat Baspinar aus Detmold einräumen. Bei seiner Aussage vor dem Landgericht hatte er dazu noch herumgedruckst. In ihren Plädoyers betonen beide Verteidiger mit Nachdruck, wie wertvoll gerade das Geständnis ihres Mandanten sei. Zwar hatte die Dashcam eines zufällig vorbeifahrenden Autos die folgenschwere Szene in großen Teilen festgehalten. Ausgerechnet der Messerstich ist auf dem Video allerdings nicht zu sehen. Und auch zwei in der Sitzung vernommene Augenzeugen können sich an die Szene nicht erinnern. Am Griff der Waffe fanden die Ermittler zudem Fingerabdrücke von Vater und Sohn. Ein Geständnis erster Klasse &bdquo;Den Einsatz des Messerstichs hätte man ihm nicht nachweisen können“, stellt Verteidiger Benecken daher klar. Mit seinem Geständnis habe sich der 20-Jährige daher &bdquo;komplett in die Pfanne gehauen“. Diese Einsicht und seine Entwicklung nicht zu berücksichtigen, wäre ein folgenschweres Signal für andere Straftäter. &bdquo;Man würde immer auf Detmold blicken und sagen: Geständnisse lohnen sich nicht.“ Die beiden jungen Männer hatten bereits zu einem frühen Zeitpunkt während der U-Haft ihre Tatbeteiligung eingeräumt. Der Ablauf steht unstrittig fest. Gemeinsam mit dem Vater (43) hatten der Sohn (20) und sein Cousin (24) den beiden Kontrahenten eine &bdquo;Abreibung verpassen wollen“, weil diese zuvor vor der Haustür eines weiteren Familienmitglieds bedrohlich auftauchten und provoziert hatten. Zwei Tage zuvor soll das Duo bereits in die Kellerräume des Vaters eingebrochen sein. &bdquo;Das sind doch nur Kinder“ &bdquo;Soll ich einen Baseballschläger mitbringen?“, hatte der Cousin seinen Onkel am Telefon eigenen Angaben nach gefragt. Die Antwort soll deutlich gewesen sein: &bdquo;Nein, das sind doch nur Kinder.“ Wenige Minuten später kam es zur Konfrontation am helllichten Tag mitten in Detmold. &bdquo;Für uns in Lippe war das eine Sache von neuer Qualität“, sagt der Richter zu Beginn. &bdquo;Dass hier Heranwachsende mit der Waffe herumlaufen, war ein weiterer Tiefschlag.“ In 18 Jahren habe er dies nicht erlebt. Den verwickelten Freundeskreis kennt der Richter bereits aus einigen anderen Verfahren. Vor allem der Schütze sei kein &bdquo;Kind von Traurigkeit.“ Die Worte des Vorsitzenden stimmen daher nachdenklich. &bdquo;Sie hätten wissen müssen, dass dieser Angriff nicht ohne Reaktion bleibt.“ Der Prozess zu den tödlichen Schüssen vor dem Landgericht geht am Freitag, 20. Juni, weiter.

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