So erlebten lippische Abgeordnete die (Ab-)Stimmung im Bundestag – und die Lage danach

Kreis Lippe. Was da am Freitag, 31. Januar, im Deutschen Bundestag passiert ist, erregt auch wenige Tage später noch immer die Gemüter, und es hat Zigtausende bundesweit auf die Straße getrieben. Allein in Berlin waren es 160.000 Menschen, die gegen den gemeinsamen Kurs von CDU/CSU und AfD in Sachen Migrationspolitik auf die Straße gegangen sind. Doch wie haben die lippischen Bundestagsabgeordneten das Ganze erlebt? CDU-Abgeordneter Christian Haase ist nicht glücklich mit der Entwicklung, auch wenn er mit der großen Mehrheit seiner Fraktion und der AfD gestimmt hat. &bdquo;Ich gehöre zu denen, die sagen: Wir dürfen das nicht zum Wahlkampfthema machen“, sagte er dieser Redaktion auf Nachfrage. &bdquo;Der Freitag war sehr aufwühlend. Ich hatte gehofft, dass die Taktik aufgehen würde, SPD und Grüne so unter politischen Druck zu setzen, dass sie mitgehen. Die Grünen waren offener, aber die SPD hat beschlossen, für sich das Momentum zu nutzen, um Mobilisierungseffekte zu erzielen. Das Risiko sind wir eingegangen.“ Geteiltes Feedback in lippischen Wahlkreisen Er habe sehr viele Reaktionen aus seinem Wahlkreis bekommen, und zwar positive und negative: &bdquo;Die einen haben gesagt, gut, dass Ihr das durchzieht, Ihr dürft jetzt nicht wackeln. Dass das für andere schon zu viel war, kann ich aber auch verstehen.“ Seine Fraktionskollegin Kerstin Vieregge hat ebenfalls aus beiden Richtungen Resonanz bekommen: &bdquo;Ich habe noch nie so viel Betrieb am Wahlkampfstand erlebt wie diesen Samstag. Ich war in Bad Salzuflen, aber so muss es auch in Lemgo und Detmold gewesen sein. Es gab sehr viele Gespräche, dabei ging es in alle Richtungen, viele wollten einfach eine Erklärung. Wir können das Thema nicht den Rechten überlassen.“ Die Erklärungen, beispielsweise der Lippischen Landeskirche, hält sie für falsch, ebenso die Einmischung von Angela Merkel, die Friedrich Merz kritisiert hat: &bdquo;Zum einen macht man das als ehemalige Bundeskanzlerin nicht“, das sieht auch Christian Haase so. &bdquo;Und ich finde, Institutionen wie die Kirche sollten sich heraushalten“, betont Kerstin Vieregge. Und was ist mit dem C, das für christlich im Namen der Union steht? &bdquo;Dazu stehen wir weiter, wir haben den Parteitag ja sogar mit einem Gottesdienst begonnen.“ Freitag im Bundestag wie Zahnarztbesuch Die CDU, sagt die Abgeordnete, &bdquo;hat nichts gegen Ausländer, ganz im Gegenteil, wir werden noch ganz viele brauchen.“ Für den Wahlkampf hätte sie sich, wie ihr Kollege Haase, ein anderes Thema gewünscht: &bdquo;Wir müssen die Wirtschaft voranbringen, das ist auch jetzt auf dem CDU-Parteitag das zentrale Thema.“ Den Freitag im Bundestag habe sie wie einen Besuch beim Zahnarzt erlebt, &bdquo;das war schrecklich, so sollten Leute nicht miteinander umgehen“. &bdquo;Die Stimmung war beklemmend“, beschreibt es der SPD-Abgeordnete Jürgen Berghahn. Einen &bdquo;gefährlichen Kurs“ nennt er, was Friedrich Merz und die CDU/CSU machen, spricht von Wort- und Tabubruch. Es sei der &bdquo;Einstieg für die Salonfähigkeit der AfD“, eine Zusammenarbeit mit dieser sei seiner Ansicht nach aber nicht akzeptabel. Und das Vorgehen der CDU sorge für Skepsis, wie mit ihr in Zukunft zu planen sei. Die vielen Demonstrationen gegen den Merz’schen Kurs zeigten, dass viele Menschen die Gefahr sähen, und zwar auf vielerlei Ebenen. Egal ob Fridays for Future, Omas gegen Rechts oder die Landeskirche, &bdquo;das Thema geht alle Menschen an“. Nur weil auch die AfD-Abgeordneten demokratisch gewählt seien, wie Teile des CDU/CSU-Fraktionsvorstands argumentierten, sei die AfD nicht demokratisch, betont der Sozialdemokrat. Die AfD wolle den Rechtsstaat umbauen, leugnete zudem beispielsweise die Klimakrise; er verweist dabei auch auf Reaktionen und Äußerungen der AfD-Abgeordneten unter anderem in den sozialen Medien. &bdquo;Keiner kann sagen, das habe er nicht gewusst. Grüner sieht in Abstimmung einen Tabubruch Robin Wagener, Bundestagsabgeordneter der Grünen, nennt die Proteste und Demonstrationen der vergangenen Tage &bdquo;ein ermutigendes Zeichen“: &bdquo;Man sieht daran, wie viele Menschen diesen Tabubruch wahrnehmen und das Problem sehen, wenn Rechtsextreme Macht bekommen.“ Auch dass sich die Kirchen dazu geäußert haben, sei wichtig und richtig. Dass sogar Angela Merkel das Vorgehen öffentlich kritisierte, rechne er ihr hoch an. Und es zeige, dass es auch innerhalb der Union eine Auseinandersetzung gebe. &bdquo;Es darf keine Zusammenarbeit der demokratischen Mitte mit Rechtsextremisten geben.“ Zudem habe das Ganze kein Problem gelöst, sondern Ängste vergrößert, die AfD normalisiert und tiefe Gräben zwischen den Demokraten geschaffen, fasst Wagener zusammen. &bdquo;Das ist so bitter.“ Und stärke die Extremisten. Es sei am Freitag fast körperlich spürbar gewesen, wie Wunden entstanden seien. Nun müssten Brücken gebaut werden, mit dem Ziel, das Verbindende größer zu machen als das, was die Demokraten trennt. Wagener betont, es brauche das gemeinschaftliche, europäische Asylsystem. &bdquo;Deutschland braucht Europa“, auch mit Blick Richtung USA. Merz jedoch würde die europäische Zusammenarbeit insgesamt schwächen. Zugewanderte fühlen sich nicht mehr willkommen Zudem brauche die Wirtschaft die ausländischen Arbeitskräfte, ergänzt Berghahn, das habe er selbst in Unternehmen hier in Lippe erfahren. Viele dieser zugewanderten Menschen allerdings fragten sich, ob sie in Deutschland noch willkommen seien. Migration sei das Wahlkampfthema, obwohl es andere, wichtige Themen in Deutschland gebe, Berghahn nennt etwa Krankenhäuser, Wirtschaft, Pflege. In einer Demokratie sei es wichtig, sich zusammenzusetzen und gemeinsam Lösungen zu finden. &bdquo;Ein Kanzlerkandidat aber, der eine Basta-Politik verfolgt wie ein Trump in den USA, stößt bei mir auf Widerstand“, erklärt er zum Versuch der CDU, politischen Druck auf die anderen Parteien auszuüben, indem die Stimmen der AfD zur Mehrheitsbildung akzeptiert werden. Umso unverständlicher auch, da ein Gesetz zur Terrorismusbekämpfung vorliegt, das allerdings im Bundesrat von CDU/CSU blockiert wird, betonen sowohl Berghahn als auch Wagener. Dass am Ende CDU-Chef Merz ausgerechnet die FDP als Schuldige verhaften wollte, dass das Gesetz am Freitag nicht durchging, ficht den liberalen Bundestagsabgeordneten aus Extertal, Christian Sauter, nicht an. &bdquo;Die eigentliche Ursache ist doch eine ganz andere: Dass sich SPD und vor allem die Grünen weigern, zwingend notwendige Maßnahmen zu beschließen“, betont der FDP-Mann. Selbst dem Kompromissvorschlag der Liberalen, das Ganze in eine Sondersitzung zu vertagen, habe man sich verweigert. FDP-Politiker für klaren Politikwechsel Von daher teile er auch die Festlegung seines Parteichefs Christian Lindner, mit den Grünen nicht wieder in eine Koalition zu gehen. &bdquo;Mit ihnen sind weder eine Wirtschaftswende noch eine Beendigung der illegalen Einwanderung sowie Abschiebungen durchsetzbar“, meint Sauter, der am Freitag für das Zustrombegrenzungsgesetz votierte. &bdquo;Deutschland braucht einen klaren Politikwechsel bei der Einwanderung.“ Eine Spaltung der eigenen Partei, die am Freitag nicht geschlossen für das Zustrombegrenzungsgesetz stimmte, sehe er nicht, so Sauter weiter. Der überwiegende Teil der Fraktion sei gefolgt. Leise Kritik an den Abweichlern klingt bei Sauter dennoch durch: &bdquo;Zweifelsohne haben Fraktionsmitglieder in Führungsfunktion besondere Verantwortung.“ Die Aggressionen, die bei Demos, an Wahlkampfständen und vor Parteibüros teils offen zutage träten, verurteile er. Sauter: &bdquo;Bedrohungen und Sachbeschädigungen seitens einer Minderheit sind inakzeptabel und müssen strafrechtlich verfolgt werden. Und: Warum stehen nicht die Opfer der schweren Attentate von Aschaffenburg, Magdeburg und weiteren im Mittelpunkt?“

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