Versuchter Mord? Wie es der betroffenen Rollerfahrerin (18) aus Bad Salzuflen heute geht

Detmold/Bad Salzuflen. Emilia strahlt übers ganze Gesicht. Ihr Lächeln wirkt unbeschwert, als stünde der 18-Jährigen die ganze Welt offen. &bdquo;Mir geht es gut“, sagt sie. Für einen kurzen Moment ist vergessen, dass wir gerade in der Kanzlei ihres Anwalts sitzen und über einen Unfall reden, der sie das Leben hätte kosten können. Der mutmaßlich dafür verantwortliche Fahrer, ein 44-Jähriger aus Bad Salzuflen, sitzt seitdem in U-Haft und ist längst von der Staatsanwaltschaft wegen versuchten Mordes durch Unterlassen angeklagt worden. Bald wird er sich wohl vor dem Landgericht Detmold verantworten müssen. Der Fall an sich klingt schier unfassbar. Narbe am Schlüsselbein erinnert an Unfall Etwa vier Monate ist es her, dass die junge Salzuflerin auf ihrem Roller auf der B 239 aus dem Nichts von hinten gerammt und auf den Boden geschleudert wurde. Rein äußerlich erinnert nur noch eine unscheinbare Narbe auf Emilias Schlüsselbein an die Nacht zum 23. Januar 2024, als ein Transporter ihre blaue Vespa auf regennasser Fahrbahn wahrscheinlich übersah, wie eine Galionsfigur auf dem Kühler aufspießte - und der Fahrer das schwer verletzte Mädchen einfach auf der Straße bewusstlos liegen ließ. Dass nichts Schlimmeres passiert ist, grenzt an ein Wunder. Einige Stunden später kann die Polizei den Tatverdächtigen ermitteln. Er selbst stellt sich nicht. In der besagten Nacht fand eine Ersthelferin die damals noch 17 Jahre alte schwer verletzte Rollerfahrerin auf dem Rückweg von der Uni auf der Straße liegend. &bdquo;Sie hat wohl erst gedacht, ich wäre ein Stillkissen“, sagt Emilia und muss lachen, weil es so absurd klingt. Die Polizei vermutet, dass Emilia sich nach dem Zusammenstoß mit dem Sprinter beim Messezentrum noch einmal selbstständig aufgerafft und den Helm abgesetzt haben muss. Ein paar Meter sei sie wahrscheinlich orientierungslos ins &bdquo;Licht“ gelaufen und dann wieder zusammengesackt. Allein der Gedanke verursacht Gänsehaut. Dabei spricht Emilia ganz sachlich von dem, was passiert ist. Zum Gespräch trägt sie einen blauen Strickpullover mit Fransen, die blonden Haare sind zum Zopf hochgesteckt. Sie ist zurückhaltend, als liege nur ein irrer Traum hinter ihr. Teilweise muss sich das auch so angefühlt haben, schließlich blieb ihr Roller zunächst spurlos verschwunden. &bdquo;Das war schon verrückt, keiner konnte sich das erklären“, sagt Emilia. Trotz allem scheint sie die Unbekümmertheit einer 18-Jährigen behalten zu haben. Das hat etwas Tröstliches. Emilia hat keine Erinnerungen mehr An den eigentlichen Unfall kann sich Emilia aber auch gar nicht mehr erinnern. Als hätte ihr Körper einen Schutzschild aufgebaut, um alles Traumatische fernzuhalten. &bdquo;Ich weiß nur noch, dass ich mit dem Roller bei einer Freundin war, extra auf das Regenradar geschaut habe, und dann irgendwann aus der Tür bin und nach Hause wollte. Danach bin ich erst wieder im Krankenhaus aufgewacht.“ Ihr Körper sei schwer gezeichnet gewesen: großflächige Prellungen an der kompletten rechten Körperseite, ein gebrochenes Schlüsselbein, aufgeschürfte Hände und Platzwunden. Es fällt Emilia anfangs im Krankenhaus schwer, sich zu bewegen oder überhaupt zu sprechen. Eine Hirnblutung führt zu Konzentrationsbeschwerden und Sprachstörungen. &bdquo;Ich durfte und konnte gar nichts machen - das war schon eine richtig blöde Zeit.“ Anderthalb Wochen liegt die Schülerin im Krankenhaus, der Heilungsprozess zieht sich danach noch Monate hin. Anfang Mai erst ist sie ein zweites Mal operiert worden, nach zwei Monaten kam endlich die Metall-Platte raus, die ihrem Schlüsselbein beim Zusammenwachsen helfen sollte. &bdquo;Jetzt fühle ich mich endlich wieder frei“, sagt Emilia und fährt vorsichtig mit der Hand über die operierte Stelle. Davor habe sie ihre Arme gar nicht vernünftig bewegen und kaum etwas unternehmen können. Körperlich geht es ihr jetzt endlich wieder gut, sagt sie, und trotzdem hat sich ihr Leben grundlegend verändert. &bdquo;Durch den Unfall habe ich mein Abitur nicht wie geplant machen können.“ Jetzt sind all ihre Freundinnen und Freunde mit der Schule fertig, Emilia selbst muss sich neu orientieren und schauen, wie es weitergeht. Ansonsten sei sie durch das Geschehene kein anderer Mensch geworden. &bdquo;Manchmal kommt es mir vor, als hätte mein Umfeld mehr gelitten als ich.“ Panik oder Angst davor, mit dem Auto unterwegs zu sein, hat die 18-Jährige nicht aufgebaut. Sie sei an ihrem 18. Geburtstag direkt mit ihrem eigenen Auto alleine losgefahren, ihre Vespa, mit der sie vorher immer mobil war, gibt es ja nicht mehr. &bdquo;Der Roller ist ziemlich hinüber.“ Einmal habe sie sich mit ihrem Vater ihr sichergestelltes Zweirad und den Transporter angeschaut, da sei ihr kurz anders geworden. Windschutzscheibe des Transporters ist zersplittert &bdquo;Die Windschutzscheibe des Sprinters ist zersplittert gewesen, als hätte man dort mit aller Gewalt Steine gegengeworfen.“ Doch es war eben kein Stein, sondern ihr eigener Kopf, der mit voller Wucht gegen das Glas geknallt war. &bdquo;Wenn man darüber nachdenkt, ist das schon ein komisches Gefühl“, sagt Emilia. Sie sei mit etwa 45 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen, schneller konnte ihr Roller nicht - und schneller habe sie damals nach dem gültigen Führerschein auch nicht gedurft. Der mutmaßlich verantwortliche Unfallfahrer hat bisher nicht versucht, über seinen Anwalt Kontakt aufzunehmen oder sich zu entschuldigen. Groll gegen ihn hat Emilia aber eh nicht. Im Gegenteil. &bdquo;Als ich gehört habe, dass er Kinder hat, tat er mir leid“, sagt sie. Unfälle könnten ja schließlich immer passieren, das sagt auch ihr Vater. Mit den Entscheidungen, die der 44-Jährige im Anschluss getroffen habe, habe er aber auch sein eigenes Leben zerstört. Die Frage nach dem Warum bleibt rätselhaft. Empathie für den beschuldigten Fahrer &bdquo;Ich kann verstehen, dass man in dem Moment unter Schock steht“, sagt Emilia. &bdquo;Aber spätestens an der nächsten Ampel drehe ich doch um und fahre zur Unfallstelle zurück. Und wenn ich dazu immer noch nicht in der Lage bin, dann komme ich doch spätestens zu Hause zu mir?“ Ihre Gedanken dazu sind reflektiert. Was im Kopf des Unfallfahrers wirklich vor sich geht, wird sich vielleicht im Gerichtssaal zeigen. &bdquo;Ich bin aufgeregt und auch gespannt, ob er überhaupt etwas sagt.“ Mehr Erwartungen und Gefühle hat sie vor dem anstehenden Prozess nicht. Fakt ist, dass der 44-Jährige in der besagten Nacht nicht zur Polizei ging und den zerstörten Roller wohl noch in einem verschlossenen Anhänger auf dem Grundstück seines Arbeitgebers versteckt haben soll. Da wurde er laut Staatsanwaltschaft sichergestellt. Ein Zeugenhinweis brachte die Ermittler auf die richtige Spur. Später konnte Polizeibeamte den Tatverdacht weiter erhärten, weil sie den geschätzten Fluchtweg abfuhren und zufällig eine Überwachungskamera an einem Haus entdeckten. Diese hatte den Transporter mit der in der Kühlerhaube steckenden Vespa zufällig aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt saß der 44-Jährige bereits in U-Haft. Wann der Prozess verhandelt wird, steht noch nicht fest. Bis Ende Juli müsste er beginnen. Emilia hofft, nach der Hauptverhandlung mit dem Kapitel abschließen zu können. Durch den Unfall hat sie einige Monate verloren, keinen weiteren will sie mehr verschwenden.

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