Leopoldshöhe. Welcher Ort in Leopoldshöhe ist besser geeignet für eine Reise in die bäuerliche Vergangenheit als der Heimathof? So tauchten die Zuhörer der Lesung von Elisabeth Schröder nicht nur akustisch, sondern auch visuell animiert ein in das Leben von Luise, der Großmutter der Autorin, vor gut 100 Jahren.
„Luise – biegsam wie eine Weide“ hat die Autorin ihr Buch genannt, das sie auf der Grundlage von Erzählungen und Feldpostbriefen geschrieben hat. So biegsam solle ein junges Mädchen sein, ermahnt Minna Betge, ihre Tante, Luise immer wieder. Sie ist Luises Ziehmutter, denn mit drei Jahren wurde Luise der Schwester der Mutter und deren Mann Simon gegeben. Die hatten einen gleichaltrigen Jungen und „damit der nicht als Einzelkind aufwächst“ kam Luise auf den Betge-Hof nahe Detmold.
„Die Bauern standen damals blendend da und investierten“, berichtet die 74-Jährige und zeigt ein koloriertes Foto des Hofs von vor 100 Jahren. Wenn der eine Bauer etwas Neues angeschafft habe, kauften es die anderen auch. Schröder erzählt Episoden aus einer unbeschwerten Kindheit, lässt aber immer wieder das Ende offen. Ob Nachbarjunge Adolf, der beim Spiel ins Wasser fällt, gerettet wird oder der Unfall mit dem Wagen gut ausgeht, erzählt sie nicht. „Sie sollen das Buch ja lesen“, meint sie schmunzelnd.
Luise ist 1908 13 Jahre, als sie Panik bekommt, weil sie Blut in ihrem Schlüpfer entdeckt. „Bekomme ich etwa ein Kind“, fragt sie sich. Denn niemand hat sie aufgeklärt und sie hat kurz vorher gehört, eine Frau sei im Kindbett verblutet. „Das ist mir original so erzählt worden“, beteuert die Autorin, die sich einfühlsam in die Lage des jungen Mädchens versetzt hat. Dass sie anders ist als Wilhelm, weil der ein Junge ist und vieles darf und alles erben wird, wird ihr immer mehr bewusst. Zwar mag sie Wilhelm sehr. „Doch Verwandte können nicht heiraten, das gibt blöde Kinder“, hat ihre Ziehmutter allen Gedanken in diese Richtung einen Riegel vorgeschoben.
Der Erste Weltkrieg zerstört die Idylle
Als ihre Schwester ihr erzählt, dass sie in einen Hilfslehrer verliebt ist, ist Luise entsetzt. Die Eltern würden nie erlauben, dass sie einen Lehrer heiratet. „Damals waren Dorfschullehrer nicht gut angesehen“, berichtete Schröder. „Sie verdienten wenig, weil sie von den Eltern ihrer Schüler bezahlt wurden, oft in Naturalien.“
Als der Galan sie geküsst habe, „habe ich ihm eine tüchtige Ohrfeige verpasst“, erzählt die Schwester. Das Publikum ist amüsiert.
Der Erste Weltkrieg zerstört die Idylle. Schröder zitiert aus Feldpostbriefen von Wilhelm und macht deutlich, dass er den Eltern nur Aufmunterndes schrieb, seinen Freunden aber die Hölle vermittelte, in die er geraten war und die er auch nicht überlebte. Luise heiratet, zieht auf einen anderen Hof, wie das für Frauen so vorgesehen ist. „Keine freie Wahl des Ehemanns, der Horror der Hochzeitsnacht, das unterwürfige Benehmen, das von Mädchen und Frauen verlangt wird – vieles aus dem Buch hat mich an meine Kindheit erinnert“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte Grita Behrens, die zusammen mit Inge Hoffmann vom Heimatverein die Gäste begrüßt hatte. So geht es auch vielen der drei Dutzend Zuhörer, die gleich ein Buch kauften, um es ganz lesen zu können.