"Man darf nicht schweigen": Tür an Tür mit extremen Rechten in Lippe

Kreis Lippe. Wenn in eine Dorfidylle plötzlich ein Rockerclub einzieht, dessen Präsident ein extrem rechter Influencer ist, dann ist die Verunsicherung bei den Anwohnern groß. Dass Tim Kellner sich mit seinem Brothers Guard MC in Tintrup niedergelassen hat und dort regelmäßig zu Clubabenden Hunderte von Gleichgesinnten empfängt, sorgt bei so manchem Dorfbewohner für Unbehagen, einige haben sich auch bei dieser Redaktion gemeldet. Doch wie sollen sie sich verhalten? Jannik Kohl vom Team der Mobilen Beratungsstelle rät dazu, sich generell in solchen Fällen zunächst genau zu informieren: "Es geht darum, erst mal das eigene Problembewusstsein zu schärfen: Mit wem habe ich es eigentlich zu tun, wie äußern sich die Leute? Tragen die beispielsweise Klamotten von Thor Steinar oder anderen Marken, mit denen Menschen ihre extrem rechte Gesinnung zur Schau tragen? Und sind die Personen bereits bekannt, beispielsweise durch Auftritte im Internet?" Über die bekannten extrem rechten Lipper hat die Mobile Beratungsstelle Informationen, vieles ist gut dokumentiert. "Wir können gut bei einer ersten Einordnung helfen." Mit dem eigenen Unbehagen muss also niemand allein sein, und das ist ausgesprochen wichtig, betont Jannik Kohl: "Es hilft, sich zu vernetzen, Gleichgesinnte zu finden, Menschen in der Nachbarschaft zu finden." Gemeinsam klären: "Was wollen wir erreichen, wie schaffen wir uns Raum?" - das seien die Fragen, die am Anfang stünden. Erst wenn das geklärt ist, ließen sich Wege finden, aktiv gegen menschenverachtende Einstellungen Stellung zu beziehen. Diese Initiativen gibt es In Lippe finden sich diverse Beispiele dafür: Die "Initiative Pivitsheider Bürgerinnen und Bürger gegen das Nazi-Zentrum" des rechtsextremen Meinolf Schönborn in den 90er-Jahren gehörte beispielsweise ebenso dazu wie später "Berlebeck gegen Rechts" und die "Initiative gegen Neonazis am Bahnhof Ehlenbruch". "Eine Musterlösung gibt es nicht", sagt Jannik Kohl, "aber es ist immer ein guter Weg, in Gemeinschaft vorzugehen". Als Einzelner dagegenzuhalten, könne problematisch sein, mitunter gefährlich. "Das ist im Einzelfall schwierig einzuschätzen." Zumindest würde die Mobile Beratung Gewalt durch extrem rechte Akteure nicht grundsätzlich ausschließen: "Beispielsweise in Teilen der Rockerszene spielt Gewalt durchaus eine gewisse Rolle." Menschen, die sich in ihrem Umfeld gegen extrem rechte Strukturen engagieren wollen, sollten zunächst klare Ziele formulieren: Die könnten beispielsweise lauten, ein Zeichen gegen extrem rechte Ideologien zu setzen und der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass rassistischen Äußerungen in der Nachbarschaft nicht geduldet werden. "Man muss sich klarmachen, was passieren soll und was auf keinen Fall passieren darf", rät Jannik Kohl. Aus Sicht der Mobilen Beratung allerdings ist es die schlechteste Variante, gar nichts zu tun, wenn einen die zur Schau getragene Geisteshaltung der Nachbarn stört, etwa, weil sie menschenverachtend oder demokratiefeindlich ist. "Es einfach zu ignorieren, ist katastrophal", betont der Experte. "Es zeigt sich immer wieder: In den Orten, wo die Gesellschaft nicht gegen die extrem rechten Umtriebe vorgeht, ist das für die Gegenseite ein gefundenes Fressen." Schulterschluss mit Verschwörungstheoretikern So hat es auch die Journalistin Andrea Röpke, die jüngst noch auf Einladung der Lippischen Landeskirche und des Forums Offenes Detmold in Lippe referiert hat, in ihrem Buch "Völkische Landnahme" über alte Sippen, junge Siedler und rechte Ökos beschrieben: Extrem rechte Akteure mit ganz unterschiedlichem politischen Hintergrund zögen in Gebiete, wo viele Menschen abwandern, schreibt sie, dort hofften sie, "sich ohne starken Widerstand festsetzen zu können und die politische Atmosphäre zu ändern." Im Fall Kellner sieht die Mobile Beratungsstelle mit Sorge, dass sich der Schulterschluss mit alt eingesessenen extremen Rechten aus der völkischen Szene in Lippe zu vollziehen scheint. Die völkischen Rechten haben auch längst, wie berichtet, Fuß bei den Verschwörungsideologen aus der Corona-Leugner-Szene gefasst. "Diese Verbindungen hat es früher nicht gegeben, jetzt treten sie ganz offen bei Demos Seite an Seite auf." Das allerdings sind Zusammenhänge, die beispielsweise auch Menschen in Tintrup noch nicht gedämmert zu sein scheinen: "Natürlich sind die direkten Nachbarn des Rockerclubs aufgebracht, aber viele wissen gar nicht richtig, mit wem sie es da eigentlich zu tun haben", sagt Ortsvorsteher Thomas Spieker. "Der Kellner ist ja nicht blöd. Der stellt sich ja nicht mit dem Megafon hin und brüllt rechte Parolen. Und so lange die ihr Ding im stillen Kämmerlein machen, ist manchen das auch einfach egal." Eine fatale Haltung, so sieht es die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus: "Es ist wichtig, zu sagen, dass man anderer Meinung ist. Man darf nicht schweigen." Wer sich beraten lassen möchte, kann sich unter Tel. (0 52 21)1 74 57 26 melden.

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