Europapolitiker zum Ukrainekrieg

„Die EU ist stärker, als viele meinen“

Interview: Elmar Brok, Mister Europa, beantwortet Fragen zum Ukrainekrieg und der Rolle Europas. Der CDU-Politiker sieht nur eine Person, die Wladimir Putin auf Augenhöhe akzeptieren würde. Er macht aber auch die Hindernisse deutlich.

Der CDU- und Europapolitiker Elmar Brok, der in Schloß Holte-Stukenbrock aufgewachsen ist, trägt nicht zu Unrecht den Beinamen „Mister Europa“. Seine Ansichten über alles, was mit Europa zu tun hat, sind weithin geschätzt. | © Knut Dinter

Gunter Held
25.04.2023 | 25.04.2023, 08:24

Herr Brok, gab es vor 2022 eine Annäherung zwischen der EU und Russland?

Elmar Brok: Nein, eine Annäherung gab es nicht. Es gab ein Energie-Abhängigkeitsverhältnis. Es war aber das volle wirtschaftliche Geschäft vorhanden mit Ausnahme der etwas leichtgewichtigen Sanktionen, die man wegen der Krim auf Grund der Aggression 2014 gemacht hatte. Und da haben wir gesehen, dass die nicht ausreichten, um Russland abzuschrecken.

Musste man mit einer solchen Aktion Putins rechnen? Gab es Hinweise?

Ja, die gab es seit langem. Es gab Äußerungen von ihm spätestens seit dem Sommer 2021, als er sein Papier veröffentlicht hatte, über die Geschichte Russlands und der Ukraine und in dem es hieß, dass die Ukraine kein Recht auf Eigenstaatlichkeit hat. Putin will das Zarenreich wieder errichten und da gehört seiner Ansicht nach die Ukraine dazu. Weiter hieß es, dass er die Eigenstaatlichkeit der Ukraine auch gewaltsam beseitigen könne. Das hat er geschrieben im Sommer 2021. Und die Aktion 2014 war die Vorbereitung darauf. Aber wir haben alle so getan, als ob wir das nicht merken, insbesondere die deutsche Politik. Wir haben im Vorfeld nichts getan, unsere Energieabhängigkeit abzubauen, und Putin glaubte, da die Deutschen Nordstream 2 unterschrieben haben – und zwar im Jahr 2015, also ein Jahr nach dem Vorfall auf der Krim – dass sie bei der Ukraine nichts machen werden, weil eben die Abhängigkeit besteht. Aber es war wohl auch für den Winter so geplant, dass Merkel abtrat und Biden ins Amt kam und der französische Präsident mitten im Wahlkampf steckte.

Angela Merkel wurde verschiedentlich vorgeworfen, Putin falsch eingeschätzt zu haben. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?

Die sind nicht korrekt. Ich weiß aus Gesprächen mit Angela Merkel, dass ihr bewusst war, dass der lügt. Dass er ganz Europa durcheinanderwirbeln will. Sie hat mir einmal nach einer Bundesvorstandssitzung gesagt: „Ich muss jetzt wieder ins Kanzleramt, weil ich ein Telefongespräch mit Putin habe. Und da habe jetzt schon ein flaues Gefühl, weil ich weiß, dass jeder Satz, den er mir sagt, eine Lüge ist.“ Sie hat aber versucht, ihn über das Minsk-Abkommen einzudämmen.

Glauben Sie, dass Putin mit einer so langen Auseinandersetzung gerechnet hat? Der hat doch auch Analysten in seinem Stab.

Tja, aber wie das oft in diktatorischen Staaten ist, werden unbequeme Wahrheiten nicht gesagt. Wir wissen heute, dass die Russen viel schlechter sind. Keiner hätte für möglich gehalten, dass die russische Armee so schlecht aufgestellt ist. Nicht von der Masse der Waffen her, sondern von der Art der Kriegsführung, von der Organisation, der Unfähigkeit, schnelle Entscheidungen in kleinen Gruppen zu treffen. Alles ist groß und zentralistisch geordnet. Und das funktioniert nicht, wie wir jetzt sehen. Ich behaupte heute, wenn Putin gewusst hätte, wie schwach seine eigenen Truppen sind, wie desorganisiert das alles ist – und wenn der Westen noch im Winter 2021/22 signalisiert hätte, dass wir stehen, das heißt, dass ernsthaft mit den Sanktionen gearbeitet wird und die Ukraine unterstützt wird. Wenn er die Lage gekannt hätte, dann hätte er das nicht gemacht. Deshalb auch immer wieder der Hinweis im Umgang mit Diktaturen: Man muss stark sein, Stärke zeigen und dann verhandeln.

Also hat Putin Europa unterschätzt, denn Europa steht – mehr oder weniger – zusammen gegen die russische Aggression.

Ja, wir haben Anlass gegeben, dass er die Lage einschätzt. Und das ist auch ein Hinweis für die Zukunft.

Hat sich das Konzept Wandel durch Annäherung vielleicht durch den wirtschaftlichen Erfolg Russlands erledigt?

Durch welchen wirtschaftlichen Erfolg? Russland ist keine Wirtschaftsmacht. Russland ist, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt und das Handelsvolumen mit uns kleiner als die Niederlande. Russland befindet sich von der wirtschaftlichen Situation her in den 80er Jahren. Die haben ein paar Großunternehmen, die Rohstoffe verkaufen, aber die haben keine sich selbst tragende Wirtschaft. Die haben keine moderne Industrie. China hat den Sprung zu einer sich selbst tragenden Wirtschaft geschafft. Russland nicht. Man lebt in Russland 50 Kilometer außerhalb Moskaus in den 80er Jahren.

Sie kennen das Schlagwort Krise als Chance. Ist diese Krise für Europa eine Chance, den oft fehlenden Zusammenhalt zu stärken oder droht sie, der EU die Existenzfrage zu stellen?

Ich bin relativ optimistisch. Wenn ich sehe, wie Europa zusammensteht, wie Impfstoffe geschaffen wurden, den Next-Generation-Finanzplan und dann das Zusammenspiel in der Ukraine. Das hat gezeigt, dass die Europäische Union sehr viel stärker als viele meinen. Und zweitens führt das hoffentlich auch zu der Erkenntnis, dass die EU unsere einzige Chance ist, wenn USA, Russland und China eine eigenständige Rolle spielen. Ich hoffe, dass wir daraus gelernt haben.

Wer gehört nach Ihrer Ansicht zu den Scharfmachern im Kreml? Außenminister Sergej Lawrow, der Warlord Jewgeni Prigoschin?

Prigoschin gehört sicherlich dazu. Lawrow ist ein Diplomat, der keine eigenständige Macht, keinen Einfluss hat. Das ist ein ausführender Diplomat. Das ist eines der Hauptprobleme. Früher in der Sowjetunion gab es eine Kontrolle der Generalsekretäre. Putin scheint fast eigenständig zu entscheiden. Völlig abgekoppelt von der wahren Welt. Es gibt keine Korrekturmechanismen und das ist sehr viel gefährlicher.

Wen würde Putin als Verhandlungspartner auf Augenhöhe akzeptieren?

Nur den amerikanischen Präsidenten. Aber der kann eigentlich nur Vermittler sein, denn der Verhandler kann nur der ukrainische Präsident sein. Das ist auch dieser Irrsinn, den wir in Deutschland immer diskutieren in all diesen Unterschriftenlisten: Wir müssen mit Putin verhandeln. Dabei muss doch klar sein, dass wir nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg verhandeln.