Gewappnet für den Blackout: Wenn es dunkel wird in Lippe

Kreis Lippe. Das Hochwasser im Ahrtal, der Hackerangriff aufs Klinikum, der Überfall Russlands auf die Ukraine mit den Folgen für den Gasmarkt und damit unsere Energieversorgung: &bdquo;Wenn man sich das alles vor Augen führt, dann merkt man erst mal so richtig, wie verwundbar wir doch eigentlich sind“, sagt Landrat Dr. Axel Lehmann. Und darum hat der Kreis Lippe sehr schnell nach dem 24. Februar den Arbeitskreis KRITIS gebildet, um sich für alle Fälle zu wappnen. &bdquo;Kritische Infrastruktur für den Kreis Lippe“, das ist es, worum sich alles in diesem Expertengremium dreht. Verwaltungsvorstand Sabine Beine hat die Leitung übernommen, und wie beim Krisenstab während der heiklen Corona-Phase jede Menge Experten an den Tisch geholt. &bdquo;Wir sind eine aufwachsende Gruppe“, sagt sie. &bdquo;Denn je mehr wir uns einem Themenbereich gewidmet haben, desto mehr Leute musste ich mit einbinden. Denn jedes Problem wirft neue Fragen auf.“ Dabei sind die Themenbereiche an sich recht übersichtlich: Strom, Gas, Kraftstoff, Funk und Alarmierung, Kommunikation, Warnung der Bevölkerung und Gefahrenabwehr, so lauten die Überschriften. Herausgekommen ist bis jetzt ein 40-seitiges Werk, in dem ziemlich detailliert auf jeden einzelnen Bereich eingegangen wird. Allerdings ist es nicht öffentlich, denn je mehr Informationen über die kritische Infrastruktur nach außen dringen, desto gefährdeter wird sie. Doch einiges gibt der Kreis dann doch preis. Notstromversorgung Wenn der Strom ausfällt, geht erst mal gar nichts mehr. Darum müssen Krankenhäuser und andere Betreiber kritischer Infrastrukturen mit Notstromaggregaten ausgerüstet sein. Und zwar nicht etwa vom Kreis Lippe, wie Dr. Lehmann betont: Jeder Betreiber sei dazu verpflichtet, selbst angemessene Vorkehrungen zu treffen, um weiter funktionieren zu können. &bdquo;Es ist nicht Aufgabe des Kreises Lippe, bestimmte Einrichtungen mit Notstromaggregaten auszurüsten. Wir haben die nicht auf Lager und verteilen die dann im Fall eines Blackouts – wer das denkt, liegt falsch“, betont der Landrat. Das gilt beispielsweise auch für Altenheime, aber auch für die einzelnen kommunalen Rathäuser und Feuerwehren. &bdquo;Wir wissen natürlich, dass der Markt leer gefegt ist, aber das können wir nicht ändern.“ Freilich hat der Kreis Lippe auch einige Notstromaggregate in seinem Besitz – für die wichtigen kreiseigenen Einrichtungen, es sind auch noch Geräte bestellt, um beispielsweise die Rettungswachen versorgen zu können. Mobile Geräte müssten beispielsweise bei einem längeren Blackout dazu genutzt werden, Wasser in Hochbehälter zu pumpen. &bdquo;Solange die voll sind, läuft das Trinkwasser von selbst, aber wenn die leer werden, geht es nicht anders“, sagt Sabine Beine. Abgesehen davon ist die Stabsleiterin etwas beruhigter, seit sie mit den großen überregionalen Stromversorgern gesprochen hat. Auch ein Vertreter von Tennet saß mit am Tisch: &bdquo;Einen kompletten Blackout über längere Zeit hinweg halten die für sehr unwahrscheinlich, weil das Stromnetz in Segmente unterteilt ist, die sich unabhängig voneinander schalten lassen.“ Wobei Blackout ein sehr definierter Begriff ist: &bdquo;Der große Stromausfall im Münsterland wegen des Schneefalls vor einigen Jahren war beispielsweise gar kein Blackout, weil er zu sehr regional und zeitlich begrenzt war.“ Die Experten gingen davon aus, dass ein Stromausfall maximal 72 Stunden andauern würde. Kraftstoffversorgung Doch was nützt eine Batterie von Notstromaggregaten, wenn der Kraftstoff alle ist? – Auch hier muss der Kreis sicher stellen, dass nicht nur die Geräte, sondern auch die Fahrzeuge sämtlicher Einsatzkräfte von den Rettungswagen über die Feuerwehr bis hin zur Polizei genügend Diesel haben. Damit Tankstellen funktionieren, brauchen auch sie ein Notstromaggregat. Bei zehn Tankstellen. Über das gesamte Kreisgebiet verteilt, ist genau das gewährleistet. Welche das sind, wird nicht verraten. Darüber hinaus hat der Kreis Zugriff auf Kraftstofflager – insgesamt 260.000 Liter Diesel sind eingelagert. Außerdem steht auch noch eine mobile Tankstelle mit 4000 Litern zur Verfügung. Überdies ist der Kreis Lippe auch dabei, mit dem Bundeswehrstandort in Augustdorf auch auf diesem Feld eine Kooperation abzustimmen. Gesundheitsfürsorge Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, und dazu gehören neben Krankenhäusern auch Pflegeheime und Wohneinrichtungen, sind verpflichtet, ein Notfallkonzept vorzuhalten, in dem alle Fragen der Versorgung geklärt sind. Die Kassenärztliche Vereinigung ist für die hausärztliche Versorgung zuständig, und sie führe derzeit eine Risikoanalyse durch, berichtet Sabine Beine. &bdquo;Wichtig ist, dass nicht plötzlich das Klinikum überrannt wird“, betont Dr. Lehmann. Selbstverständlich halte das Klinikum einen Krankenhausalarmplan vor. Und dank des jüngsten Hacker-Angriffs habe das Personal ja auch schon mal üben müssen, wie man analog arbeitet, fügt er mit einem schiefen Lächeln hinzu. &bdquo;Aber die Kapazitäten sind begrenzt, und es kann nicht sein, dass plötzlich Hunderte von Menschen eingeliefert werden, weil entsprechende Einrichtungen sich nicht richtig vorbereitet haben." Sehr problematisch ist dabei auch die Zahl der Lipper und Lipperinnen, die auf elektrisch betriebene medizinische Gerätschaften angewiesen sind, wie etwa die Dialysepatienten oder diejenigen, die zuhause beatmet werden. &bdquo;Es gibt dafür keine Meldepflicht, und hier macht uns der Datenschutz derzeit noch einen Strich durch die Rechnung“, beklagt Sabine Beine. Darum appelliert der Kreis eindringlich an alle Angehörigen Betroffener, sich von sich aus zu melden, um sich freiwillig registrieren zu lassen. Auf diese Weise habe der Kreis zumindest eine Chance, zu helfen. Meldungen erbittet der Kreis per E-Mail an folgende Adresse: Notfallvorsorge@kreis-lippe.de Kommunikation Gut und schön, wenn die Rettungsdienste und Behörden Strom haben und arbeiten können – sie müssen die Botschaften auch an den Mann und die Frau bringen. Erste Warnsignale kann der Kreis über die stationären Sirenen absetzen, aktuell stehen 180 im gesamten Kreisgebiet, und solange das Mobilfunknetz noch funktioniert, lassen sich auch die Warnapps und das Cell-Broadcast-System einsetzen, aber spätestens, wenn das Netz komplett weg ist, helfen auch sie nicht. Wenn das Mobilfunknetz und das Internet mangels Strom in der Region ausgefallen sind, wird Kommunikation ein kompliziertes, und technisch sehr einfaches Geschäft: analog eben. &bdquo;Wir können natürlich Fahrzeuge mit Lautsprechern durch die Straßen schicken, um die Bevölkerung zu informieren“, sagt Landrat Dr. Lehmann. &bdquo;Aber das wird ja nicht reichen. Also muss der Kreis sich ein vernünftiges Boten-System überlegen. Und alle Beteiligten sollten über ausreichend Papier und Stifte verfügen, es sei denn, sie hätten noch eine mechanische Schreibmaschine irgendwo herumstehen. Und damit auch alles seine Ordnung hat, wird es sogar für den Fall der Fälle Formblätter geben, die hat das Bundesamt für Bevölkerungs-und Katastrophenschutz bereits entwickelt. Untereinander könnten sich die Behörden noch mit Satellitentelefonen erreichen – &bdquo;sofern der Satellit nicht überlastet ist, das hat ja noch niemand ausprobiert“, sagt Sabine Beine. Kurbelradio Da wäre dann auch noch das Radio: &bdquo;Ich persönlich habe mir ein kurbelbetriebenes Radio angeschafft“, erzählt die Fachfrau. Denn es bleibt die Hoffnung, dass zumindest die öffentlich-rechtlichen Sender sendefähig bleiben. &bdquo;Das dürfte mit dem Bielstein-Sender auf jeden Fall klappen“, meint Fritz Köller, Radiotechnikermeister aus Rischenau. &bdquo;Der hat dadrunter einen Riesen-Notstromaggregat.“ Das mit dem Kurbeltelefon hält er übrigens nicht für nötig: &bdquo;Es reicht, wenn Sie ein batteriebetriebenes Gerät haben und ein 30-er Pack Batterien in ihren Notvorrat packen.“ Wenn man dann die Lautstärke nicht so hoch drehe und nicht ununterbrochen am Geräte hänge, käme man schon eine Woche oder zwei hin, meint er. Wer sich aber nicht auf den Rundfunk verlassen und direkt Informationen haben will, der kann einen der &bdquo;Leuchttürme“ aufsuchen. Die werden von den 16 Kommunen eingerichtet, in der Regel in den Rathäusern beziehungsweise dezentral in den ohnehin mit Stromaggregaten ausgerüsteteten Feuerwachen und Feuerwehrgerätehäusern. Einige Kommunen denken auch daran, die Dorfgemeinschaftshäuser zu nutzen, sofern sie sich heizen lassen.Hier könnten auch Wärmehallen entstehen. Viele Kommunen setzen allerdings auch auf Nachbarschaftshilfe, wer einen Holzofen hat, kann auch den Menschen nebenan etwas Wärme bieten. Und auch Zuspruch, gerade für ältere und alleinstehende Menschen sicher genauso unverzichtbar wie ein Raum zum Wärmen und ein warmer Tee.

Meistgelesen