Oerlinghausen

Richtig lecker nach dem Frost

Wildkräuterküche (letzter Teil) Schlehdorn als Vitaminspender

Typisch blau: Die Früchte des Schlehdorns. | © FOTO: JOCHEN KELLE

Sigurd Gringel
02.01.2015 | 02.01.2015, 09:32

Oerlinghausen. Die berühmte Gletschermumie "Ötzi" weist eine Schädelfraktur auf. Spezialisten können zudem Karies, Gallensteine und sogar eine Laktoseintoleranz nachweisen. Folgen eines Vitaminmangels konnten die Forscher bislang nicht finden. Im Gegenteil. Der Mann, der in der Jungsteinzeit lebte, trug die lebenswichtigen Stoffwechselregulierer bei sich - die Früchte des Schlehdorns.

Sie waren eine gute Winternahrung. Die Beeren enthalten viel Vitamin C, Gerb- und Bitterstoffe und organische Säuren. In Pfahlbauten wurden Schlehensteine gefunden. Die Kräuterpädagogin Susanne Weihsbach hält auch mehr als 5.000 Jahre nach Ötzi viel vom Schlehdorn. Heute wohnt sie in Lipperreihe, als Kind aber im Kasseler Raum. In einer Gegend, in der es sehr viele Kalkhänge mit sonnigen Hecken gibt. An solchen Orten ist der Schlehdorn (lateinisch prunus spinosa) oder auch Schwarzdorn genannt beheimatet. Er ist ein Rosengewächs.

"Im Herbst haben wir die blauen Früchte mit der weißen Wachsschicht gesammelt und uns gegenseitig kaputt gelacht, wenn uns der Mund zusammen zog, und wir komische Gesichter machten", erinnert sich Weihsbach. Damals erzählte ihr die Großmutter, dass sich das Aroma der Früchte erstaunlich verbessert, wenn der erste Frost kommt. "So lange haben wir nicht gewartet. Die Beeren landeten in der Kühltruhe und wurden vernascht." In der Natur werden die Früchte nach dem Frost schnell weich und werden gerne von den Vögeln gefressen. "Das ist auch gut so", findet die Kräuterexpertin. Denn die Früchte der Schlehe zählen neben anderen Wildfrüchten zu wichtigem Winterfutter. Deshalb empfiehlt Weihsbach im Umgang mit allen wilden Pflanzen, nur für den Hausgebrauch zu ernten. "Alles, was über dem Kopf wächst, gehört den Vögeln."

Typisch für den Schlehdorn sind die in spitze Dornen auslaufenden Seitenzweige und die schwarzen Zweige. Wer sich sticht, kann seine Wunden mit Spitzwegerich behandeln, rät Weihsbach. "Die Schlehe blüht wundervoll weiß, lange bevor die anderen Sträucher aus den Startlöchern kommen."

Fotostrecke


2 Bilder
Richtig lecker nach dem Frost

Früher habe es sehr viel mehr Schlehdornhecken gegeben, und Weihsbach plädiert dafür, dieses Rosengewächs auch heute im Garten anzusiedeln "wo immer es passt". Denn es bietet zusammen mit Hagebutten und Weißdorn ein ideales Versteck und Brutstätten für Vögel. Die Zeiten, in denen Weiden und Höfe von diesen Büschen umzäunt waren, sind vorbei, weil die Wurzelausläufer bei mangelndem Nachschnitt dafür sorgten, dass sich die Hecken derart verdichteten, dass die Schutzfunktion erlosch.

Das harte Holz diente früher als Material für Gehstöcke und mit den Dornen wurden Wurstdärme zugenäht. In den modernen Wildkräuter-Kochbüchern werden die Dornen als Spießchen für Fingerfood aus dem wildem Kraut genutzt.

Wer mächtigen Schlehdorn sehen will, kann einen Ausflug zum Gradierwerk nach Bad Salzuflen machen. Dort rieseln täglich bis zu 600.000 Liter Sole über Schwarzdornwände, zerstäuben dabei zu feinstem Nebel und bilden ein Klima wie am Meer. "Eine Wohltat, daran vorbei zu gehen", sagt Weihsbach. Der Schlehdorn kam früher aus dieser Gegend, heute wird er mit Lastwagen aus Polen nach Bad Salzuflen transportiert.

Nicht wenige Menschen glaubten früher, dass in den weiß blühenden Hecken die Geister wohnten. Und auch in die sogenannten Bauernregeln hat der Schlehdorn Einzug gefunden: "Ist die Schlehe weiß wie Schnee, ist?s Zeit, dass man die Gerste sä?"; "Je früher der Schlehdorn blüh?, je früher die Erntemüh?"; "Steht der Schlehdorn früh im Blütenschein, wird vor Jakobi (25. Juli) schon die Ernte sein" oder "Wenn an Michael (29. September) die Schlehen blauen, muss man nach den Trauben schauen".

Wer sich für das Färben interessiert, weiß, dass sich der rote Farbstoff in der Rinde mit viel Ausdauer dafür eignet ist, Wolle und Leinen zu färben.

Und noch weitere Details zum Schlehdorn hat Susanne Weihsbach parat: So ist die heutige Pflaume eine Züchtung aus der Schlehe und der Kirschpflaume und stammt wohl aus Persien. Aus den Schlehensteinen kann man sich ein Körnerkissen füllen. Das verbreitet eine wohltuende Wärme und soll so gegen Hexenschuss und Gliederschmerzen helfen.

Zuletzt erschienen

Beifuß
Gänseblümchen
Spitzwegerich
Knoblauchsrauke
Giersch
Gundermann
Bärlauch
Japanischer Flügelknöterich
Mädesüß
Wiesen-Bärenklau
Schafgarbe

INFORMATION


REZEPTE: Marmelade oder Likör

Zur Verarbeitung der Früchte zu Marmelade müssen die Schlehen mindestens ein halbes Jahr in die Kühltruhe, damit sie weniger herb werden.

Einfacher gelingt der Schlehenlikör, denn dafür können die Schlehen direkt vom Busch oder aus der Truhe genommen werden.

Dazu 300 Gramm gewaschene Schlehen mit 150 Gramm Kandis oder braunem Zucker, eine Flasche Doppelkorn oder Wodka und einer Vanilleschote in einem gut verschlossenem Glas mindestens zwei Monate ziehen lassen. Zwischendurch schütteln. Die Früchte müssen nicht abgesiebt werden.