Oerlinghausen

Jens Spahn kommt zu Besuch

Der Bundesgesundheitsminister hat die Einladung der Palliativpflegerin Christina Michel angenommen und spricht mit ihr über Probleme in diesem Bereich.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn besucht Palliativpflegerin Christina Michel in Helpup. Für den Besuch des Ministers hat sich der CDU-Landratskandidat Jens Gnisa (l.) eingesetzt. | © Gunter Held

Gunter Held
27.08.2020 | 27.08.2020, 21:30

Oerlinghausen. Währentruper Straße, 10 Uhr vormittags. Eine kleine Wagenkolonne aus drei Fahrzeugen rollt langsam an das Haus mit der Nummer 21 heran. In der Mitte ein gepanzerter Audi A 8. Verdunkelte Scheiben im Fond, Blaulicht auf dem Dach. Die drei Wagen halten, Sicherheitsleute steigen aus, eilen auf die mittlere Limousine zu. Der entsteigt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Zusammen mit Jens Gnisa, Landratskandidat der CDU bei der Kommunalwahl am 13. September, und Lars Brakhage, dem CDU-Kreisvorsitzenden, geht Spahn auf das Haus zu.

Der Bundesgesundheitsminister in Helpup? Wo doch die Maßnahmen gegen Corona ihn ständig in Beschlag nehmen . . . Spahn hat sich trotzdem die Zeit genommen. Auslöser war ein Artikel in der Neuen Westfälischen. Dort wurde von einem Brief berichtet, den die Palliativpflegerin Christina Michel dem Gesundheitsminister geschrieben hatte. Sie lud ihn ein, mit ihr einmal über den Arbeitsalltag zu sprechen, der durch Corona massiv verändert wurde. „Ich habe nie damit gerechnet, dass Herr Spahn tatsächlich kommt“, sagt sie – und geht schnell noch eine rauchen. Die vierte Zigarette in einer halben Stunde. Aufgeregt? „Das ist für mich alles irreal. Ich kann das gar nicht fassen.“

Palliativpflegerin Christina Michel erzählt von der Arbeit. - © Gunter Held
Palliativpflegerin Christina Michel erzählt von der Arbeit. | © Gunter Held

Auf dem Weg zum Haus will Spahn sich sein Sakko zuknöpfen. Der Knopf springt ab. „Oh, da bin ich wohl zu dick“, sagt er. Einer der BKA-Beamten, die für Spahns Sicherheit verantwortlich sind, hebt den Arm, spricht in das Mikro am Handgelenk: „In der Einfahrt muss ein blauer Sakkoknopf liegen. Schaut mal, ob ihr den findet“, weist er seine Kollegen an. Vier Sicherheitsleute begleiten den Minister. Er gilt als gefährdete Person. Schon eine halbe Stunde vor seiner Ankunft, hat sich ein BKA-Beamter den Weg und das Zimmer angeschaut, in dem Spahn sich aufhalten wird.

Heike Dilk hat Erfahrungen mit der Palliativpflege gemacht. - © Gunter Held
Heike Dilk hat Erfahrungen mit der Palliativpflege gemacht. | © Gunter Held

Das Haus, wunderschön gelegen, mit einer großen Rotbuche im Garten, gehört Ruth Schröder. Auch ihre Tochter Heike Dilk und deren Mann Christian leben dort. Und bis zum 21. Mai wohnte auch Wulf Schröder in seinem Elternhaus.

Er war an Krebs erkrankt. Endstadium. Anfang des Jahres wurde er noch einmal operiert. Das hat alles nichts genutzt. Mitte März kam er zurück nach Helpup und wurde dort von der Palliativpflegerin Christina Michel versorgt. Die eigentliche Pflege haben seine Mutter, seine Schwester und deren Mann übernommen. „Es war für uns gar keine Frage, dass er hier zuhause sein Leben beenden würde“, sagt Heike Dilk. „Er hat seine Situation angenommen und sich bis zuletzt seine Würde erhalten. Er war immer dankbar und hat das auch gezeigt“, sagt Dilk. Wulf Schröder ist 49 Jahre alt geworden. Die Trauerfeier fand unter der Rotbuche statt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hört zu. - © Gunter Held
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hört zu. | © Gunter Held

Jens Spahn hört aufmerksam zu. Auch, als Christina Michel ihm von ihrer Arbeit berichtet. 1.000 Palliativpatienten werden im Kreis Lippe betreut – von einem Palliativ-Pflegedienst. Sie berichtet von Dingen, die über das eigentlich Pflegerische hinausgehen. Von der Zeit, die sie sich für Gespräche mit den Todkranken nimmt – und die nicht abgerechnet werden können. Von Akkupressur, mit der sie manchem Linderung verschaffen kann – und die ebenfalls nicht abgerechnet werden können. „Wenn man mit dem Herzen dabei ist, dann sind solche Dinge selbstverständlich. Palliativpflege ist eben mehr, als nur die stärksten Schmerzmittel zu verabreichen.

1.000 Patienten – und ein Pflegedienst

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Mitte) mit Christina Michel (v. l.) Jens Gnisa, Lars Brakhage und Heike Dilk – alle mit coronabedingtem Abstand. - © Gunter Held
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Mitte) mit Christina Michel (v. l.) Jens Gnisa, Lars Brakhage und Heike Dilk – alle mit coronabedingtem Abstand. | © Gunter Held

Ob die Nachfrage das Angebot übersteige, möchte Spahn wissen. Eindeutiges „Ja“. Als er nach dem Alter der Patienten fragt, die Michel „Klienten“ nennt, lässt ihn die Antwort für einen Moment verstummen: 3 bis 60 Jahre.

Er möchte auch wissen, ob der Familie geholfen wurde, als Wulf Schröder aus dem Krankenhaus heraus musste, weil dort für ihn nichts mehr getan werden konnte. „Ja“, sagt Heike Dilk, „Hilfe haben wir bekommen.“ Aber sie hätten wohl auch Glück gehabt, weil der Hausarzt gleichzeitig auch Palliativmediziner sei.

Michel spricht die Arbeitsbelastung an, die der Beruf mit sich bringt. Man müsste den Beruf attraktiver machen, sagt sie. Spahn stimmt ihr zu und berichtet von zahlreichen Aussteigern aus dem Pflegeberuf. „Ich sage dann, dass es mehr Personal geben würde, wenn nicht so viele aussteigen würden oder mehr in den Beruf zurückkehrten.“ Da spiele auch der Verdienst eine Rolle. Eine Prämie für Menschen, die in den Pflegeberuf zurückkehren, lehnt er ab. „Das wäre ein Schlag ins Gesicht für alle, die dabei geblieben sind.“

Schnell sind die 25 Minuten um, die Spahn für den Besuch angesetzt hat. Er lobt die Münsterländer Himmelstorte mit den hellblauen Zuckerstreuseln und kann sich eine Bemerkung nicht verkneifen: „Sie haben ein Faible für blau, nicht wahr“, fragt er Michel.

Schnell noch ein Selfie mit dem Minister, dann muss Jens Spahn los. Um 11 Uhr ist eine Videokonferenz mit der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten angesetzt.

Christina Michel hat sich etwas beruhigt – und geht erst einmal eine rauchen.


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