
Von
Karin Prignitz
08.11.2018 | 08.11.2018, 06:06
Oerlinghausen
Stadtbuchaktion: Die Autorin des Oerlinghauser Stadtbuches 2018 liest im evangelischen Gemeindehaus vor rund 90 Zuhörern. Sie selbst begleitet seit acht Jahren Sterbende
Oerlinghausen. Wie begegnet man einer Frau, die höchstens noch ein halbes Jahr zu leben hat? Fred Wiener glaubt es zu wissen. Der alleinerziehende Vater des 13-jährigen Phil hat sich zum Sterbebegleiter ausbilden lassen. Autorin Susanne Pásztor hat Fred in ihrem Roman „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, das als Stadtbuch 2018 in Oerlinghausen ausgewählt worden ist, die störrische, stolze, eigensinnige Karla zur Seite gestellt. Schon beim ersten Gespräch lässt sie ihn auflaufen.
Susanne Pásztor (gesprochen Pastor) ist selbst seit acht Jahren ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Ein langsames Hineinwachsen in die Aufgabe sei es gewesen, berichtete die freie Autorin und Übersetzerin bei der Auftaktveranstaltung der Stadtbuchaktion im evangelischen Gemeindehaus. „Die ersten Male sind immer holprig.“ Ganz normal sei es, dass ein wenig Nervosität beim ersten Anruf, beim ersten Besuch dabei sei. „Stimmt die Chemie? Bin ich willkommen?“ Fragen, deren Antworten sich im Miteinander ergeben. Die gebürtige Soltauerin lebt mit ihrer Familie in Berlin. „Ich habe ein tolles Leben, ein funktionierendes Umfeld.“ Also fasste sie den Entschluss, etwas zurückzugeben. „Es war Zeit für ein Ehrenamt.“ Weil Sterben gefühlt immer woanders stattfinde, habe sie das Thema neugierig gemacht, berichtete die 61-Jährige vor knapp 90 Zuhörern. Viele Sterbende hat sie seither begleitet und sie wird es weiterhin tun, „weil es sich richtig anfühlt“.
Für sie persönlich seien die Besuche keineswegs belastend. „Der Tod ist zu einem Teil meines Lebens geworden, ich kann die Belastung gut aushalten.“ Was bleibe, sei stets die Dankbarkeit, diesen Menschen gekannt und ihm den letzten Weg ein bisschen wärmer gestaltet zu haben. Authentisch nahm Susanne Pásztor (ihr Vater stammt aus Ungarn) das Auditorium mit in die Gefühlswelten ihrer Protagonisten. Dass der pubertierende Phil einen so breiten Raum im Buch einnehme, sei so gar nicht geplant gewesen. Die Geschichte habe sich beim Schreiben aber verselbstständigt, erläuterte die Autorin.
„Ich wollte einen Jugendlichen haben, der Fred und Karla zur Seite steht.“ Jugendliche seien in der Regel von großer Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang mit dem Sterbenden. Dass sich auch die Vater-Sohn-Beziehung im Buch entwickelt, „hat mich selbst erstaunt, aber auch erfreut“. Pásztor versteht es, das schwere Thema Sterben mit Leichtigkeit und zwischendrin immer wieder mit einer Prise Humor zu vermitteln. Wie es zu dem Titel gekommen sei, möchte eine Zuhörerin wissen. „Eigentlich sollte das Buch Karla und Fred heißen“, verriet Susanne Pásztor. Dieser Titel wäre aber wenig aussagekräftig gewesen. Also habe man das Ritual, ein Fenster zu öffnen, aus dem die Seele fliegen kann, aufgegriffen. Auch wenn das wohl nicht so sei, „ist es doch ein schönes Bild und ein hilfreiches Ritual, eine beruhigende Zeremonie für die Lebenden“.
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