
Oerlinghausen. Es war im August 1956. Man sprach vom Wirtschaftswunder in Deutschland, der Bundeskanzler hieß Konrad Adenauer, der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Der sogenannte Kalte Krieg strebte dem Höhepunkt zu. Es gab den blutig niedergeschlagenen Volksaufstand in Ungarn, und es gab ein Wettrüsten des Westens gegen den Ostblock.
Da sorgte eine Nachricht in Oerlinghausen für großes Aufsehen. "Erzadern mit 75 Prozent Bleigehalt gefunden" titelte die Freie Presse, eine Vorgängerin dieser Zeitung in Oerlinghausen. Der Schlagzeile folgte ein weiterer journalistischer Paukenschlag direkt darunter: "Vermutungen über Uranfund".
Was war der Hintergrund? Arbeiter hatten im Steinbruch Uphof in Helpup, etwa auf der Hälfte zwischen Währentrup und Helpup, beim Kalksteinabbau für Straßenschotter einige "bläulich glitzernde Gesteinsbrocken" gefunden. Sie leiteten die Steine weiter an ihre Vorgesetzten, die wiederum die Proben an verschiedene Geologen sandten. Deren Analyse "schlug in Helpup wie eine Bombe ein" (Freie Presse). "Bleierz am Rande des Teutoburger Waldes" hieß es.
Das ganze Gelände am Uphof wurde bergpolizeilich gesperrt. Fachleute aus der Gegend von Goslar begannen damit, einen Stollen von 75 Metern Länge ins Erdinnere voranzutreiben. Aus Kreisen der Bergleute verlautete damals, man rechne mit einem 70- bis 80-prozentigem Bleigehalt der Gesteinsadern.
Und das Bleierz solle Uran enthalten. Die Geologen schwiegen sich aus, doch erstaunlicherweise forderten sie modernste Räumbagger und Winden an, die das Arbeitstempo beschleunigen sollten. Und die Harzer Bergleute machten viele gut bezahlte Überstunden. Die ersten vollen Erzwaggons hatten den Bahnhof Helpup bereits in Richtung Clausthal-Fernhausen verlassen. Doch dann wurde es still um den Bergbau in Helpup - es gab offenbar eine Nachrichtensperre.
Der Archäologe Karl Banghard, langjähriger Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums, hat intensiv zum vermuteten Blei- und Uranabbau in Helpup recherchiert. Er ist fest davon überzeugt: "Das Unternehmen ist vor allem durch den Kalten Krieg erklärbar". Er begründet seine Vermutung in einem wissenschaftlichen Beitrag für die "Universitätsforschungen zu Prähistorischen Archäologie" der Universität Münster mit dem Titel: "Kalter Krieg in Währentrup". Die übereinstimmenden Aussagen der beteiligten Personen sprechen nach seinen Angaben dafür, dass der Versuchsstollen nicht für die Prospektion von Blei ausgelegt war. "Ein bescheidenes Bleivorkommen rechtfertigt nicht den hohen Aufwand und ein so kostenaufwendiges Tempo". Am Uphof sei eine Barackenstadt als Unterkunft für die Bergbauspezialisten entstanden.
Und schließlich haben neue Forschungen die Uranvermutungen belegt. Karl Banghard: "2011 wurde das Gebiet mit einem Geigerzähler begangen. Überraschenderweise konnte dabei eine erhöhte Radioaktivität festgestellt werden."
Die Suche nach spaltbarem Material in Westdeutschland erreichte Mitte der 1950er Jahren einen Höhepunkt. Man benötigte dringend nukleare Waffen, um dem Gegner im Ostblock Paroli bieten zu können. Schließlich hatte die DDR mit dem Abbaugebiet Wismut das damals weltweit größte Uranabbaugebiet erschlossen und man belieferte von dort aus die Sowjets und deren Atomindustrie.
Eine hohe Uranausbeute aus Oerlinghausen hätte gut in die damalige westdeutsche Militärstrategie gepasst. Im Jahre 1955 wurde in der Bundesrepublik ein Atomministerium gegründet. Sein oberster Chef und Minister: Franz Josef Strauß.
Karl Banghard schreibt: "Der Atomminister Franz Josef Strauß wurde am 16. Oktober 1956 - wenige Tage nach der Währentruper Prospektion - Verteidigungsminister und damit Befehlshaber der frischgegründeten Bundeswehr. Dieser habe nicht die zivilen Zwecke des Urans, sondern die militärische Nutzung der Atomkraft im Sinn gehabt. Banghard: "Erst 1989 erfuhr die Öffentlichkeit in den Memoiren von Franz Josef Strauß von einem 1959 geschlossenen Geheimabkommen mit Frankreich und Italien zum Bau einer europäischen Atombombe."
Der Blei- und Uranabbau in Helpup wurde 1956 nach einiger Zeit wieder eingestellt, da offenbar die Ausbeute an spaltbarem Material zu gering war. Und außerdem gab es durch neue Funde in Australien, Brasilien und Afrika im Jahre 1957 ein hohen Überangebot auf dem Weltmarkt und einen völligen Verfall der Preise für nukleares Material.