Von
Silke Buhrmester
11.02.2016 | 29.05.2020, 18:41
Detmold
Leon Schwarzbaum und Justin Sonder sprechen über den Holocaust
Detmold. Leon Schwarzbaum und Justin Sonder – zwei Männer, die ein furchtbares Lebensereignis verbindet: das KZ Auschwitz. Sie sind 2 von 40 Nebenklägern im Prozess gegen den ehemaligen KZ-Wachmann Reinhold H. (94).
Leon Schwarzbaum kann nicht mehr. Das Fernseh-Interview im Detmolder Gemeindehaus der Martin-Luther-Gemeinde muss der Mann, der in wenigen Tagen 95 Jahre alt wird, abbrechen. „Die Überlebenden tragen Auschwitz in sich", hatte sein Anwalt Thomas Walther zu Beginn der Pressekonferenz erklärt.
Und auch wenn Schwarzbaum seine Holocaust-Geschichte schon so oft erzählt hat, wird er immer wieder von diesem Moment überwältigt: als er 1943 als 22-Jähriger nach Auschwitz deportiert wurde und von dem Häftling, der ihm die Nummer 95132624 eintätowierte, erfuhr, dass seine Eltern sofort nach ihrer Ankunft vergast worden waren. Mehr als 70 Jahre ist das her, doch die Details sind immer präsent: „Die Schornsteine spuckten Feuer, so hoch wie sie selbst. Wenn man das Feuer sah, wusste man, das waren Menschen, die da brannten. Man hatte immer den Tod vor Augen."
Leon Schwarzbaum entkam dem Tod. Doch als Läufer des Lagerältesten stand er stundenlang Wache und sah dabei die furchtbarsten Dinge: „Einmal fuhr SS-Sturmführer Schwarzhuber auf einem Motorrad, hinter ihm ein Lastwagen voller nackter Menschen auf dem Weg ins Krematorium. Sie schrien und weinten und hoben die Hände zum Himmel, ich bin fast ohnmächtig geworden vor Schock." Schwarzbaum konnte Auschwitz verlassen, weil er für die Zwangsarbeit bei Siemens ausgewählt wurde.
Zeitzeuge Leon Schwarzbaum erinnert sich an das KZ Auschwitz
Copyright: Dirk-Ulrich Brüggemann
Zeitzeuge Justin Sonder erinnert sich an das KZ Auschwitz
Copyright: Dirk-Ulrich Brüggemann
Zeitzeugin Erna de Vries erinnert sich an das KZ Auschwitz
Copyright: Dirk-Ulrich Brüggemann
Justin Sonder aus Chemnitz war gerade 16, als seine Eltern verhaftet wurden. Er selbst kam als 17-Jähriger ins KZ. Er erinnert sich minuziös: „Es war der 27. Februar 1943, 6 Uhr früh, als ich von zwei Gestapo-Leuten verhaftet wurde." 17 Selektionen habe er erlebt, sagt Sonder, splitternackt hätten die Häftlinge oft stundenlang gestanden und gewartet. „Und dabei hat man gedacht gelingt es dir noch einmal, Arbeitssklave für IG Farben zu bleiben, oder hast du nur noch zwei oder drei Stunden zu leben? Ich bin der deutschen Sprache nicht mächtig genug, um darzustellen, was in Auschwitz eine Selektion war."
Heute beginnt der Prozess, in dem Schwarzbaum und Sonder als Erste aussagen werden. „Mit gemischten Gefühlen", sagt Schwarzbaum. „Es spricht aus meinem Herzen, dass auch nach langer Zeit so ein Verfahren noch durchgeführt wird", sagt Sonder.
Beide Männer blieben auch nach dem Ende des Krieges in Deutschland. Leon Schwarzbaum eröffnete mit seiner Frau eine Kunsthandlung in Berlin. Justin Sonder kehrte zurück nach Chemnitz, war 40 Jahre bei der Kripo. „Darauf bin ich stolz. In Auschwitz waren wir eine Gruppe Juden, die sich als Deutsche fühlten. Wie haben uns vorgenommen: Wenn wir überleben, wollen wir uns für ein besseres Deutschland einsetzen."
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