Warburg-Ossendorf. Sergeant Benjamin Rosenbaum sitzt vor seinem Zelt. Die Hellebarde steht neben der Laterne, die Soldatenmütze mit dem geprägten Schild aus Blech hat der „Chef der Truppe“ abgelegt. Im zivilen Leben heißt Rosenbaum Nikolai Junk, stammt aus Westerburg im Westerwald und interessiert sich für Geschichte. Die Geschichte vor der Haustür.
Denn den Sergeanten vom Grenadier-Regiment Oranje Nassau Nummer 3, den gab es einst wirklich, erzählt Junk. Und sogar die Hellebarde, die er restauriert hat, gehörte vermutlich ihm, der einst zwischen der Großkaserne Dietz und Schloss Dillenburg im Wachwechsel unterwegs war. Authentizität, wie sie enger nicht sein kann, sagt er. Und dass er sich jetzt extra Urlaub genommen hat, um ein paar Tage im Heerlager in Ossendorf zu verbringen.
Mit rund 350 anderen Darstellern, die den Besuchern am Samstag und Sonntag, 30. und 31. August, die Zeitreise ermöglichen. „Vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert“, sagt Thomas Fuest. Er gehört zum Team der Ossendorfer, die das 1.175-jährige Ortsjubiläum seit mehreren Jahren vorbereitet haben und dem nächsten Wochenende entgegenfiebern. Gefühlt halb Ossendorf ist dafür auf den Beinen. Und das Biwak-Lager – unterteilt nach zeitlichen Epochen – füllt sich an diesem Morgen schon. Wir sind im 18. Jahrhundert, der Zeit der Schlacht um Warburg.
Gäste aus vielen Ländern Europas treffen sich bei Warburg
Während die einen wie Birgit Widler aus Marbach am Neckar, schon Zelt und Equipment aufgebaut haben und ganz entspannt an einem alten Webstuhl aus Schweden bunte Bänder webt, kommen andere gerade an. „Ach das sind die Niederländer“, kommentiert sie, als ein Auto mit Anhänger auf der Wiese vorbeifährt. „Aber die gehören in die nächste Epoche, das sind Husaren.“ Dann erzählt sie, dass sie sich das Weben selbst beigebracht hat. Und dass es Geduld braucht, bis so ein aufwendiges, mehrfarbiges Band mit Muster fertig ist.
Lesen Sie auch: 1.175-Jahr-Feier: Warburger Dorf plant riesiges Festgelände
Aber: Bänder brauchte man früher überall an der Kleidung. Gefragte Artikel also in der Zeit, als es weder Reiß- noch Klettverschlüsse gab. Wie schön und filigran diese bei Birgit Widler entstehen, davon können sich die Besucher des Lagers ein Bild machen. Und davon, wie detailreich die Darsteller sich in ihre jeweiligen Epochen hineingefuchst haben. „Ein Hobby, drei bis fünf Mal im Jahr“, sagt die Bandweberin. Aber gut zur Entschleunigung, sagt sie noch.
Flintstein-Skalpelle schärfer als heutige Versionen
Nebenan haben Daniela und Hansjörg Behr aus Baden-Württemberg schon ihre Auswahl an Feuersteinen aufgebaut. Sie werden geschlagen oder gedrückt, erklärt er. Und dass die Skalpelle mit den scharfen Flintsteinen schärfer seien als manche heutigen Skalpelle. Auch Zinnknöpfe – selbst hergestellt in einer selbst hergestellten Form – hat er auf Lager. In einem solchen Lager seien Händler von Feuersteinen unabkömmlich gewesen, weil die Steine für die Steinschlossgewehre der Soldaten gebraucht worden sein.
Ins Gefecht zieht Behr am Wochenende auch noch. Dann tauscht er die Handwerker- gegen die Jägerkluft und reiht sich ein in die Truppe der Darsteller. Dort wird sich auch Soldat Frank Klenk, ein „Musketier“, dem gerade „Soldatenbraut“ Melitta Haase den langen Haarzopf mit Tuch umwickelt, einreihen. Ebenso nebenan „Herr Major“ Mattias Michaler, der mit der Tochter der „Bandwerberin“, Pauline (7), scherzt.
Ossendorfer Kanoniere sind bestens vernetzt
Sie sind eine verschworene Gemeinschaft, die der Ossendorfer Stefan Kleinhans da zum Dorfjubiläum eingeladen hat. Kleinhans ist erster Kanonier im Schützenverein und in der Szene bestens vernetzt. Deshalb waren einige von den Darstellern auch schon vor 15 Jahren in Ossendorf gewesen. Und kommen gern wieder, wie Sabine Vix erzählt. Die Menschen seien „sehr freundlich und sehr hilfsbereit“.
Es gibt noch andere Handwerker wie Kerzenzieher, Seiler, Schmiede oder Hornbearbeiter, denen Besucher zuschauen und von denen zum Teil auch die Produkte erwerben können. Vor allem aber viel erfahren, wie es einst war. Und es sind ja noch viele andere Epochen da – und eine Blaulichtmeile, die historischen Landmaschinen, das Bühnenprogramm (auch mit Theater zur Schlacht bei Warburg mit Bernd Overbeck) und die Ausstellung aus dem Dorfarchiv.
Eine Menge zu entdecken in Ossendorf an diesem Wochenende für die ganze Familie. Das Lager am Samstag und Sonntag ist jeweils ab 11 Uhr geöffnet. Mehr im Internet: www.ossendorf-1175jahre.de