Warburg „Würdet Ihr euch nicht gefallen lassen“: Soldatin erklärt Schülern Krieg

Warburg. Kerzengerade sitzen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 auf ihren Stühlen. Die Hände auf dem Tisch. Vor der Tafel wirft Hauptmann Lena Lehmann über Presenter und Beamer die nächste Karte auf das White-Board. &bdquo;Die militärsche Lage in der Ukraine“, sagt sie. Geschwungene Pfeile in der Nähe der großen Städte des Landes, in dem Krieg ist, sind zu sehen. Rot und orange gekennzeichnete Flächen trennen Freund und Feind. Die Jugendoffizierin der Bundeswehr klärt auf – im Klassenzimmer. Eine Stunde hat die 33-Jährige Zeit, dann wird der Schulgong den etwas anderen Unterricht beenden. Lehmann stellt sich vor, beschreibt in der feldgrauen Heeresuniform ihren Werdegang, sagt, dass sie in Augustdorf stationiert sei, verheiratet mit einem Soldat und zeigt Bilder ihrer drei Katzen. Seit Kurzem gehöre auch ein Hund zur Familie. Ob jemand in den Bankreihen schmunzelt, verbergen die Masken, die im Raum alle tragen. Alle 20 Minuten öffnet Sowi-, Reli- und Philo-Lehrerin Ulrike Lissek-Jansen eines der Fenster.Die Ukraine, einst eine Sowjetrepublik, ist nah an Europa herangerückt. Das drückt das Bild der politischen Karte aus. Die Grenze zu Russland, die Grenzen zu den Nato-Mitgliedsstaaten. &bdquo;Im Jahr 1991 wurde das Land unabhängig“, sagt Hauptmann Lehmann. Der rote Punkt des Laserpointers wischt über einen Zeitstrahl zu Putins Rede 2007 bei der Münchener Sicherheitskonferenz. Das hatte der russische Präsident den Regierungschefs anderer Länder seine Sicht der Geschichte erschreckend offen präsentiert.Einmarsch auf der Krim 2014 der Einmarsch auf die Krim. Lehmann fragt nach. &bdquo;Eine Halbinsel“, die Antwort. &bdquo;Sewastopol der Hafen, ganzjährig eisfrei und daher strategisch wichtig für die russische Schwarzmeerflotte“, erklärt Lehmann und ergänzt, &bdquo;und den Handel“. Der Zugang zum Mittelmeer. Der Konflikt liege also schon länger zurück, fasst sie nach einer Viertelstunde zusammen.Russland werfe der Ukraine Genozid vor. Doch das entkräfte der Blick aus dem All. Ein Völkermord habe den Aushub von Massengräbern zur Folge, argumentiert die Soldatin. Und die wurden satellitentechnisch nicht entdeckt. Der Vorwurf &bdquo;also haltlos“. Putin habe die Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt. Zwei Tage später dann der Überfall. &bdquo;Das ist so, als würde bei euch jemand ein Stück des Gartens in Beschlag nehmen wollen, weil es eigentlich zu seinem Gebiet gehöre“, findet Lehmann ein Bild. &bdquo;Das würdet Ihr euch nicht gefallen lassen.“ Einer der Schüler aus der ersten Reihe findet den Vergleich mit der Schweiz. Wieder geht ein Fenster auf.Der Einmarsch, die Luftangriffe am 24. Februar. &bdquo;Habt Ihr eine Ahnung, was Russland von der Ukraine will?“. Den Namen Putin nennt sie nicht. &bdquo;Neutralität, Dezimalisierung und Entnazifizierung“, zählt Lehmann auf. Dabei sei der ukrainische Präsident Selenskyj doch Jude.Moral ist sehr groß Seit dem 4. März ist Mariupol komplett eingeschlossen. Die Stadt sei für Russland so wichtig, weil sie den Streifen zwischen der Ostukraine und der Krim sichere, in direkter Verbindung zu Luhansk. Der Schüler aus der ersten Reihe weiß weitere Details, auch vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der Kriegsverbrecher verurteilt. Ob ein Angriff schon ein Kriegsverbrechen sei, möchte jemand wissen. &bdquo;Völkerrechtswidrig“, nennt Lehman das Stichwort. Doch brauche man &bdquo;eine Weltarmee, um dieses Recht durchzusetzen“. Die Schüler schweigen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen, &bdquo;193 Staaten“, habe den russischen Einmarsch verurteilt. Im UN-Sicherheitsrat blockiere das Vetorecht, das die USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien hätten. &bdquo;Bis auf China die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs“, sagt ein kundiger Schüler. Daher sei das UN-Urteil &bdquo;eher symbolischer Natur“, sagt Lehmann. &bdquo;Die Moral der Ukrainer ist sehr groß“, doziert die Jugendoffizierin anerkennend. Sowohl Russland, als auch der Westen &bdquo;haben mit einer Art Blitzkrieg gerechnet“. Trotz Angebot habe der ukrainische Präsident nicht die Flucht ergriffen. Ein starkes Signal an die Landleute. &bdquo;Seit dem 6. April ziehen sich die russischen Truppen zurück, verlagern die Kämpfe nach Luhansk und Donezk“. 8.10 Uhr, Lehman schaut auf die Uhr und beginnt mit der Fragerunde, für die an diesem Donnerstagmorgen noch rund 20 Minuten bleiben. &bdquo;Wie kann es sein, dass sich die Ukrainer so lange zur Wehr setzen konnten?“ Ein Irrtum: Die russischen Soldaten an der Grenze, &bdquo;glaubten, die Ukrainer zu befreien, wenn man den Berichten glauben schenken darf“, schränkt Lehmann ein. Auch sei es strategisch unklug, Panzer in einer langen Reihe auf die Städte zurollen zu lassen, geht sie auf die militärische Taktik ein. &bdquo;Die Ukrainer wenden die Partisanentaktik an“, entgegnet der Schüler aus der ersten Reihe. &bdquo;Sie kämpfen um ihr Land, um ihr Hab und Gut und haben dies nationale Gefühl“, versucht Lehmann zu erklären. &bdquo;Unterschätzt von Russen und der westlichen Welt.“Freiwillige Kämpfer Und die freiwilligen Kämpfer, junge Leute aus anderen Ländern? Frau Hauptmann holt tief Luft, die Frage scheint ihr in den Klassenzimmern, die sie seit eineinhalb Jahren besucht, noch nicht gestellt worden zu sein. &bdquo;Sie helfen aus“, sagt sie, doch sei es schwierig, ausländische Söldner in die Befehlskette einzubinden. Allein schon wegen der Sprache. &bdquo;Bei den Russen dürfen die machen, was sie wollen“, ist sich der Schüler sicher. &bdquo;Wir halten uns an die Regeln des Krieges“, erwidert Lehmann. Da gebe es &bdquo;bestimmte Vorlagen, was man als Soldat tun darf und was nicht.“ Fotos oder Videos von Kriegsgefangenen auf Youtube hochladen, sei nicht richtig, bringt Lehmann den Gedanken auf ein anderes, den Jugendlichen bekannteres Gleis. Doch der Schüler bleibt diskussionsfreudig. Ob der Widerstand nur von der Armee ausgehe oder sich auch andere Einheimische beteiligten. &bdquo;Es sind viele junge Männer, die sich zur Wehr setzen“, sagt die Offizierin. Kontrolliert von der ukrainischen Regierung. Kommt es zum Atomkrieg? Löst der Konflikt einen dritten Weltkrieg aus? &bdquo;Interessante Frage“, schwenkt Lehmann auf die Schülerin um. &bdquo;Die Regierungen haben klipp und klar gesagt, solange Russland kein Nato-Land angreift, greifen wir nicht ein.“ Sie könne sich den Einsatz von Atomwaffen nicht vorstellen. Weil Russland ja die Kontrolle über das Land haben wolle. &bdquo;Und das können sie sich dann abschminken“, flüstert Schulleiterin Susanne Krekeler in der hintersten Bankreihe erlöst dem Presseoffizier ins Ohr. Sechs Szenarien Könnte Russland die Ukraine überhaupt kontrollieren? Lehmann seufzt, überlegt und wirft die Karte wieder auf die weiße Tafelwand. Russland konzentriere sich auf die Landzunge im Süden. Der Spiegel habe sechs Szenarien genannt, wie sich der Krieg entwickeln könnte, weicht sie aus. Und die Stimmung in der Bundeswehr, hat sie sich seit dem Krieg verändert? &bdquo;Bei den Kameraden, mit denen ich gesprochen habe, nicht wirklich“, die knappe Antwort.Aus der Mitte der Stuhlreihen kommt ein Jugendlicher auf die Entnazifizierungsabsicht zurück. Ein Mitschüler springt ein, dass er das Argument Putins doch nicht ernst nehmen solle. Schüler eins spricht nochmals die Kriegsverbrechen an. Lehmann übernimmt: &bdquo;Wegen Butscha laufen die Ermittlungen, auch von der deutschen Staatsanwaltschaft“. Dass russische Soldaten ihre Ausrüstung manipulieren, hofft der Schüler noch und lässt nicht locker. &bdquo;Können Sie sich vorstellen, dass sie sie um Asyl bitten?“ 8.30 Uhr. Der Schulgong wird völlig ignoriert. Die Schüler sitzen kerzengerade, die Hände auf dem Tisch. Lehrerin Lissek-Jansen schleicht sich nach vorn, während zwei Schüler Guerilla-Taktiken klären. &bdquo;Selten, dass Schüler so gebannt zuhören“, unterbricht Lissek-Jansen und dankt &bdquo;für Besuch und die Expertise“. An die Tür klopft bereits der nächste Kurs. &bdquo;Zahlen, Daten, Fakten“, wirft sich Schulleiterin Krekeler noch schnell dazwischen.

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