Warburger Organist geht mit 95 Jahren in den Ruhestand

Warburg. Seine Augen machten ihm beim Notenlesen zu schaffen. Deswegen habe er den Spieltisch hoch oben auf der Orgelempore verlassen. Tasten, Manuale, Register und Pfeifen waren ihm über acht Jahrzehnte ein Zuhause. Samstags und sonntags in den Gottesdiensten, werktags bei Beerdigungen. Karl Kuchenbuch spielte die Orgel. "Den Organisten bemerkt man erst, wenn er nicht mehr da ist", sagt er. Die königlichen Klänge der Orgel - in der Kirche eine Selbstverständlichkeit. Als Kuchenbuch begann, wurden die Blasebälge, die den Wind in die unzähligen Pfeifen bliesen, noch getreten. Für Windmotoren wollten die Pastöre kein Geld ausgeben, "da gab es ja genügend Jungen, die zum Dienst herangezogen wurden", erinnert sich Kuchenbuch. Als Schüler bekam der junge Wünnenberger am Paderborner Gymnasium Theodorianum mit zehn Jahren Privatunterricht in Harmonielehre. "Welche Töne zu welchen passen und welche nicht", fasst er kurz zusammen. Ihm macht der Unterricht bei Lehrer Hans Humpert Spaß. Mit 15 saß er dann auf der Orgelbank von St. Antonius von Padua in seinem Heimatort. Lehrer am Gymnasium Marianum Der Krieg führte Kuchenbuch als Soldat nach Frankreich und Griechenland. "Verschont von allem", sagt er kurz. Er habe nie auf jemanden schießen müssen. Das ist dem späteren Familienvater wichtig. Drei Monate in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Remagen folgen. "Eine mörderische Zeit", sagt er. Zusammengepfercht mit 15.000 Menschen, die Amis waren mit der Versorgung überfordert. "Nur Weißbrot, das Wasser mit Chlor versetzt, der Einzelne ging in der Menge unter." In Göttingen studiert er Latein, Griechisch, Deutsch und Musikwissenschaft. Nach den beiden Jahren des Referendariats tritt Kuchenbuch 1952 eine Lehrerstelle am Gymnasium Marianum in Warburg an. Im altehrwürdigen Schulgebäude der Dominikaner zwischen den Städten "überall Stützbalken, der Kreuzgang halb zugemauert". Die Schwalbenestorgel im Kirchenschiff von "Maria in vinea" von polnischen Kriegsgefangenen, die dort untergebracht waren, angezündet. "Eine Nachfolgerin der ersten Orgel in der Hansestadt", weiß Kuchenbuch. Bereits am Ende des 15. Jahrhunderts genossen die Mönche klingendes Orgelspiel. 1525 bekommt auch die Neustadt-Kirche St. Johannes Baptist ein Instrument. Bezahlt von der Stadt. Abschied vom Orgeltisch: "Ein trauriger Moment" Kuchenbuch berichtet vom "Orgelschmaus", dessen Kosten in den Stadtanalen jener Zeit aufgelistet sind. "Es gab Hering. Eine Besonderheit", sagt Kuchenbuch. Beim Abschied lobt das Schuldirektorium Kuchenbuchs ungewöhnliche Beliebtheit und Autorität bei Generationen von Schülern. Als Lehrer und Erzieher habe er durch Gerechtigkeit, Humor und Liebenswürdigkeit eine Atmosphäre der Geborgenheit zu schaffen gewusst, ist im Juli 1988 in der Presse zu lesen. Ein passionierter Orgelspieler und Regisseur sehenswerter länderkundlicher und kunstwissenschaftlicher Filme, ist in dem Artikel weiter zu lesen. Der Abschied vom Orgeltisch: "Ein trauriger Moment", sagt Kuchenbuch. Es fehle doch etwas. Nach 80 Jahren gehöre es einfach zum Leben, beschreibt er bescheiden sein Engagement. An die Manuale der Orgel von St. Marien in der Altstadt hatte ihn in den 1950er Jahren Pastor Arnold Lessmann gebeten. "Er hat mich engagiert", sagt Kuchenbuch. Den Orgelspieler beim Blick ins Pornoheft erwischt Später sei auch Neustadtpfarrer Ludger Kruse auf ihn zugekommen. Er hatte seinen Orgelspieler beim Blick ins Pornoheft erwischt und ihn rausgeworfen. Kuchenbuch sprang ein und ließ nun auf den Orgeln beider Warburger Gemeinden das Lob Gottes erklingen. "Sonntags um sieben in der Frühmesse in der Altstadt, um neun das Hochamt in der Neustadt". Ab und zu habe auch eine Fahrt nach Volkmarsen angestanden. Seine drei Töchter hatten den Vater, dessen Gattin Liesel vor 22 Jahren verstarb, in den Stunden des Wochenendes oft vermisst. Nach der Pensionierung des Gymnasiallehrers "hatte mich die katholische Kirche dann fest im Griff", sagt er. Samstags um 19 Uhr die Messe in der Neustadt, sonntags um 9.15 Uhr das Hochamt in St. Marien, um 10.45 Uhr öffnet er den Orgelladen in der Kapelle des Seniorenheims an der Landfurt. "Dazu in der Woche drei, vier Beerdigungen". Bis zum Abschied vor wenigen Wochen. "Einen Orgelspieler in den 90ern gibt' auch nicht alle Tage", sagt Kuchenbuch. Jetzt sei er ein normaler Christ. Die eigene Entscheidung aufzuhören, habe sich zunächst als "Schock in der Seele" niedergeschlagen. Körperlich fühle er sich noch fit. 40 Jahre Training auf dem Tennisplatz, eine weitere Leidenschaft Kuchenbuchs. Froh, heil von der Orgelempore herunter zu kommen Karl Kuchenbuch kennt die Türme der Dorfkirchen. Mancher Aufstieg zur Orgelempore sei halsbrecherisch, sagt er. Verwinkelte Treppen, unterschiedliche Stufenhöhen. Oft sei er froh gewesen, wieder heil heruntergekommen zu sein. Seine Lieblingsorgel in der Region steht in Wormeln. Deren Klang komme der Idee der Liturgie besonders entgegen, hält er fest. Einst habe auch das Instrument in der Neustadt diesem Ideal entsprochen. Doch klängen heute die 2.712 Pfeifen "weder romantisch noch neobarock". Kuchenbuch vermisst die Fülle ihrer vormaligen Klanglichkeit. Und die Sandtner-Orgel in der Altstadt sei eine Konzertorgel, für den Gottesdienst eigentlich ungeeignet. Das den Gesang stützende Spiel sei eine Kunst. Er mag einen durchsichtigen polyfonen Stil. Unangemessene, ausladende, vollgriffige Akkorde sind nicht sein Ding. Das wurde besonders bei seinen Vorspielen deutlich, "die ich improvisierend erfinden musste". Da half die Harmonielehre aus der Schulzeit. Und die Liebe zur überreichen Musik Johann Sebastian Bachs. Zur Liedbegleitung habe er nur das Gotteslob, das Gesangbuch, auf dem Notenpult gehabt. Nur ein einziges Konzert hatte der Warburger Organist in seinen Jahren gegeben. Zum Pfarrfest in der Neustadt standen neben Bach Werke von Mendelssohn-Bartholdy auf dem Programm.

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