"Die Menschen suchen nach Werten"

Helmern. Es ist Schützensaison in der Warburger Börde. Bezirksbundesmeister Matthias Gockeln (44) lebt in Helmern und ist schon als junger Mann der Schützenbruderschaft beigetreten. Mit NW-Volontärin Viktoria Bartsch sprach er über die Bedeutung des Schützenwesens heute.Herr Gockeln, über 23 Jahre sind Sie Schütze und als Bezirksbundesmeister sind Sie für zwölf Bruderschaften im Altkreis Warburg zuständig. Was macht für Sie heute das Schützenwesen aus?Matthias Gockeln: Das kann ich mit einem Punkt gar nicht sagen. Generell wird das kulturelle Leben sehr von den Vereinen in den einzelnen Orten gestaltet. Die Ideale vom Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften sind Glaube, Sitte, Heimat - hierfür stehe ich ein. Mir macht es Spaß, Schützenfest zu feiern und mich für ein lebenswertes Dorf einzusetzen.Mit Grundsätzen Glaube, Sitte, Heimat scheint es schwer zu sein, junge Menschen zu begeistern. Wie steht es um den Nachwuchs in den Bruderschaften?Gockeln: Wir haben verschiedene Jugendabteilungen auf Bundes- und Bezirksebene. Außerdem gibt es viele Bruderschaften mit eigenen Jungschützenabteilungen. Das Thema mag an der einen oder anderen Stelle schon einmal aufkommen, aber Mitgliedergewinnung ist in jedem Verein ein Thema. Ich persönlich sehe die Neugewinnung nicht als ein Problem. Junge Menschen aber für die Vorstandsarbeit, und damit aktiv in die Arbeit einzubinden, ist schon schwieriger.Was glauben Sie, woran liegt das?Gockeln: Das hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen, wie dem demografischen Wandel oder dem Wandel des Arbeitslebens. Viele haben nicht mehr die Zeit, um sich ehrenamtlich zu engagieren.Anlässlich des Unglücks in Marsberg: Gibt es Kanoniere im Altkreis Warburg?Gockeln: Erst einmal gilt unser tiefes Mitgefühl natürlich allen Betroffenen und besonders den Angehörigen vor Ort. Wir haben hier keine Bruderschaft, die Kanonen hat. Dafür gibt es aber Böller-Schützen in Dringenberg. Wenn es um das Thema Schießen und Böllern geht, ist natürlich immer Vorsicht geboten. Man ist aber nicht dagegen gefeit, dass so etwas passiert.Wäre es dann nicht einfach konsequent, sogar ganz auf das Schießen und Böllern zu verzichten?Gockeln: Man muss natürlich erst einmal abwarten, was die Untersuchungen ergeben. Eine Tradition aufgrund diesen einen schrecklichen Vorfalls aufzugeben, wäre schade.Welche Bedeutung hat das Schießen für das Schützenwesen heute?Gockeln: Das hat viel mit Tradition zu tun. In Marsberg ist es zum Beispiel ein Zeichen für den Start des Schützenfestes.Könnten Sie sich ein Schützenfest ohne Schießen und Böllern vorstellen?Gockeln: Das Schützenwesen stammt ursprünglich aus dem Mittelalter und den Bürgerwehren. Damals hat das Verteidigen eine wichtige Rolle gespielt und ist auch heute noch identitätsstiftend für das Schützenwesen. Einen Schützenverein ohne das Schießen auf den Vogel kann ich mir nicht vorstellen.Das Schützenwesen hat aber auch viele Kritiker.Gockeln: Wir sind eine Vereinigung, die sehr stark von Traditionen lebt, und haben dadurch eine Beständigkeit. Die fehlt vielen Menschen heute und sie suchen auch nach Werten, die über jahrhundertlang andauern. Wir haben solche Werte und möchten ein Stück weit Orientierung bieten in dieser schnelllebigen Zeit. Als Schützenbruderschaft haben wir die Chance etwas zu bewahren, dass schon unsere Väter auch für wichtig erachtet haben. Und da gehört das Schießen dazu.Muss man sich nicht manchmal von bestimmten Traditionen trennen, um noch zeitgemäß zu sein?Gockeln: Selbstverständlich. Auch beim Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften wird das bereits diskutiert. Aber das, was wirklich identitätsstiftend ist, müssen wir bewahren.Ein Schützenfest wäre beispielsweise ohne Frauen nicht denkbar. Wie kann es sein, dass Frauen in einigen Vereinen heute noch kategorisch ausgeschlossen werden?Gockeln: Viele Bruderschaften haben sich bei diesem Thema bereits geöffnet. In Borgentreich haben wir zum Beispiel eine Brudermeisterin. Ich habe keinerlei Vorbehalte gegenüber Frauen im Schützenwesen, aber man muss wissen, dass sich durch das Mitmarschieren der Frauen auch etwas der Charakter des Schützenfestes verändert und damit tun sich einige Schützenbrüder schwer.Das Klischee, dass beim Schützenfest nur Bier getrunken wird, hält sich hartnäckig. Was sagen Sie dazu?Gockeln: Wir feiern das Schützenfest, das hat auch mit Bier zu tun. Dass es Exzesse in unserer Gesellschaft gibt, kann man nicht verschweigen. Das Schützenfest ist dafür aber nicht das Paradebeispiel. Die Schützen sind seit vielen Jahren in diesen Bereich präventiv unterwegs.Was sagen Sie den Schützen-Kritikern?Gockeln: Stellen Sie sich eine Gesellschaft ohne das Schützenwesen vor, wie viel ärmer wäre das Dorfleben dann?Angenommen, Sie wären nicht auf einem Dorf oder einer kleinen Stadt, sondern in einer Großstadt wie Köln oder Berlin aufgewachsen, glauben Sie, sie wären dann auch Schütze geworden?Gockeln: Das kann ich so nicht beantworten. In vielen Ortschaften im Kreis Höxter wird das Leben von den Schützenvereinen maßgeblich mitgestaltet, ob ich in städtischen Regionen auch dieselben Berührungspunkte gehabt hätte, wie hier bei uns in der Region, das kann ich nicht sagen.

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