Tödliches Unglück: Warum rumänische Erntehelfer nach Höxter kommen

Lüchtringen/Kreis Höxter. Die Landwirtschaft ist auf Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter angewiesen. Damit frische Erdbeeren, leckerer Spargel, knackige Gurken oder süße Weintrauben gekauft und verspeist werden können, sind viele fleißige Hände auf den Feldern notwendig. 2023 kamen nach Angaben der IG BAU, der Gewerkschaft für Bauen, Agrar und Umwelt, rund 243.000 Menschen auf Zeit nach Deutschland, um bei der Ernte zu helfen. Die Erntehelfer stammen meist aus Osteuropa. Sie kommen zum Beispiel aus Polen, Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Georgien oder der Ukraine. Waren es vor einigen Jahren noch hauptsächlich polnische Männer und Frauen, verschiebe sich der Fokus mittlerweile, wie Antonius Tillmann, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbands Höxter, weiß: &bdquo;Mittlerweile sind es hauptsächlich Rumänen.“ Aus Rumänien kam auch das junge Paar, das am Mittwoch auf so tragische Art und Weise starb. Gemeinsam mit Familienmitgliedern und Bekannten lebten die 19-Jährige und der 23-Jährige in einem Mehrfamilienhaus in Lüchtringen. 23 Personen insgesamt, von denen zehn als Erntehelferinnen und Erntehelfer auf den Feldern von Wittrock aus Höxter arbeiteten. Wittrock in Höxter setzt pro Saison 140 Erntehelfer ein Gleichwohl, sagt Tillmann, komme pro Saison nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Erntehelferinnen und Erntehelfern aus dem Ausland in den Kreis Höxter. Wittrock Obstplantagen beispielsweise setzt, wie berichtet, pro Saison etwa 140 Helfer ein. Doch nur vereinzelte Betriebe bauten Obst- oder Gemüsesorten an, die Saisonkräfte notwendig machten. &bdquo;Wir sind kein prädestinierter Gemüsestandort“, sagt Tillmann. Die Böden seien zu schwer und die Temperaturen zu gering. Richtung Rheinland sehe das aber ganz anders aus. Vermutet wird, dass in Lüchtringen ein technischer Defekt an einem gasbetriebenen Durchlauferhitzer zu einer erhöhten Konzentration von Kohlenmonoxid in der Luft führte. Das Gas könnte die beiden jungen Menschen vergiftet haben. &bdquo;Ein schlimmes Unglück“, sagt Antonius Tillmann, &bdquo;das hat uns alle sehr erschüttert“. Und es hat Debatten wieder aufgewärmt. Debatten um Arbeitsbedingungen, faire Löhne, aber auch faire Lebensmittelpreise. Lesen Sie auch: Reportage vom Unglücksort: Erntehelfer verlassen unter Tränen Haus in Höxter 44 Prozent der Erntehelfer sind Frauen Von Bukarest bis Höxter sind es laut Google 1.874 Kilometer auf der schnellsten Route. Eine fast 20-stündige Fahrt ohne Verschnaufpausen und Stau. Teilweise nehmen die Erntehelferinnen und Erntehelfer jedoch noch weitere Anreisen in Kauf. Laut IG BAU stammen einige Saisonkräfte auch aus Usbekistan, der Mongolei oder Indien. Etwa 44 Prozent der Saisonkräfte seien Frauen, erklärt die Gewerkschaft und stützt sich dabei auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Gemein haben all diese Menschen, dass sie in Deutschland wesentlich mehr verdienen können als für die gleiche Arbeit in ihrem Heimatland. Zum Thema: Tödlicher Gasaustritt in Höxter: Spendenaktion für Vollwaise gestartet In Rumänien beispielsweise liegt der Mindestlohn pro Arbeitsstunde seit 2025 bei rund 24,5 Lei, was etwa 4,90 Euro entspricht. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der gesetzliche Mindestlohn derzeit bei 12,82 Euro. Und den müssen auch Saisonkräfte aus dem Ausland erhalten. Der Präsident des Bauernverbandes, Joachim Rudwiek, kritisierte das immer wieder. Bauern kritisieren uneinheitliche Mindestlöhne in Europa Vor allem vor dem Hintergrund, dass es keinen einheitlichen Mindestlohn in Europa gebe. &bdquo;Wie sollen wir im europäischen Wettbewerb bestehen, wenn nahezu all unsere Nachbarn einen deutlich geringeren Mindestlohn haben“, fragte er beispielsweise 2023, als die Ampelregierung die Mindestlohnerhöhungen für 2024 und 2025 ankündigte. &bdquo;So wird Landwirtschaft in Deutschland keine Zukunft haben.“ In Frankreich beispielsweise lag der Mindestlohn 2024 bei 11,65 Euro, in Belgien immerhin bei 12,09 Euro, in Spanien allerdings gerade einmal bei 6,87 Euro. Wer bei den Personalkosten spart, kann Produkte günstiger anbieten. Das gefällt vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch Supermärkten oder Discountern. Es entsteht Kostendruck. Viele Erntehelfer zahlen 16 Euro pro Nacht und 500 Euro im Monat Laut Gewerkschaft suchten einige Landwirte immer wieder Möglichkeiten, die Lohnkosten zu senken. Das geht zum Beispiel über Unterkünfte, die den Erntehelfern für die Saison gegen eine Miete zur Verfügung gestellt werden. &bdquo;Die meisten Betriebe“, so die Gewerkschaft, &bdquo;haben ihre Preise für die Unterkunft weiter erhöht. Wurden im Jahr 2023 noch 16 bis 18 Euro pro Bett und eine warme Mahlzeit pro Tag verlangt, wurden die Preise für die Saison 2024 um 2 bis 3 Euro pro Tag angehoben.“ Auch interessant: Exklusiver Einblick: So sieht es in den Erntehelfer-Unterkünften in Höxter aus 16 Euro klingen erst mal wenig, summieren sich aber auf immerhin 496 Euro bei einem Monat mit 31 Kalendertagen. Was einer in ländlichen Räumen ausgewachsenen Monatsmiete entspricht - ohne allerdings eine vergleichbare Quadratmeterzahl zu bieten. Stattdessen, so die Gewerkschaft, würden Erntehelfer in der Regel zu mehreren in einem Raum untergebracht. Häufig seien Unterkünfte zudem marode oder verdreckt, wie die IG BAU schildert. Die Mieten fehlen den Saisonkräften schmerzlich und fließen gleichzeitig zurück an die Betriebe. Schon 75 Prozent des Gemüses kommen aus dem Ausland Bauernpräsident Rudwiek hatte im April übrigens eine &bdquo;Sonderlösung für die Landwirtschaft“ in Sachen Mindestlohn gefordert. Also eine Ausnahme. Im Koalitionsvertrag stand nämlich neben einer erneuten Mindestlohnerhöhung das Ziel, einen höheren Selbstversorgungsgrad in Deutschland zu erreichen. &bdquo;Schon heute kommen fast 75 Prozent an Obst und Gemüse aus dem Ausland“, erläutert der Bauernverband. Der Anteil könnte noch größer werden, wenn die Löhne weiter stiegen, ist eine Befürchtung. Die andere: &bdquo;Der ganze Gemüsebau wird zurückgehen“, prognostiziert Tillmann.

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