Polizei im Kreis Höxter klärt auf: Wann das Handyfoto zur Straftat führt

Kreis Höxter. Selina S. ist 18 Jahre jung. Eine selbstbewusste junge Frau, die auf dem Weg zum Fachabi nebenher in einem Supermarkt im Kreis Höxter arbeitet, um sich etwas Geld zu verdienen. An einem Abend im Supermarkt bemerkt sie einen älteren Mann, der schon an der Kasse bezahlt hat, hinter ihr stoppt, das Handy aus der Tasche holt, sich umschaut und dann Fotos von ihr macht. Nur von ihrem Po. Erbost dreht sie sich um und konfrontiert ihn damit. Er beruhigt sie, beschwichtigt, er habe selbst drei Töchter. Sie lässt nicht locker, fotografiert sein Autokennzeichen und ruft über die Marktleitung die Polizei. Die schaut sich die Videoaufzeichnung aus dem Markt an. Eindeutig: Er hat ihren Hintern abgelichtet. Über das Autokennzeichen machen die Polizisten die Adresse des Mannes aus, schellen und konfrontieren ihn damit. Er gibt alles zu und sagt auch zu, die Bilder zu löschen. Eine Anzeige kann Selina S. aber nicht erstatten: Er hat die Bilder nicht verbreitet, nirgends hochgeladen. Die junge Frau hat eine schlaflose Nacht: Sind wirklich alle Fotos gelöscht? Wenn nicht, was macht der Kerl damit in seinem Schlafzimmer? Sie erzählt die Geschichte der &bdquo;NW“, um anderen Menschen Mut zu machen, solche Dinge nicht als &bdquo;Kavaliersdelikt“ abzutun oder hinzunehmen. Macht ausüben, das sei es vor allem, was diese heimlichen Knipser wollen, sagt Kriminalkommissarin Judith Fabeck. Sie ist Leiterin der Abteilung Kriminalprävention bei der Kreispolizei und Opferschutzbeauftragte. Sie spricht auch von der &bdquo;Krux“ im Gesetz, dass man solche Bilder zwar machen dürfe, aber nur wenn man sie verwende oder in Umlauf bringe, mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müsse. Aber sie macht auch deutlich, dass man immer den Einzelfall prüfen müsse, ob es sich um einen Straftatbestand handele. Despektierliche Bilder von Personen in grob anstößiger Weise oder in hilfloser Lage Ungewollte Ton- oder Bildaufnahmen, despektierliche Bilder von Personen in grob anstößiger Weise oder in hilfloser Lage oder im höchstpersönlichen und privaten Lebensbereich: Da greifen die Paragrafen 201 und 201a des Strafgesetzbuches: Sie rät den Betroffenen: Die Sache öffentlich machen, solche Fälle zur Anzeige bringen (&bdquo;Antragsdelikt“), wo immer das möglich ist. Zeugen suchen, sofort die Polizei hinzuziehen, Beweismittel sichern. Selbst wenn alles hinterher im Sande verlaufe. Es sind besonders die Fälle an Schulen und in privaten WhatsApp-Gruppen, die Fabeck und ihrer Kollegin Annemarie Berghoff große Sorgen machen. Die 29-Jährige ist in der Kriminalprävention aktiv und damit mittendrin an den Schulen, in den Einrichtungen, an besorgten Eltern und Lehrern oder an am Boden zerstörten Teenagern. Dann, wenn Fotos oder Videos an Schulen rumgehen, die man eigentlich total verliebt an den Teenie-Freund in der neunten Klasse schickte. Der sie nun damit erpresst. &bdquo;Alle sind so locker mit dem Handy unterwegs – und auch mit dem Thema Datenschutz“, weiß sie. Spätestens dann, wenn ein Foto oder Film der Freundin rumgeschickt wird, sei man schnell im Tatbestand der Kinderpornografie. Und die coolen Jungs in der letzten Reihe der Schulklasse seien plötzlich still und ganz erschrocken, &bdquo;wenn ich das vor der Klasse berichte“, sagt die 29-Jährige. &bdquo;Aber selbst dann haben wir da nur die Spitze des Eisbergs“ Die Scham der Opfer sei groß, weshalb viele sich nicht trauten, zu Eltern, Lehrern oder zur Schulsozialarbeit zu gehen und das Ganze öffentlich zu machen. &bdquo;Aber selbst dann haben wir da nur die Spitze des Eisbergs.“ Es fehle so viel Aufklärung auch von Elternseite. Ja, es brauche einen langen Atem, um diese Präventions- und Aufklärungsarbeit zu leisten, bekennt Berghoff. &bdquo;Denn es gibt ja keine Liste darüber, wie viele Fälle wir verhindert haben.“ Dennoch, und das bekräftigt auch ihre Kollegin, werde man am Ball bleiben. Denn die Fälle, in denen sich ein Mädchen plötzlich offenbare, statt zu schweigen und zu leiden, und sich die Last von der Seele rede, das seien &bdquo;echte Sternstunden“: &bdquo;Wir sind in der Prävention mit voller Überzeugung dabei.“ In Sachen Stalking propagieren sie beide eine Null-Reaktion, denn egal in welche Richtung: Die Reaktion könne einen Täter noch anstachelnd und &bdquo;Zuwendung“ signalisieren. Aber: Es könne auch wirksam sein – so wie im Falle von Selina S. –, einen Täter bloßzustellen und selbst die Zügel in den Händen zu halten, um nicht wieder Opfer zu werden. Das macht ihre Arbeit eben so schwer. Jeder Fall ist anders, jeder Mensch reagiert anders. Selina S. habe &bdquo;cool und tough“ reagiert: Die Polizei hatte dem Mann geraten, sich bei ihr zu entschuldigen. Also kam er am nächsten Tag und wartete auf dem Parkplatz des Supermarktes – er hatte mittlerweile lebenslanges Betretungsverbot dort bekommen. "Das wird er nie mehr wieder machen“ &bdquo;Ich war so sauer, so geladen“, erinnert sich die 18-Jährige an den Moment. Mit einem Kollegen zusammen marschierte sie raus. Und bevor der Mann überhaupt einen Ton sagen kann, stauchte sie ihn in aller Öffentlichkeit lautstark zusammen. &bdquo;So dass alles es drumherum hörten. Er war nachher so klein“, erzählt sie und zeigt mit Zeigefinger und Daumen etwa einen halben Zentimeter an. Was er sich dabei gedacht habe. Ob er sich nicht schäme, von einem 50 Jahre jüngeren Mädchen den Hintern zu fotografieren. Was das bei anderen Mädchen mache, die mental nicht so stark seien wie sie selbst. &bdquo;Dass ich es geschafft habe, einen Fast-Zwei-Meter-Mann so zusammenzustauchen, das hat auch mir richtig gutgetan. Das wird er nie mehr wieder machen.“

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