Bei Gefahr von rechts im Kreis Höxter: „Keine Partei darf sich wegducken“

Herr Vollert, Herr Blasczcyk, macht Ihnen das Erstarken der Rechten in Deutschland und auch im Kreis Höxter Angst? Dazu kommen die Verharmlosung und das Aufweichen etablierter Parteien Stück für Stück durch die Hintertür. . . TIM VOLLERT: Es darf einen auf jeden Fall nicht kalt lassen, dementsprechend beunruhigt es mich sehr. Seit Jahren sagen wir, dass wir den Rechtsextremen keinen Millimeter geben dürfen – und das ändert sich auch nicht mit wandelnden Umfragen. Die AfD ist in den letzten Jahren nicht besser, sondern schlimmer geworden. Sie ist weiterhin eine Gefahr für die Demokratie. Und umso stärker sie wird, umso stärker muss der Rest dagegen halten. Dass konservative Politiker da zunehmend die Brandmauer gegen Rechts schleichend beenden, ist grob gesagt der Anfang vom Ende. Da darf man nicht dran vorbei gucken. RICARDO BLASCZCYK: Die einen sind besorgt und sehen eine Bedrohung der demokratischen Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Andere könnten jedoch diese Entwicklungen anders beurteilen oder sogar unterstützen. Es ist wichtig, diese Fragen durch demokratische Prozesse und Diskussionen zu behandeln, die Meinungsfreiheit zu respektieren und gleichzeitig Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen. Die Verharmlosung oder das Aufweichen gesellschaftlicher Werte muss in politischen Debatten intensiv diskutiert werden. In jedem Fall ist es wichtig, sich als Gesellschaft aktiv mit politischen Entwicklungen auseinanderzusetzen, informiert zu bleiben und an demokratischen Prozessen teilzunehmen. Politische Diskussionen und der respektvolle Austausch von Ansichten sind für mich entscheidend, um diese Herausforderungen anzugehen. Was bedeutet Ihnen persönlich Demokratie – und wie viel darf sie ertragen, bevor sie wehrhaft wird? BLASCZCYK: Demokratie ist für mich die politische Organisationsform, in der die Macht und die Entscheidungsgewalt im Staat vom Volk ausgehen. Die Frage, wie viel Demokratie ertragen kann, bevor die Gesellschaft eigene Prinzipien und Werte schützen muss, ist komplex, umstritten sowie intensiv debattiert. Es gilt der Schutz von Grundrechten und Freiheiten der Bürger, von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Dennoch gibt es Situationen, in denen Demokratie reagieren muss: bei aufkeimendem Extremismus und Radikalisierung, zum Schutz vor Gewalt und Terrorismus, zum Schutz der Verfassung und der demokratischen Institutionen, zur Bekämpfung von Korruption und Missbrauch. Dabei gilt für mich immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Die ergriffenen Maßnahmen sollten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung stehen. VOLLERT: Die Demokratie ist unter anderem ein Pluralismus der Meinungen. Und damit geht in unserer Demokratie natürlich auch einher, dass wir Toleranz für andere Meinungen zeigen. Wehrhaft muss sie aber praktisch immer sein. Schließlich gibt es das Toleranzparadoxon. Eine tolerante Gesellschaft darf keine intoleranten Meinungen einfach tolerieren, sonst wird sie dadurch zerbrechen. Ich glaube, die Menschen unterschätzen, wie sensibel unsere freiheitliche Gesellschaft ist. Konfrontation nur unter eigener Sicherheit Warum ist es wichtig, bei rechten Veranstaltungen dennoch Präsenz zu zeigen und den Dialog mit den Menschen zu suchen? VOLLERT: Damit die Menschen nicht das Gefühl bekommen, dass die Rechten und ihre Meinungen erfolgreich den öffentlich Raum eingenommen haben beziehungsweise diesen dominieren. Wir wollen auch weiterhin zeigen: Wir sind mehr. BLASCZCYK: Die Frage des Dialogs mit rechten Gruppen ist ein heikles Thema und die Ansichten darüber, wie man mit solchen Gruppen umgeht, variieren. Es gibt nicht eine einzige richtige Antwort. Und die Herangehensweise kann von Fall zu Fall unterschiedliche sein. Es gibt jedoch Gründe, den Dialog aufrechthalten: Präsenz und Dialog ermöglichen den Austausch – gegen Missverständnisse und für Verständigung, beugen Radikalisierung vor, stärken die Demokratie, decken Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierung auf und zeigen öffentlich Druck und Widerstand, um extremistische Bewegungen zu bekämpfen. Dialog ist eine Form des Widerstands. Aber ohne sich anzubiedern. Präsenz und Dialog sind jedoch nicht ohne Risiken – es gibt die Gefahr von Konfrontation und Gewalt. Und nicht alle sind offen für Dialog. Deshalb: immer mit Bedacht und unter eigner Sicherheit. Und wie sollte man das tun? Gibt es Formen/Formulierungen? VOLLERT: Mit AfDlern selbst suchen wir nicht den Dialog. Aber da die AfD ja davon profitiert, dass wir in einer Zeit vieler Krisen leben, lohnt es sich, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie von der Politik gehört werden. Ich halte zuhören gerade für sehr wichtig. Damit eben nicht das Gefühl aufkommt, dass die Altparteien einfach in ihrer eigenen Blase an den Menschen vorbei regieren. Aber auch hier darf man nicht unkritisch bleiben. BLASCZCYK: Die eigene Sicherheit steht immer an erster Stelle: Ich muss mich im voraus über Veranstaltung und Teilnehmer informieren, muss sicherstellen, dass ich mich in einer Gruppe befinde, die direkte Konfrontation vermeidet und mich gegebenenfalls in der Nähe von Polizei und Sicherheitspersonal aufhalten. Und: Ich gehe in den Dialog mit Respekt und Geduld, vermeide Beschimpfungen oder Provokationen, stelle den Menschen Fragen, möchte mit Informationen und anderen Perspektiven den Gegenüber zum Nachdenken bringen, suche gemeinsame Werte und zeige Solidarität mit denen, die von rechten Ideologien bedroht sind. Aber: Es ist auch klar, dass dieser Dialog nicht immer erfolgreich ist. Wann sollte man in solchen Situationen da sein und hinschauen, wann das Ganze laufen lassen? BLASCZCYK: Berlin ist nicht Warburg – deshalb hängt für mich eine aktive Präsenz von der Art der Veranstaltung ab. Nicht alle rechten Veranstaltungen erfordern unmittelbare Konfrontation. Manchmal reichen Gegenpräsenz und das Bekunden von Ablehnung aus. Außerdem muss ich das Eskalationsrisiko bewerten. Auch da ist wieder das Thema Sicherheit, deshalb sind gemeinsame Aktionen mit anderen Aktivisten und Organisationen stets sinnvoll. Und: Ich muss die rechtlichen Rahmenbedingungen beachten, vermeide illegale Aktivitäten, die rechtliche Konsequenzen haben. Der Kampf gegen rechten Extremismus und Hass erfordert oft lange Bemühungen, die über einzelne Veranstaltungen hinausgehen. VOLLERT: Die Jusos haben vor Jahren gesagt, dass sie immer vor Ort sein werden, wenn die AfD hier auftritt. Daran hat sich für uns nichts geändert. Es ist doch sicherlich schwer, ein Gefühl dafür zu entwickeln. . . Wann ist also Schluss? VOLLERT: Alle Parteien haben eine Verantwortung, über die eigenen Wahlkampfinteressen hinaus die demokratischen Werte zu schützen. Das heißt, ich erwarte, dass keine Partei sich wegduckt, wenn es um die AfD geht oder auf die Idee kommt, dass man deren Stimmen in den Parlamenten ja vielleicht für sich nutzen kann. BLASCZCYK: Das kann eine Herausforderung sein. Aus Erfahrung helfen mir einige Punkte dabei, dieses Gefühl zu entwickeln: Eine Mischung aus Information, Werten, Konsultation, Risikobewertung, gemeinsamen Aktionen, rechtlichen Rahmenbedingungen, langfristigen Ziele und gegenseitiger Unterstützung – je breiter, desto effektiver. Meine Entscheidung sollte aber immer auf meinen Werten, Überlegungen und der spezifischen Situation basieren. Zwischen Meinungsfreiheit und extremistischen Aktivitäten unterscheiden Herr Vollert, Herr Blasczcyk, wie definieren Sie heute politische Verantwortung als demokratische Partei im Kreis Höxter? RICARDO BLASCZCYK: Das umfasst für mich die Rechenschaftspflicht gegenüber Wählern und der Öffentlichkeit, die Verantwortung als Partei, die Interessen und Anliegen der Wähler zu vertreten, die Umsetzung von politischen Programmen, die Wahrung demokratischer Prinzipien. Aber auch Kritikfähigkeit und Selbstreflexion und vor allem, Bürger zur Beteiligung zu ermutigen und politische Entscheidungsprozesse für die Öffentlichkeit zugänglich und verständlich zu machen. Bei welchen Formulierungen sollte man hellhörig werden? Wie weit darf das gehen, wann muss man auch Polizei, Staatsschutz etc. hinzuziehen? TIM VOLLERT: Wenn zu Gewalt gegen andere aufgerufen wird oder verfassungsfeindliche Parolen genutzt werden. Niemand glaubt doch, dass die AfD nicht wusste, woher &bdquo;Alles für Deutschland“ kommt, bevor sie den Spruch benutzt haben. Und auch im Kreis Höxter eskalieren Rechte gerne auf Facebook. Da muss man schnell daran erinnern, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. BLASCZCYK: Wenn Äußerungen Hass, Vorurteile und Extremismus fördern, bei Gewaltverherrlichung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Islamophobie, Verschwörungstheorien, Nationalismus und Extremismus sowie Hetze gegen politische Gegner. Hass und Hetze sind überflüssig. Mein Sofortplan: dokumentiere die Äußerungen, melde die Vorfälle, sprich mit lokalen Behörden und Organisationen, informiere das eigenen soziale Umfeld, die Familie und Freunde. Aber nicht jede kontroverse Meinung oder Äußerung ist illegal. Deshalb ist entscheidend, zwischen Meinungsfreiheit und extremistischen Aktivitäten zu unterscheiden. Welche Formen des Protestes gegen rechte Strömungen, die mit Angst arbeiten, sind sinnvoll, um auch Menschen zu erreichen? VOLLERT: Ich persönlich halte sowohl Kundgebungen als auch Stände für am besten. Wichtig ist, dass eine Botschaft klar, aber insbesondere auch freundlich rüberkommt. Man darf die Menschen nicht mit zu viel Krawall davon abschrecken, darüber nachzudenken, sich dem Gegenprotest anzuschließen. Im Kreis Höxter hat dies immer exzellent funktioniert. BLASCZCYK: Ich setze auf Bildung und Aufklärung, auf Dialog und Gesprächsbereitschaft, auf friedliche Gegenveranstaltungen, auf zivilgesellschaftliche Initiativen, die Vielfalt, Toleranz und soziale Inklusion fördern, auf Geschichten und Medien, vor allem auf Kunst und Kultur sowie politische Beteiligung. Der Schlüssel ist, eine positive und inklusive Botschaft zu vermitteln und sich auf gemeinsame Werte und Ziele zu konzentrieren. Es gibt nicht die Einheitslösung. Verschiedene Menschen und Gemeinschaften können auf unterschiedliche Ansätze ansprechen. Mehr Gefahr durch aktuelle Lage? Wie schätzen Sie im Kreis Höxter die Gefahr von rechts ein – auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen, Unsicherheiten, Kostensteigerungen, Flüchtlingskrise, Kriegen in der Welt? BLASCZCYK: All das kann die politische Landschaft beeinflussen und möglicherweise extremistische Tendenzen verstärken. Extremistische Gruppen nutzen oft soziale und wirtschaftliche Unsicherheiten aus, um Anhänger zu gewinnen. Es ist daher wichtig, dass lokale Gemeinschaften, Behörden und Organisationen Maßnahmen ergreifen, um soziale Zusammenhalte zu stärken, Integration zu fördern und Extremismusprävention zu betreiben. VOLLERT: Man darf sie nicht kleinreden, die AfD wird auch hier mehr Unterstützung als früher erfahren. Trotzdem kann der Kreis Höxter stolz auf sich sein. Die AfD kommt hier mit ihren Veranstaltungen nie auf einen grünen Zweig und schneidet in Wahlen besonders schlecht ab. Das bisherige Signal war, dass die Rechten hier nicht willkommen sind. Lasst es uns dabei belassen. Studien zufolge sind 30 bis 50 Prozent derer, die rechtsgerichtete Parteien wählen, auch rechter Gesinnung – sie wissen also, was sie tun. Was tun mit den anderen 50 bis 70 Prozent? Wie und wo abholen, um zu verhindern, dass sie in ihren Vorurteilen gestärkt werden und/oder sich weiter radikalisieren? BLASCZCYK: Es ist wichtig, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die rechtsgerichtete Parteien aus unterschiedlichen Gründen wählen, ohne notwendigerweise einer rechten Gesinnung zu sein. Meine Ansätze: Dialog und Aufklärung, um Vorurteile und Stereotypen abzubauen, Missverständnisse zu klären und zu einem offeneren Denken zu ermutigen. Aber auch politische Bildung hilft für ein besseres Verständnis über die Auswirkungen von politischen Entscheidungen, die Beteiligung an Gemeinschaftsprojekten und -initiativen, die Betonung von Empathie und Verständnis, das Zuhören und die Kommunikation. Dazu gehören die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich für die Werte von Toleranz, Vielfalt und sozialer Inklusion einsetzen, die Förderung von Medienkompetenz, um Informationen kritisch zu hinterfragen und Desinformation zu erkennen, und die soziale Integration, damit Migranten und Minderheiten integriert und nicht ausgegrenzt werden und um Extremismus und Vorurteile zu verhindern. Prävention und soziale Integration sind Schlüsselkomponenten, um die Radikalisierung und die Verstärkung von Vorurteilen in der Gesellschaft zu bekämpfen. VOLLERT: Hier ist Kommunikation auch meiner Meinung nach absolut wichtig. Auf den sozialen Medien haben Rechte oft ein leichtes Spiel mit Populismus und Fake News. Da muss die Politik mehr dagegen bieten. Dazu kommt, dass man den Menschen jetzt zeigen muss, dass man bei ihnen ist, dass man mit ihnen in Kontakt kommen möchte und dass die AfD ja wirklich keine Antworten bietet. Rechte Positionen zu übernehmen, das darf nicht Teil der Antwort sein.

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