Knochenfunde auf dem LGS-Gelände in Höxter werfen Fragen auf

Höxter. Die Faszination an der Ausgrabungsstelle mitten auf dem Landesgartenschaugelände war von Anfang an sehr groß. Ständig bleiben Besucher stehen, fragen nach, lassen sich die spannende Geschichte der Zerstörung von Corvey von Stadtarchäologe Ralf Mahytka, der inzwischen recht tief im Kellerloch des alten Steinhauses steht, erzählen. Manche graben und kratzten mit einer kleinen Kelle sogar ein bisschen mit. Denn das ist hier durchaus erlaubt und erwünscht. Doch jetzt sind Knochen aufgetaucht. Nicht ein oder zwei, sondern halbe Skelette. Und die geben dem Grabungsvorhaben eine ganz neue Wendung. Das spüren auch die Menschen am Rand. Kaum einer geht vorbei, ohne nach den Knochen zu fragen. Auch wenn sie noch gar nicht vollständig ausgegraben sind, kann Ralf Mahytka schon einiges über sie erzählen. Es sind Rinderknochen. So viel steht schon mal fest. Bisher kamen zwei Tiere zum Vorschein – und allein diese Tatsache macht es für den Archäologen spannend. Weil völlig ungewöhnlich für diese Zeit. Mehr noch: Es handelt es sich nicht um ganze Tiere. So fehlen beispielsweise bei beiden Tieren die Hufe. Mahytkas Theorie: Sie wurden kurz vor dem Überfall in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 1265 geschlachtet und zur Weiterverarbeitung und Kühlung in den Keller gebracht. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Knochen könnte Aufschluss darüber geben, ob diese These stimmt. Zum Beispiel, wenn man handwerkliche Bearbeitungsspuren findet. Das will der Stadtarchäologe aber von Experten machen lassen, die sich auf Tierknochen spezialisiert haben. Zurzeit werden die Überreste noch sorgfältig ausgegraben. Was viele Zuschauer an das Holzgeländer lockt. Dann lassen Ralf Mahytka und sein Grabungsassistent Gerd Dohmen ihre Kelle auch schon mal liegen, steigen aus der Grube und beginnen zu erzählen. Zum Beispiel, dass es sich bei dem Haus möglicherweise um die Wohnstatt des Metzgers der einst blühenden Stadt gehandelt haben könnte, der dann quasi der Nachbar des berühmten Chirurgen von Corvey war, der auch Gehirnoperationen vorgenommen hatte. Seine Zuhörer lauschen aufmerksam Spätestens dann lauschen die Zuhörer sehr aufmerksam und die beiden erzählen die Geschichte von der blühenden und fürs Mittelalter auch riesigen Stadt Corvey, die den Höxteranern aber zunehmend ein Dorn im Auge war, weil sie ihren Wohlstand bedrohte. Am 15. Juli 1265 griffen sie gemeinsam mit dem Paderborner Bischof die Stadt an und plünderten und brannten sie nieder. Die Zerstörung muss nachhaltig und umfassend gewesen sein, denn wiederaufgebaut wurde die Stadt nie. Mit seiner begeisternden Erzählweise zieht dabei Ralf Mahytka nicht nur die Erwachsenen in den Bann. Auch Kinder und Jugendliche. Und die lädt er dann gern in die Grube zum Mitgraben ein. Wie die elfjährige Charlotte aus Bad Karlshafen. Vorsichtig schabt sie Millimeter für Millimeter der Erde ab. Verkohlte Holzreste von der Nacht der Zerstörung, genau 758 Jahre alt, liegen hier überall. Die werden nicht aufgehoben. Andere kleine Krümel prüft Charlotte sehr genau, ob die nur Erde oder ein richtiger Fund sind. Ist sie unsicher, zeigt sie diese dem Stadtarchäologen. Wie die orangefarbene Kugel. &bdquo;Harter, gebrannter Lehm“, erklärt Ralf Mahytka. Der Lehm wurde zum Verschmieren der Wände genutzt – und durch das Feuer gebrannt. Der Experte zeigt aber noch auf andere Krümel, weiß und sandig. Mörtel sei das. Und erklärungsbedürftig. Denn die Wände wurden damals nicht mit Mörtel verklebt, sondern trocken mit Lehm gesetzt. &bdquo;Mörtel wurde beispielsweise zum Bau von Gewölben genutzt. Da der Mörtel nur im Eingangsbereich des Kellers zu finden ist, scheint es hier ein Gewölbe gegeben zu haben – der Rest des Kellers bestand wahrscheinlich aus einer Holzdecke. Ein Gewölbe wiederum deutet darauf hin, dass er Erbauer nicht gerade arm gewesen sein kann. Zumal der Keller in seinen Ausmaßen deutlich größer ist, als der des Chirurgen nebenan. Ausgegraben wird erstmal nur die Hälfte Ausgegraben wird während der Landesgartenschau erstmal nur die Hälfte. Aber auch das ist schon eine recht einmalige Aktion. &bdquo;Forschungsgrabungen finden so gut wie nicht mehr statt“, sagt Mahytka. Ebenso ist es höchstselten, dass man sich dabei so viel Zeit lassen und die Arbeit auch noch erklären kann. Oft wird irgendwo nur gegraben, weil ein Investor etwas bauen will. Dann muss es meist schnell gehen. In Corvey ist das anders. Im vergangenen Herbst wurde der Keller bei LGS-Bauarbeiten entdeckt. Und aus der Not wurde eine Tugend – seit Mai laufen die Live-Grabungen unter ständiger Beobachtung der Besucher. Denn normalerweise würde man das Denkmal im Boden belassen – in der Hoffnung, dass es bald sehr gute Verfahren gibt, den Boden zu untersuchen, ohne aufwendig graben zu müssen. Dass in Corvey die Besucher sogar mitmachen können, wie Charlotte und ihre Freundin Mia, liegt auch an der Art der Zerstörung: Corvey ging einem höchst gewalttätigen einmaligen Akt unter. Es gibt hier nicht verschiedenen Schichten, die vielleicht noch quer übereinander liegen. &bdquo;Man kann nicht viel kaputt machen – es ist ja schon kaputt“, sagt Mahytka schmunzelnd. Und er hat die Erfahrung gemacht, dass Kinder sehr behutsam und sehr aufmerksam sind. Die Mädchen und Jungen vermuten hinter jedem Stein einen spannenden Fund. Und deshalb wurde im Keller auch schon so manche Scherbe entdeckt. Noch in diesem Herbst muss die Grabung beendet werden, schon weil die Witterung im Winter nicht gerade förderlich für die Grube ist. Doch wann der Boden erreicht sein wird, weiß Mahytka nicht. &bdquo;Wir sind schon jetzt ungewöhnlich tief.“ Es bleibt also spannend im Erdboden von Corvey.

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