Experte über die Mafia in Höxter: „Die Gefahr ist schleichend“

Womit verdienen die Mafia-Mitglieder denn eigentlich ihr Geld? SANDRO MATTIOLI: Das hängt immer ein wenig davon ab, um welchen Clan es sich handelt. Ganz grundsätzlich ist es so, dass man bei jedem ’Ndrangheta-Clan davon ausgehen kann, dass er mit Drogen etwas zu tun hat. Das heißt nicht, dass jedes Mitglied mit Drogen handelt, aber der Clan als solcher ist eigentlich immer im Drogengeschäft. Dann gibt es noch andere illegale Geschäfte: Waffenhandel, Schmuggel. Schutzgelderpressung, an die man in dem Kontext ja oft denkt, wird inzwischen anders praktiziert, etwa, dass Vertreter Produkte anbieten, die sie Leuten dann mehr oder weniger empfehlen zu kaufen, in Verbindung mit einer Drohung, das Produkt besser zu kaufen, wenn sie keine Nachteile erleiden wollen. Rechtlich gesehen ist das keine Erpressung, sondern nur eine Nötigung. Der Strafrahmen ist dort sehr viel geringer. Im Normalfall ist da auch keine Gewalt im Spiel. Die ’Ndrangheta ist aber bei Weitem nicht nur an illegalen Dingen beteiligt, sondern es gibt auch sehr viele Aktivitäten im legalen Bereich. Gastronomie ist ein Beispiel, mit Immobilien wird Geld verdient und im Baugewerbe. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten. Das Problem ist, dass wir in Deutschland diese Aktivitäten so gut wie gar nicht erfassen. Es ist deshalb schwer, belastbare Aussagen zu treffen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber peu a peu wandern die Clans so in legale Wirtschaftsbereiche ein. Gibt es ganz allgemein ein Merkmal, das es für Außenstehende erkennbar macht, ob ein Restaurant der organisierten Kriminalität nahe steht? Nein, das gibt es in dem Sinne nicht. Wenn man sich sehr tief mit der Materie befasst, weiß man, dass es manche Produkte gibt, seien es nun bestimmte Weine oder Liköre, die ein Indiz dafür sein können, dass man in einem nicht sauberen Restaurant sein könnte, aber es ist sehr schwer zu erkennen. Dann müsste man schon den Winzer genau kennen? Genau. Selbst dann hat man keine Sicherheit, denn das ist nichts, was belastbar ist. Es ist schwierig. War die Gefahr durch die ’Ndrangheta für die Menschen in Höxter real? Oder ist sie für Unbeteiligte gar nicht vorhanden? Wenn wir von Gefahr sprechen, denken wir beim Thema Mafia natürlich sofort an Menschen, die ermordet werden. Diese Gefahr sehe ich in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Denn das würde für viel zu viel Aufsehen sorgen. In Italien gibt es eine sehr hohe Anzahl von unschuldigen Opfern der Mafia: Menschen, die von einem Querschläger getroffen wurden, Händler, die Wünsche nicht erfüllen konnten, Verwechslungen von Personen sowie getötete Polizisten, Staatsanwälte und Richter. Diese Gefahr besteht so in Deutschland nicht. Viel größer ist die Gefahr einer schleichenden Unterhöhlung. Die ’Ndrangheta erzielt sehr viel Umsatz mit Drogen, Waffen aber auch legalen Geschäften und will dieses Geld dann natürlich wieder investieren. Da erwächst eine Gefahr für die Wirtschaft, weil wir in Deutschland überhaupt nicht damit rechnen, dass hier Mafiageld investiert werden könnte. Da sehe ich die größte Gefahr: Wir haben keine Abwehrmechanismen dagegen entwickelt und haben zugleich eine romantisierte Vorstellung über die Mafia. War die Razzia ein Schritt in die richtige Richtung? Jede Razzia ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich begrüße, dass die Razzia auch dank Ermittlungen in Deutschland zustande gekommen ist. In der Vergangenheit und in der Gegenwart ist es in vielen Ecken Deutschlands noch immer so, dass aus Italien eine Anfrage wegen einer Operation oder Festnahme oder Unterstützungsleistung kommt. Die wird dann bedient, aber man wird nicht selber aktiv. Und da muss man Nordrhein-Westfalen loben, da hat man glaube ich kapiert, was man tun muss und dass man es auch eigeninitiativ tun muss. Das ist sehr zu begrüßen, ich sehe da einige innovative Ansätze und ich hoffe, dass das Schule macht. Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit dem Thema. Haben Sie keine Angst? Ich bin von dem, was ich mache, überzeugt und halte es für nötig. Natürlich habe ich Respekt und lege eine gewisse Vorsicht an den Tag. Wenn ich aber Angst hätte, wäre ich in dem Job wohl falsch. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass es es mich in gewisser Weise schützt, dass Clans kein Aufsehen erregen wollen. Es hat ja auch Fälle von Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Jahren gegeben, die ermordet worden sind, die auch zum Thema italienische Mafia recherchiert haben. Ján Kuciak und seine Verlobte beispielsweise und Daphne Caruana Galizia. Da ist ja zu beobachten, dass die Stimme dieser Leute dann trotzdem nicht verstummt, weil eben andere an ihre Stelle treten. Außerdem kommt es zu sehr viel mehr Aufmerksamkeit, was eine Schutzfunktion darstellt. Aber das funktioniert auch nur solange, wie die Gesellschaft nicht tiefer von den Strukturen durchdrungen ist. Um zu verhindern, dass das geschehen kann, engagiere ich mich – wie viele Journalistinnen und Journalisten und natürlich wie die vielen Leute in meinem Verein mafianeindanke. Es ist nicht so, dass man, wenn man das Wort Mafia als Journalist in den Mund nimmt, sofort auf irgendeiner Todesliste steht. Aber es ist schon so, dass ich mich auf einem schwierigen Feld bewege, aus verschiedenen Gründen. >> Lesen Sie auch den ersten Teil des Interviews mit dem Mafia-Experten Sandro Mattioli >>> und den Kommentar zur Ndrangheta-Razzia in Höxter: Wir gegen die Mafia

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