"Herausragender Erinnerungsort“: Was das Welterbe Corvey so besonders macht

Höxter. Er ist ein ehemaliger Bundeswehrgeneral mit einer besonderen Liebe zur Geschichte seiner Heimat; seit 2008 pensioniert, ein Jahr zuvor nach Höxter gezogen, ehemaliger KWG-Schüler – und geheiratet hat er in Marienmünster: Als Nachfolger von Josef Risse ist Josef Kowalski geschäftsführender Vorsitzender des Kirchenvorstandes in der katholischen Gemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey. Und die steht mit dem Besuch des Bundespräsidenten am Sonntag, 25. September, vor einem Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 1.200-Jährigen. Kowalski ist nahe dran an den Menschen, sei es als Stadtführer in Höxter oder als Welterbeführer in Corvey. Welche Bedeutung Corvey und die Gemeinde in Corvey für ihn ganz persönlich haben: Geschichte fasziniere ihn, sagt der 76-Jährige. Vor allem die lange Geschichte eines solch &bdquo;herausragenden Erinnerungsortes“ wie Corvey für das christliche Abendland. Und die sei mehr als das rote, monumentale Sandsteingebäude des Westwerks. Als Mitglied einer Gemeinde mit nur 150 Menschen – &bdquo;ich kenne keine kleinere in Deutschland“ –, die Miteigentümerin eines Weltkulturerbes sei, sei Corvey für ihn &bdquo;allein aus persönlicher Beziehung eine Verpflichtung: eine Ehre und eine Pflicht, mich dafür einzusetzen. Mit Überzeugung und Herz.“ Welche Bedeutung es für die Region, für Deutschland und darüber hinaus hat: &bdquo;Es ist einer der bedeutendsten Erinnerungsorte der deutschen und der europäischen Geschichte“, sagt er bestimmt. &bdquo;Eine wichtige Wegmarkierung in der Entwicklung Europas, bei der Christianisierung Europas. Das Zentrum war Corvey.“ Und dass es 2014 mit dem Welterbestatus ausgezeichnet worden sei, gebe der internationalen Wahrnehmung Raum. Warum Corvey von den Menschen in und um Höxter als Selbstverständlichkeit vor der Haustür anders wahrgenommen wird als von außerhalb: &bdquo;Eine wichtige Frage“, sagt Kowalski. Mit Wahrheit im Kern. Denn: &bdquo;Das Nahe liegt mir zu Füßen, das kann ich auch morgen noch machen. Andere Menschen hingegen kommen von weit her mit Corvey als Ziel.“ Es unmittelbar täglich vor der Haustür zu haben, ja das sei vielleicht zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das merke auch das Corvey-Welterbe-Team: &bdquo;Wir wollten aus touristischer Sicht für Höxteraner und Menschen aus den Ortsteilen den Besuch kostenfrei machen. Sie müssten sich nur mit ihrem Personalausweis ausweisen, bräuchten keine Tickets kaufen.“ Die Nachfrage sei &bdquo;verschwindend gering“. Deshalb sagt Kowalski: &bdquo;Wir haben hier etwas zu tun.“ Sein Anspruch und Ziel: &bdquo;Dass sich in allen Bildungseinrichtungen in Höxter und der Kulturregion Kinder und Jugendliche von Anfang an mit Corvey intensiv befassen. Was das Gebäude erzählt, was der Ort ausdrückt.“ Was er sich von den Jubiläumsfeierlichkeiten erhofft: Genau das: Corvey ins Gespräch zu bringen. &bdquo;Das Jubiläumsprogramm des Jahres ist darauf angelegt, Corvey an die Menschen heranzubringen. Als Ort des christlichen Glaubens, als ein Kontinuum mit Höhen und Tiefen. Wir greifen die Geschichte auf, beim Vitusfest und bei der Ansgar-Vesper, Erzbischof Hans-Josef Becker und Annette Kurschuss kommen, es gibt eine Vortrags-Zeitreise und Programmpunkte für Kinder“, erklärt Kowalski. &bdquo;Wir wollen Corvey den Menschen näherbringen und erfahrbar machen“, sagt er und fasst die &bdquo;Grundlinie des Jubiläumsjahres“ in zwei Worte: &bdquo;Seele“ und &bdquo;Substanz“. Was für ihn und für Corvey der Besuch von Frank-Walter Steinmeier am Sonntag bedeutet: Noch nie habe der Kaisersaal in der Zeit, die er selbst überblicke, so viele hochkarätige Gäste gehabt, wie am Sonntag zum Festakt kommen, sagt der Höxteraner. &bdquo;Sie sind die Multiplikatoren, die die Botschaft von Corvey weitertragen.“ Dass der Bundespräsident als höchstes Staatsoberhaupt zugesagt habe, das spreche für sich. Das bringe Höxter und die Region weit über den Horizont hinaus und auch international in den Fokus, ist sich der 76-Jährige sicher. Worauf sich Josef Kowalski besonders freut: Darauf, dass die zusammen mit Pfarrdechant Hans-Bernd Krismanek und dem herzoglichen Haus formulierte Einladung an Steinmeier angenommen worden sei, sagt er, ohne zu zögern. Der Bundespräsident komme zurück in seine Heimatregion, des zeige für ihn: &bdquo;Er weiß sehr wohl, was Corvey für die Region, für Deutschland bedeutet.“ Das Ereignis sei &bdquo;ziemlich einmalig“ und werde sich wohl auf lange Sicht so schnell nicht wiederholen, sagt er. Dass er froh sei, dabei sein zu können. Und dass ihn der Ort emotional und mit dem Herzen mitnehme. Was die Ernennung zum Welterbe verändert hat: Im Jahr der Ernennung 2014 und auch im Folgejahr &bdquo;schossen die Gästezahlen in Corvey nach oben“, sagt der Kirchenvorstand. Danach habe es sich normalisiert. &bdquo;Und dann kam Corona. Die Auswirkungen sind noch immer da. Das merkt man an weniger Bussen auf den Parkplätzen.“ Dennoch, da ist sich Kowalski sicher, habe der Welterbetitel Positives bewirkt, &bdquo;dass sich auch Menschen, die es als selbstverständlich vor der Haustür ansehen, sich ein Stück mit Corvey identifizieren“. Positiv habe sich der Blick des Erzbistums auf die kleine Gemeinde mit ihrem großen Erbe verändert. Es gebe eine größere Nähe. &bdquo;Wir werden unterstützt, juristisch oder auch finanziell, ergänzend zu Fördermitteln von Bund und Land.“ Das Erzbistum sehe das Alleinstellungsmerkmal und wisse, &bdquo;was wir gemeinsam an dem Weltkulturerbe haben“. Aber auch die Zusammenarbeit beider Welterbe-Eigentümer habe sich sehr positiv entwickelt, betont er und spricht von &bdquo;Transparenz, Offenheit und Klarheit“ im Umgang. &bdquo;Die Ebene der sachlich-konstruktiven Gespräche, der vertrauensvollen Zusammenarbeit müssen wir unbedingt erhalten.“ Wie beispielsweise bei der Barrierefreiheit für den Johanneschor, die 2024 kommen wird. Oder der Augmented Reality im Johanneschor und der neuen Glasfront für Projektionen im Eingangsbereich, die Ende des Jahrs kommt. &bdquo;Wir sprechen, wir streiten, aber wir haben ein Ziel: die gemeinsame und zeitgemäße Entwicklung des Weltkulturerbes. Das geht nur gemeinsam. Das geht nur, wenn wir die Jugend gewinnen. Das verpflichtet uns, zusammen diesen Weg zu gehen.“ Wie er seine Aufgabe in Corvey und für die Kirchengemeinde definiert: &bdquo;Überzeugungstäter“ und &bdquo;Glaubensspezialisten“ – das seien die Mönche vor 1.200 Jahren gewesen, als sie sich am Weserbogen niederließen und einen zentralen Ort für Christentum, Bildung, Wissenschaft, Forschung, Wissenssammlung und ein politisches Machtzentrum gründeten. &bdquo;Das ist ihnen gelungen“, sagt Josef Kowalski. &bdquo;Und das ist unser Auftrag. Wir müssen Verantwortung zeigen, dieses Corvey mit modernen medialen Möglichkeiten zeitgemäß weiterzuentwickeln.“ Damit die nachfolgende Generation &bdquo;Seele und Substanz von Corvey erfahren und begreifen – nicht nur die Steine, sondern auch ihre Bedeutung.“ Das ist sein Lieblingsplatz in Corvey: &bdquo;Es gibt nicht nur einen“, sagt Josef Kowalski. &bdquo;Wenn ich vom Uhrenturm die Allee Richtung Westwerk gehe und dann auf Höhe des Mittelwegs stehenbleibe und zum Westwerk schaue – zu verschiedenen Tageszeiten und Lichtstimmungen –, dann ist da der Punkt, an dem ich nachdenklich und demütig werde.“ Wenn er dann weiter durch den Eingang mit den Säulen rauf in den Johanneschor gehe, &bdquo;dann werde ich demütig vor dem, was sich dort ereignete“. Und dann der Weg in die Kirche und der Blick zum barocken Hochaltar mit seiner &bdquo;Farben- und Formenvielfalt: Diese Kombination von allen Dreien gibt es nicht noch ein zweites Mal“, sagt er. Was er Corvey und der Gemeinde für die nächsten 100 Jahre wünscht: Da nennt Kowalski das Wort &bdquo;Kümmerer“: &bdquo;Menschen, die bereit sind, sich einzusetzen, Initiative zu ergreifen und Projekte fortzuführen, neue anzustoßen. Menschen, die den Staffelstab in die Hand nehmen.“

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