Zwei Jahre Pandemie: „Krankenhäusern steht das Wasser bis zum Hals“

Herr Jostes, die Pandemie hat die Gesundheitsversorgung für alle in den Fokus gerückt. Wie bewerten Sie die Versorgung im Kreis Höxter?Christian Jostes: Ich erinnere mich gut an den 31. Dezember 2019, als ich zuhause im Fernsehen einen Bericht in einem Magazin über ein unbekanntes Virus auf einem Tiermarkt in Wuhan gesehen und dem keine besondere Bedeutung beigemessen habe. Drei Monate später war es um die ganze Welt gegangen. Am 17. März wurde der Lockdown angeordnet. Und Jens Spahn schrieb allen Krankenhaus-Geschäftsführern, wir sollten uns auf etwas vorbereiten, das da auf uns zurollte. Intensiv- und Beatmungskapazitäten hochfahren oder Operationen verschieben bedeutete für uns aber auch, auf andere Patienten zu verzichten. Das hätte gigantische Erlösausfälle zur Folge, doch er versprach: Wir finden später eine Lösung, wir müssen jetzt handeln. Das haben wir gemacht.Im Kreis Höxter haben wir bei der KHWE die Besonderheit mit vier Krankenhausstandorten mit ganz unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung. Also überlegen: Corona-Patienten in der Geriatrie? Das hätte die Gefahr katastrophaler Auswirkungen auf die Patienten. Also wollten wir Steinheim frei halten von Corona, ebenso Brakel. Also konzentrierten wir uns auf Höxter und Bad Driburg und richteten dort Isolierungsbereiche ein. Um diese Stationen während der Hochphase entlasten zu können, wurden einzelne krankenhauspflichtige Patienten, die zwar an Corona erkrankt waren, jedoch keine Symptome mehr aufwiesen, auch am Standort Steinheim behandeln. Getrennt von den zur Risikogruppe gehörenden älteren Patienten. Das klappte einwandfrei. Was war für den Alltag anders geworden? Wir haben Erfahrung in der Behandlung hochinfektiöser Patienten, behandeln HIV, TBC, Meningitis. Doch in der Situation musste jeder Handschlag im Krankenhaus neu erfunden werden: Wollte ein Coronapatient einen Schluck Wasser, musste man sich zweimal komplett umkleiden. Dazu kamen die Angst und private Sorgen der Mitarbeiter, was Arbeitsplätze, Schulen oder Kitas angeht. Und beinahe panische Zustände: Uns wurden Toilettenpapier gestohlen und Desinfektionsspender aus der Wand gerissen. Wir waren schon fast froh, als wir das Haus für die Besucher abschließen mussten. Es war eine gewaltige Herausforderung, aber ich war nie in der Sorge, dass wir Menschen nicht versorgen können. Wir hatten immer freie Intensiv- und Beatmungskapazitäten oder ausreichend Personal – auch wenn es knackeeng war und die Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenze gingen. Von Zuständen in den östlichen Bundesländern, von denen eine Geschäftsführerin in einer Videokonferenz weinte, waren wir weit entfernt. Es hat erstaunlich gut geklappt – aber wir haben viel kommuniziert und den Betrieb hochprofessionell aufrechterhalten. Ein großes Lob an die ganze Truppe. Wie hat sich Ihr Job in den zwei Jahren verändert? Viel Krisenmanagement, viele Gespräche, Änderungen in Abläufen, wöchentlich neue Vorgaben, Abstimmungen mit dem Gesundheitsamt, die regelmäßig tagende Task Force, die wir gegründet haben. Zu Hoch-Zeiten der Delta-Variante hatten wir mehr als 90 Mitarbeiter in Quarantäne. Gewaltig.Ich erinnere mich an den Bewohner eines Seniorhauses, der mit einem Schlaganfall zu uns kam und für die Behandlung das gesamte Haus vom CT bis zur Normalstation durchlaufen hatte. Als er entlassen werden sollte, haben wir einem Abstrich gemacht. Und er war corona-positiv. Da mussten wir zurückverfolgen, wer wo überall Kontakt mit ihm hatte. Aber wir mussten ihn eben mit einem akuten Schlaganfall sofort versorgen und konnten nicht auf das Ergebnis eines PCR-Tests am nächsten Tag warten. Es war Ausnahmezustand. Das hat uns alle gefordert.Wie sieht denn die Belegung derzeit über alle Bereiche aus? Omikron hat vieles verändert. Die Menschen sind deutlich weniger krank, die Intensivbetten nicht mehr so stark nachgefragt. Derzeit haben wir 16 oder 17 Corona-Patienten auf Normalstation, einer auf Intensiv. Was sich aber deutlich bemerkbar macht: Derzeit sind 66 Mitarbeiter in Quarantäne und fehlen. Dienstpläne werden einen Monat vorher geschrieben – doch die Pflegedienstleitung muss von Tag zu Tag Löcher neu stopfen, die Mitarbeiter müssen flexibel sein. Aber der Betrieb läuft derzeit relativ ruhig. Was bedeutet das für die Wirtschaftlichkeit Ihrer Kliniken? Die vier Krankenhäuser der KHWE machen einen Umsatz von 150 Millionen Euro. Uns fehlen aber weiterhin zehn Prozent der Belegungszahlen. Das heißt, es fehlen uns 15 Millionen Euro. Dem gegenüber bleiben die Kosten gleich oder sind aufgrund der Hygienemaßnahmen sogar gestiegen. Hinzu kommen jährliche Kostensteigerungen von vier bis viereinhalb Prozent. Dem gegenüber steigt der Landesbasisfall, also die Berechnungsgröße für die Erlöse, nur zwischen 2,5 und 2,8 Prozent. Jedes Jahr ergibt sich eine Lücke. Einsparungen sind nicht mehr möglich, weil das schon seit 2004 so geht. Also Mehrleistungen? Gleiche Truppe noch mehr Patienten? 2020 und 2021 gab es unterschiedlich berechnete Finanzierungspauschalen für die fehlenden Patienten auf Grundlage der Zahlen von 2019. 2020 sind die meisten mit der Freihaltepauschale auch ganz gut durchgekommen, 2021 mit dem Ganzjahresausgleich haben schon rund 60 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland rote Zahlen geschrieben. Wir haben noch schwarze Zahlen. Aber ich habe immer noch keinen Ausgleichsmechanismus für 2022, ich habe nicht mal ein mit den Krankenkassen vereinbartes Budget für 2020, geschweige denn für 2021 oder für 2022. Im April stehen die Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen für 2020 und 2021 an. Den Krankenhäusern steht bundesweit das Wasser bis zum Hals.Ab welcher Belegung kommen Sie in schwarze Zahlen?Wir haben rund zehn Prozent weniger Patienten als 2019. Bei anderen Häusern sind es 18, 19 oder sogar 30 Prozent weniger. Durch das Tragen der Masken fehlen die Atemwegserkrankungen. Die Menschen machen kaum noch Sport, gehen kaum noch raus. Also fehlen auch die Patienten aus dem Muskel- und Skelettsystem. Gesellschaftlich gut, für die Kliniken im aktuellen Finanzierungssystem verheerend. Und immer noch haben die Menschen Angst, mit akuten Erkrankungen ins Krankenhaus zu gehen.Nur wer dann kommt, ist deutlich kränker, weil selbst Behandlungen von Herzinfarkten und Schlaganfällen zuhause wochenlang hinausgezögert werden. Wir werden auch nach der Pandemie die Zahlen von 2019 voraussichtlich nicht mehr erreichen können. Aufgrund der jährlichen Kostensteigerungen bräuchte ich 20 Prozent mehr Patienten als 2019, habe effektiv aber zehn Prozent weniger. Die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser in Deutschland ist dramatisch. Ja, wir rechnen weiterhin ab – vorbehaltlich. Aber wir haben weder Budget noch Ausgleich. Sie beklagen, dass Sie von der Politik allein gelassen werden. Was wäre nötig? Ich wünsche mir Klarheit, damit wir wissen, wo wir wirtschaftlich überhaupt stehen. Es kam die Bundestagswahl 2021, vor der keine klare Aussage gemacht wurde. Dann war die alte Regierung noch im Amt, hat aber keine Entscheidung mehr gefällt. Dann kam die neue, die sich einarbeiten musste und noch keine Aussagen gemacht hat. Es entstand ein Vakuum über mehrere Wochen und Monate. Ich kann noch nicht einmal nächstes Jahr planen, musste im November dem Verwaltungsrat eine Planung für 2022 vorlegen mit vielen Unsicherheiten – Luft von zehn Millionen nach oben und zehn Millionen nach unten. Was ärgert Sie besonders? Die extreme Unsicherheit. Ich soll mich marktwirtschaftlich verhalten in einem planwirtschaftlichen System. Dazu kommen gedeckelte Budgets und gesetzliche Rahmenbedingungen. Wie lange werden wir das noch durchhalten? Zumal auch noch die Landeskrankenhausplanung kommt, nach der Leistungen auf Standorte konzentriert und Standorte reduziert werden sollen. Die Bertelsmannstudie nennt die Zahl von 2.000, die auf 600 reduziert werden könnten. Wie soll ich eine vernünftige Versorgung bei all den unbeantworteten Fragen und gedeckelten Budgets hinbekommen?

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