Ein persönlicher Rückblick auf das Jahr im Kreis Höxter

Momente voller Solidarität Simone Flörke: Bei mir sind es drei von vielen, an die ich mich erinnere – laute Momente voller Solidarität, leise Momente des Nachdenkens und der Ruhe, Momente, in denen der Hut hochgeht, aber die professionelle Schreiberin die Oberhand behalten muss. WAS MICH STOLZ GEMACHT HAT Es waren mehr als 750 Menschen, die Anfang Dezember vor der Stadthalle in Höxter ihrem Unmut, Ärger und Protest gegen die AfD-Versammlung mit Rechtsaußen Björn Höcke Ausdruck gegeben haben – friedlich, lautstark und unter Einhaltung der Corona-Regeln. Wenn ich mir auch oftmals über Höxter die Haare raufe: An dem Samstagnachmittag war ich mächtig stolz auf Höxter und die Menschen im Kreis. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass der Höcke-Auftritt in Höxter wie schon im März Corona zum Opfer gefallen wäre: Menschen zwischen 8 und 80 Jahren nicht nur aus der Kreisstadt zeigten mehr als deutlich: Höxter ist bunt! Und Höxter will solche Auftritte und solche vermeintlichen Gäste nicht, braucht sie nicht. Ja, Demokratie muss so etwas aushalten. Aber nein, Demokratie muss das nicht schweigend hinnehmen. Kompliment an die Organisatoren: Das war richtig gut! Keinen Millimeter rechts! WAS MICH RICHTIG GEÄRGERT HAT Anfang Oktober wurde in Beverungen der Verkauf der Beste-Stadtwerke an die EAM verkündet. Als ein freudiges Ereignis. Für die Menschen, die dort arbeiten, ist es sicherlich eines, denn die Außenstandorte und die Mitarbeiter sollten übernommen werden, die Regionalität der Versorgung wurde betont. Die Verkaufssumme wurde – wie bei vielen Übernahmen dieser Größenordnung – nicht genannt. Doch es wurde gesagt, die Gesellschafter seien ohne Verluste herausgekommen, dem Steuerzahler sei kein Schaden entstanden. Doch: Es wird sich nicht beziffern lassen, wie hoch der Schaden wirklich für den Steuerzahler ist, denn es berechnet niemand, wie viel der Kundenstamm der Beste heute wert wäre, wie viel die Netze wert waren und wären, die für die Kommunen jetzt futsch sind. Wer die Jahresbilanzen von 2013 bis 2019 mal anschaut, wird ob der Verluste und den Erwartungen fürs nächste und übernächste Wirtschaftsjahr – alles wird besser und die Zahlen sowieso – die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Blauäugigkeit oder Größenwahn einiger am Ruder des an und für sich sinnvollen, weil zukunftsweisenden Zusammenschlusses von kommunalen Stadtwerken zu einem Verbund – das ist hier die Frage. Was mich aber am meisten geärgert hat: Dass Verantwortliche nicht zur Rechenschaft für ihr Tun gezogen werden. Weil es zu aufwendig wäre und letztlich nur dem Verbund noch Geld kosten werde, hieß es, werde man von einer juristischen Aufarbeitung absehen. Man müsste lachen, wenn es nicht so traurig wäre. WAS MICH SEHR BERÜHRT HAT Ich hatte einen Kloß im Hals – nachdem ich das Video von Feuerwehr und Rettungsdienst in Höxter gesehen hatte: Sie wollten Weihnachten retten. Und haben dazu ein berührendes Video gedreht. Zwei Minuten, die zu Herzen gingen und die deutlich machten, mit welchem Engagement die Einsatzkräfte – sei es Feuerwehr, sei es Rettungsdienst, sei es Personal in Krankenhäusern und Pflegeheimen – in diesem Jahr für ihre Mitmenschen arbeiteten und weiterhin arbeiten. Bis zur Erschöpfung. Mitmenschlichkeit ist für mich das Wort dieses Jahres. Schon im ersten Lockdown zeigten die Feuerwehrleute ihre Solidarität mit der &bdquo;Ode an die Freude" auf der Drehleiter hoch über Höxter. Nun ein weiteres Stück zur &bdquo;Stillen Nacht". Danke für den Gänsehaut-Moment, fürs Innehalten, für das Zeichen, wir sind nicht allein – trotz Abstand. Denn erst in der Krise zeigt es sich, auf wen Verlass ist. Deshalb gehört für mich in meinen Jahresrückblick das Dankeschön an diese Menschen, die ihre Zeit investieren und ihre Gesundheit für andere einsetzen, auf jeden Fall hinein. Deshalb ein Appell: Bitte nicht so schnell vergessen, was Menschen in diesem besonderen Jahr für andere geleistet haben. Für uns. Emotionale Erinnerungen David Schellenberg: Es sind viele Ereignisse, die von 2020 in Erinnerung bleiben und die mich emotional berührt haben. Da sind natürlich die Berichte von Corona-Patienten aus dem Kreis Höxter, die den Virus nur knapp überlebt haben, von Pflegern und Ärzten, die weit über die Belastungsgrenze hinaus arbeiten und von Gastronomen und Einzelhändlern, die um ihre Existenz bangen und die verzweifelt auf das kommende Jahr schauen. Es sind aber drei andere Ereignisse, auf die ich ein persönliches Licht werfen möchte. WAS MICH WÜTEND GEMACHT HAT Der Fall liegt schon viele Jahre zurück, wurde aber erst Anfang diesen Jahres öffentlich. Einem katholischen Pfarrer, der in den vergangenen Jahrzehnten an verschiedenen Orten im Kreis Höxter tätig war, wurde sexueller Missbrauch vorgeworfen. Der Geistliche wurde umgehend beurlaubt, die Staatsanwaltschaft Paderborn und die Kirchenleitung des Erzbistums begannen mit einer langwierigen Prüfung des Vorgangs. Schnell stand aber zumindest aus juristischer Sicht fest: Die Vorwürfe sind verjährt, sie werden nicht mehr überprüft. Dagegen hält die kirchenrechtliche Untersuchung immer noch an. Der Fall macht deutlich, dass Opfer auch Jahrzehnte später noch unter den Taten leiden. Es wird einen Grund haben, dass sie sich erst jetzt melden. Dass ihnen dann keine juristische Gerechtigkeit gewährt wird, macht mich ebenso fassungslos und wütend wie die immer gleiche Reaktion der katholischen Kirchenleitung in diesen Fällen: Ihnen wird zwar kirchenrechtlich nachgegangen – an dem überkommenen, männerzentrierten, menschenfernen kirchlichen Strukturen, die solche Taten begünstigen, ändert sich aber nichts. Als gläubiger Christ fürchte ich, dass sich die Katholische Kirche damit selbst zugrunde richtet. Vielleicht muss das so sein. WAS MIR IN ERINNERUNG BLEIBEN WIRD Einmal als Journalist schneller sein, als die Polizei erlaubt – das wünscht sich wohl jeder Redakteur. Dank Homeoffice blieb es mir an einem Herbstmorgen nicht unbemerkt, dass die Polizei mit gleich mehreren Einsatzwagen vor einem Haus unweit des Kindergartens Sommersell aufkreuzten und in einem etwas heruntergekommenen Haus eine beachtliche Drogenplantage ausgehoben haben – im ganzen Dorf roch es süßlich, als die Beamten die 400 Pflanzen in einem Anhänger verstauten. Vier Tatverdächtige sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Menschen, die ich Tage zuvor noch fröhlich gegrüßt habe. Geahnt haben natürlich viele Anwohner etwas, denn das Treiben im Haus hatte etwas Verdächtiges. Wie viele wollte allerdings auch ich an das Gute im Menschen glauben und falsche Vorwürfe gegen die neuen Nachbarn noch nicht einmal denken. Zumal auch regelmäßig ein kleines Kind im Garten des Hauses spielte. Leider wird man manchmal enttäuscht. Ein Absperrband der Polizei um das Grundstück erinnert immer noch an die Aktion. Das Haus steht, wie viele Jahre zuvor, wieder leer und wird wohl weiter verfallen. Das bleibt, auch wenn die viel gelesene Schlagzeile im Kreis Höxter längst vergessen ist. WOFÜR ICH SEHR DANKBAR BIN Es ist eine Geschichte, die gar nicht in der Zeitung stand – und dafür bin ich sehr dankbar. Und auch, dass ich sie zum Jahresabschluss doch noch berichten kann. Wir parkten an der Marktstraße in Nieheim, um bestelltes Essen abzuholen. Beim Warten auf die Pizzen kam ein wohl dreijähriger Junge mit seinem Vater in der Dunkelheit vorbei. Der Vater drehte sich für einen kurzen Moment zum Schaufenster der Pizzeria um. Der kleine Junge lief direkt vor unserem Auto auf die Straße. Von hinten näherte sich, wie im Rückspiegel zu sehen, ein SUV. Entsetzensschreie im Auto ob des bevorstehenden Unglücks, das man nicht mehr verhindern kann. Auch der Vater schreit. Zu weit weg, um nach seinem Sohn zu greifen und ihn zu retten. Der SUV-Fahrer sieht das Kind im letzten Moment, reißt das Lenkrad rum. Zentimeter, die vielleicht das Leben des kleinen Jungen retteten. Sein Schutzengel hat an diesem Abend ganze Arbeit geleistet.

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