Jugendamt im Kreis Höxter muss immer öfter Kinder aus Familien nehmen

Kreis Höxter. Mehr als 630 Meldungen über den Verdacht von Kindeswohlgefährdungen gab es schon in diesem Jahr im Kreis Höxter. Das ist erneut eine Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren. Durchschnittlich gab es 19 sogenannte Inobhutnahmen von Minderjährigen durch das Jugendamt. Monatlich. Das sind schon weit mehr als 100 Kinder in diesem noch nicht abgelaufenen Jahr, die nicht mehr bei ihren leiblichen Familien leben können, weil ihnen und ihrer Entwicklung dort Gefahr droht. Verroht die Gesellschaft im Kreis Höxter? Verroht die Gesellschaft? Auch im Kreis Höxter? Oder woran liegt es, dass Kinder immer wieder aus Familien genommen werden müssen, weil es ihnen anderswo zu diesem Zeitpunkt besser geht? &bdquo;Natürlich haben wir heute andere gesellschaftliche und familiäre Strukturen", sagt der Jugendamtsleiter Klaus Brune. Die Mehrgenerationenhaushalte von früher gebe es nicht mehr. Aber: &bdquo;Die Menschen sind auch sensibler geworden", sagt Inga Ribbentrup. Man schaue genauer hin, sei viel besser informiert und aufgeklärt, betont die Leiterin der Abteilung Soziale Dienste und stellvertretende Leiterin des Jugendamtes des Kreises Höxter. Was sind Gefährdungslagen für Kinder und Jugendliche in ihren Familien? Die Spanne, die Inga Ribbentrup aufzählt, reicht von Vernachlässigung über seelische oder körperliche Misshandlung bis zum sexuellen Missbrauch. Aber auch Konflikte der Erwachsenen rund um das Kind oder sogenannte Autonomiekonflikte, vor allem in der Pubertät. Eltern könnten noch sehr jung sein, selbst Probleme in der Kindheit gehabt oder aktuelle mit Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen haben. Und völlig überfordert sein. Da jeder Fall ganz individuell wie die beteiligten Menschen sei, sind auch die angebotenen Hilfen und Maßnahmen immer ganz individuell, erklären Brune und Ribbentrup. Und haben dafür die drei Säulen Förderung/Prävention – Hilfen – Schutz. "So oft kann das Kind nicht hingefallen sein" Aufklärung und Information – darauf setzt das Team um Brune und nimmt die dabei mit, die oftmals einen Großteil der Zeit im Leben von Kindern mit ihnen teilen: die Lehrer, Erzieher und Vereine. In diesem Jahr gehen sie neben Kitas und Grundschulen mit ihrem Sensibilisierungsprogramm auch in die weiterführenden Schulen. Aber auch Nachbarn, Polizei oder Ärzte äußern sich bei Verdacht: Wenn Kinder beispielsweise auffallend häufig blaue Flecken haben. &bdquo;So oft können sie nicht von der Rutsche gefallen sein." Vernachlässigung, lauter Streit, vermüllte und verdreckte Wohnungen und Kinder. So kommt die Zahl von derzeit schon fast 650 Hinweisen zustande. Und dann müssen Inga Ribbentrup und ihre Kollegen bei jedem einzelnen nachschauen, was dran ist. Bei fast neun Prozent der Hinweise stimmte die Einschätzung: Ja, das Kind ist in diesem Moment gefährdet. Bei acht Prozent gab es eine latente Gefahr für das Mädchen oder den Jungen in der Familie. Bei immerhin 43 Prozent gab es zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber einen Bedarf an Hilfe: &bdquo;Wenn Eltern keinen Zugang mehr zum Kind finden, einfach überfordert sind und nicht mehr wissen, was ihr Sohn oder ihre Tochter treibt." Wenn &bdquo;eine Erziehung zum Wohl des Kindes nicht gewährleistet ist", so heißt es dazu. "Kinderschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe" Und dann kann das Team um Inga Ribbentrup Dank eines Netzwerks einen Fächer an Hilfestellungen anbieten oder auch anordnen lassen – vom Säugling im Bauch der Mutter (Frühe Hilfen) bis zum Jugendlichen, von der Erziehungsberatung über ambulante oder stationäre Hilfen bis zum Vormund oder zu Pflegschaften. Die Spannbreite des Jugendamts-Handelns reicht vom Schutzkonzept und vertraglich festgelegten Schutzplan über Vermittlung externer Hilfen oder Therapien, Unterbringungen in Mutter-Kind-Einrichtungen bis zur Inobhutnahme. Dafür gibt es Pflegefamilien und Heime, aber auch Bereitschaftspflegen, die in akuten Fällen sofort – auch nachts um 3 Uhr – zur Stelle sind. Bei 40 Prozent war der Hinweis unbegründet &bdquo;Aber wir schauen lieber einmal mehr als einmal zu wenig nach, als dass wir etwas übersehen", sagt die junge Frau mit Entschiedenheit in der Stimme. &bdquo;Kinderschutz muss durchgehend präsent sein." Und: &bdquo;Die Bedürfnisse der Kinder müssen mehr in den Blick genommen werden." Aber sie sagt auch: &bdquo;Eltern bleiben Eltern." Dass ein Kind aus der Familie genommen werde, das sei immer der letzte Schritt. Dafür bedarf es nicht nur der Entscheidung eines Familiengerichtes, sondern auch gravierender Gründe. Wann das Jugendamt einschreiten muss Und die müssen von mehreren Fachleuten eingeschätzt und festgestellt werden, betont die Abteilungsleiterin. Bei einer &bdquo;dringenden Gefahr" muss das Jugendamt laut Sozialgesetzbuch aber sofort einschreiten: Es ist verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen. Dann sogar auch ohne Gerichtsbeschluss. Oftmals komme man nach einem Hinweis auf eine mögliche Gefährdung als Jugendamtsmitarbeiter – sie sind immer im Zweierteam unterwegs – in eine angespannte Situation daheim. &bdquo;Wir sind geschult, kommen nicht als Überfallkommando, sondern setzen auf Kommunikation", sagt sie. Schließlich wolle man die Zusammenarbeit mit den Eltern. Das ist zeit- und personalintensiv. Deshalb sind im Haushaltsplan des Kreises für das Jahr 2020 deutlich höhere finanzielle und personelle Budgets veranschlagt. Die sogenannte Kreis- und die Jugendamtsumlage steigen zusammen um 8,1 Millionen Euro auf 108,5 Millionen Euro, davon 47,7 Millionen Euro für den Bereich Kinder und Jugendliche (inklusive 15,2 Millionen Euro für Kindertagesbetreuung). &bdquo;Gott sei Dank" seien die Extremfälle nicht die Regel, sagt Klaus Brune. Und dennoch gehören sie zum Alltag des Jugendamtes im Kreis Höxter. Und zwar in jeder gesellschaftlichen Schicht. &bdquo;Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – nicht nur die des Jugendamtes", betont Inga Ribbentrup abschließend. &bdquo;Ziel unserer Arbeit ist es, die Familie zu stärken. Heimerziehung ist eben nicht das Normale." Deshalb setzten Brune, Ribbentrup und ihr Team auch weiterhin auf die Sensibilität und das Hinschauen der Menschen im Umfeld eines Kindes. &bdquo;Die Kinder sind darauf angewiesen."

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