
Höxter. Die Vorwürfe waren gravierend: Misshandlung Schutzbefohlener, Nötigung in sechs Fällen, Körperverletzung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Am Montag musste sich ein 63-jähriger Altenpfleger deswegen vor dem Schöffengericht Höxter verantworten.
Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, 2017 in einem Höxteraner Pflegeheim den Körper eines demenzkranken Bewohners mit einem Desinfektionsmittel eingerieben zu haben, das ausdrücklich nur für die Desinfektion von Gegenständen geeignet ist und bei einem anderen Bewohner die rechte Hand fixiert und davon Videoaufnahmen hergestellt zu haben. Das Seniorenheim selbst hatte, als die Pflegedienstleitung von den Vorfällen erfuhr, Strafanzeige erstattet und den Mann fristlos entlassen.
Horst M. (alle Namen von Angeklagten, Geschädigten und Zeugen geändert) räumte die Sachverhalte zwar ein, betonte aber, in allen Fällen zum Wohle der Bewohner gehandelt zu haben. Das Desinfektionsmittel habe er nur aus der Not heraus benutzt, um weiteren Schaden von dem Heimbewohner abzuwenden. Denn dieser hatte sich nach einem Krankenhausaufenthalt mit einem multiresistenten Keim infiziert.
Da die Apotheken das für die Behandlung in solchen Fällen erforderliche sogenannte MRSA-Kit nicht kurzfristig hätten liefern können, habe er zu dem Desinfektionsmittel Aerodesin 2000, das zur Desinfektion von Gegenständen wie Tischflächen oder Toilettenstühlen benutzt wird, gegriffen und den Körper des Bewohners damit eingerieben.
»Er hat gewimmert, und die Haut war gerötet«
„Wir mussten schnell handeln, denn der Mann hatte verschorfte Wunden am Kopf. Und es bestand die Gefahr, dass er sich diese aufkratzt und der Keim in die Wunden gelangt", begründete der Altenpfleger seine ungewöhnliche Aktion. Ihm untergebene Bedienstete habe er angewiesen, auch am Folgetag so zu verfahren. „Er hat gewimmert, die Haut war gerötet, und er hat Abwehrbewegungen unternommen", schilderte Altenpflegerin Manuela R. im Zeugenstuhl, wie sie auf Anweisung ihres Vorgesetzten dem Bewohner das chemische Mittel auftrug.
„Ich wusste, dass das nicht richtig war. Aber ich hatte Angst, mich der Anweisung zu widersetzen." Eine ebenfalls als Zeugin geladene Altenpflegehelferin sagte allerdings aus, dass sie bei dem Bewohner keine Hautveränderungen bemerkt habe. Sie selbst nutze dieses Desinfektionsmittel hin und wieder auch zur Reinigung ihrer Hände und ihres Gesichts und trage keine Hautreizungen davon.
Staatsanwalt Ralf Walther regte schließlich an, dieses Verfahren einzustellen, weil es sich nicht nachweisen lasse, ob eine Körperverletzung und damit eine Misshandlung Schutzbefohlener vorliege. Dem stimmten Verteidigung und Gericht zu.
Nach Schlaganfall linksseitig gelähmt
Der andere Geschädigte, Stefan S., ist nach einem Schlaganfall linksseitig gelähmt. Horst M. bemühte sich sehr um den damals 38-Jährigen. „Als er zu uns kam, war er in einem sehr schlechten Zustand. Aber mit der Zeit machte er enorme Fortschritte", berichtete der Altenpfleger und führte dies unter anderem auch auf die intensiven Trainingsbemühungen, die er mit dem Bewohner unternahm, zurück. „Besonders sein gelähmter linker Arm sollte trainiert werden. Doch er benutzte immer wieder, zum Beispiel beim Essen, reflexartig die gesunde rechte Hand." Um dies zu verhindern, fixierte der Altenpfleger die Hand von Stefan S.. Angeblich mit dessen Einwilligung.
Stefan S. sollte auch eine am Bettgalgen aufgehängte Mettwurst oder Obststücke mit der linken Hand ergreifen, während die rechte fixiert war. Von einer solchen Aktion machte Horst M. sogar Videoaufnahmen. Auch dem habe Stefan S. zugestimmt. „Ich wollte den Eltern mit diesem Video zeigen, welche Fortschritte ihr Sohn macht", nannte der Angeklagte den Grund. Doch der Vater sagte gestern vor Gericht aus, dieses Video niemals zu Gesicht bekommen zu haben. Stefan S. bestritt, seine Einwilligung für die Aufnahmen und für die Fixierungen gegeben zu haben.
Blaue Flecken an der Hand davongetragen
Gezeigt hatte Horst M. das Video allerdings seinen Mitarbeitern. „Ich war ziemlich schockiert", sagte Altenpflegerin Lisa B.. Sie und weitere Kolleginnen bestätigten die Aussage von Stefan S., wonach er gegen seinen Willen fixiert worden war. Bei den Versuchen, sich von der Fesselung zu befreien, habe er blaue Flecken an der Hand davongetragen. Sie hätten ihm geraten, sich bei der Pflegedienstleitung zu beschweren, doch Stefan S. hätte dies aus Angst vor Horst M. abgelehnt.
Staatsanwalt Ralf Walther sah es durch die Zeugenaussagen als erwiesen an, dass die Aktionen gegen den Willen von Stefan S. ausgeführt wurden. Zugute hielt er dem Altenpfleger, dass er dem Bewohner helfen wollte. Der Anklagevertreter forderte eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40 Euro. Strafverteidiger Helmut Franke aus Paderborn wies in seinem Plädoyer darauf hin, dass sein Mandant 27 Jahre „aufopferungsvoll in seinem Beruf" gearbeitet und immer das Wohl der ihm anvertrauten Bewohner im Blick gehabt habe. Der Anwalt sprach sich für eine „milde Strafe" aus.
»Der Zweck heiligt nun mal nicht alle Mittel«
Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Christina Brüning verurteilte den 63-Jährigen wegen Nötigung, Körperverletzung und der Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch unerlaubte Bildaufnahmen zu 70 Tagessätzen, setzte den Tagessatz aber auf 35 Euro herunter. „Auch wenn Sie zum Wohle des Bewohners handeln wollten – Sie sind deutlich über das Ziel hinausgeschossen", sagte die Richterin zu Horst M. „Der Zweck heiligt nun mal nicht alle Mittel."