Rückkehr ins Dorf der Kindheit

Höxter/Fürstenau. Er wird nach vielen Jahrzehnten den Ort seiner Kindheit wiedersehen: Harry Lowenstein (früher Helmut Löwenstein) ist Zeitzeuge aus Höxter, der den Holocaust überlebt hat. Heute ist er in den Vereinigten Staaten zu Hause, wohin er 1949 auswanderte und 1952 nach Florida ging. Der 87-Jährige wird – begleitet von seinen zwei Töchtern und Schwiegersohn – ab Montag, 11. Juni, die Stadt an der Weser besuchen. &bdquo;Es sind immer besondere Begegnungen und besondere Momente“, sagt Fritz Ostkämper von der Jacob-Pins-Gesellschaft in Höxter, die Harry Lowenstein während seines Aufenthalts begleiten wird. Und es sei &bdquo;ein Zeichen der Versöhnung“ von Lowenstein, dorthin fahren zu wollen, wo er geboren sei, von wo seine Familie von den Nazis deportiert worden sei und viele umgekommen seien. Fritz Ostkämper hat den Schicksalen und Familiengeschichten der jüdischen Bürger von Höxter nachgespürt, sie fürs Forum Jacob Pins gesammelt und niedergeschrieben. Deshalb ist für ihn ganz persönlich dieser Besuch auch ein Zeichen dafür, dass sich diese ehrenamtliche Arbeit lohne, &bdquo;wenn ich die Menschen wiederfinde und den Kontakt herstelle.“ Und den hat Ostkämper auch zu Harry Lowenstein gefunden. Nun sei Lowenstein in Europa unterwegs, werde unter anderem eine Rhein-Schifffahrt unternehmen und anschließend nach Höxter kommen. Immer wieder sei Harry Lowenstein in die Öffentlichkeit gegangen, &bdquo;um über das Schicksal seiner Familie zu berichten und an den Holocaust zu erinnern“, so Ostkämper. »Mein Vater war Viehhändler. Er hatte eine Viehzucht und Pferde« Ein Beispiel: &bdquo;Mein Name ist Harry Lowenstein. Ich wurde in dem kleinen Bauerndorf Fürstenau in Westfalen geboren. Mein Vater war Viehhändler. Er hatte eine Viehzucht und Pferde“: Mit diesen Sätzen hatte sich Lowenstein zum 75. Jahrestag der Pogromnacht am 27. Oktober 2013 im Holocaust-Center von Maitland in Florida vorgestellt und einen Bericht über die Nacht, die Deportation und sein Überleben gegeben, den Ostkämper übersetzt hat. Lowenstein weiter: &bdquo;Schon in 1935 machte man ihm (dem Vater) Probleme, wenn er Tiere zum Markt transportierte. Er hat jedoch durchgehalten, und alles ging gut bis zur Kristallnacht am 9./10. November 1938. Da kamen welche in das kleine Dorf. Jedoch muss ich betonen, dass das Dorf selbst in Ordnung war, die Leute waren großartig.“ Es seien Scharfmacher von außerhalb gewesen, die Unruhe gestiftet hätten, die Scheiben der Häuser zerschlugen, Wertgegenstände mitnahmen, die kleine Synagoge zerstörten, den Vater für sechs Wochen ins KZ Buchenwald verschleppten. Obwohl er damals erst sieben Jahre alt gewesen sei, habe er sich um das Vieh daheim gekümmert. Er habe auch nicht mehr zur Schule gehen dürfen, sondern habe nach Hannover gemusst, wo Mitte 1941 auch geschlossen wurde. Die Familienmitglieder wurden im Dezember nach Riga deportiert, wo sie unter erbärmlichen Umständen eingepfercht wurden. Sechs Wochen habe man ihn mit Haferflocken aufgepäppelt Mitte 1943 kam die Familie ins KZ Kaiserwald, wo der Junge im Recyclinghof des Militärs arbeitete – bis September 1944, als man sie vor der anrückenden Roten Armee per Schiff nach Stutthof (heute Polen) verfrachtete. Von dort ging’s im Februar 1945 wieder Richtung Deutschland. Ein Marsch, auf dem sie im März von der Roten Armee überrollt wurden. Sechs Wochen habe man ihn mit Haferflocken aufgepäppelt – der Junge wog 29 Kilo, der Körper vertrug nichts anderes mehr. Sechs Wochen später ging es zurück nach Ostwestfalen. Lowenstein erinnerte sich an die Worte seiner Mutter: &bdquo;Wenn wir das überleben, gehen wir dahin zurück, wo wir hergekommen sind.“

Meistgelesen