Höxter

Lesung: Wie Lorenz S. Beckhardt seine jüdischen Wurzeln entdeckte

Das Ergebnis jahrelanger Recherche

Familiengeheimnisse aufgedeckt: Lorenz S. Beckhardt. | © Christine Longère

27.11.2015 | 27.11.2015, 19:12
Hochdekorierter Jagdflieger: Großvater Fritz Beckhardt 1918 im Flugzeug mit Hakenkreuz. - © Privat
Hochdekorierter Jagdflieger: Großvater Fritz Beckhardt 1918 im Flugzeug mit Hakenkreuz. | © Privat

Höxter. Drei Juden, in abnehmender Reihenfolge, hätten ihn in seinem Leben geprägt, sagt Lorenz Salomon Beckhardt. Karl Marx, Heinrich Heine und Albert Einstein. Wie er herausfand, dass er selbst Jude ist, und warum er sich im Erwachsenenalter beschneiden ließ, erzählte der katholisch erzogene WDR-Redakteur den gebannt seinen Schilderungen folgenden Zuhörern im Forum Jacob Pins in Höxter, wo der aus Köln angereiste 53-jährige Autor sein Buch "Der Jude mit dem Hakenkreuz" vorstellte.

Sein Großvater Fritz kam im Ersten Weltkrieg als jüdischer Jagdflieger zu höchsten militärischen Ehren. Auf sein Flugzeug hatte er als Glücksbringer ein Hakenkreuz gemalt, ein Emblem, das aus dem indischen Kulturraum stammt und ursprünglich ein Sonnenrad darstellte. Wie viel Unglück dieses Symbol über die Juden in Europa und seine Familie bringen sollte, ahnte er zu jener Zeit nicht. Dass seinem Geschwader auch Hermann Göring, später einer der größten Nazi-Kriegsverbrecher, angehörte, rettete ihm nach seiner Verhaftung im Jahr 1937 das Leben. In letzter Minute konnte er entkommen, mit einem teuer erkauften Scheinvisum der Republik Liberia zunächst nach Portugal, dann nach England.

In der Hoffnung, sich wieder eine Existenz aufbauen zu können, kehrte er 1948 in die einstige Heimat zurück, nach Sonnenberg, einem ländlichen Vorort von Wiesbaden, wo er Haus und Geschäft besaß. Nicht geahnt hatte er, was die Familie an Ablehnung erwartete. Noch in den 1950er Jahren wurden die Schaufensterscheiben des Lebensmittel- und Gemischtwarenladens eingeworfen, grölten Betrunkene antisemitische Parolen. Kaum jemand kaufte beim Juden. "Der Boykott von 1933 endete erst 1977, als das Geschäft an einen nichtjüdischen Nachfolger abgegeben wurde", zieht Lorenz Beckhardt ein bitteres Fazit jener Jahre.

Erst zwei Jahre später erfährt der inzwischen 18-Jährige zufällig von seiner jüdischen Abstammung. Er hatte ein katholisches Internat besucht, war Messdiener gewesen. Bei einer Familienfeier verkündet er, dass er den Wehrdienst verweigern will. Ein Verwandter weist ihn darauf hin, dass er als Kind von Naziverfolgten gar nicht Soldat zu werden brauche. Lorenz Beckhardt fällt aus allen Wolken und fängt an Fragen zu stellen. "Ich hielt es für keine gute Idee, dich in diesem Land als Jude aufwachsen zu lassen", begründet der Vater das Schweigen.

Information

Buch und Film

Lorenz Salomon Beckhardt, 1961 geboren, ist Diplom-Chemiker, Redakteur des WDR-Wissenschaftsmagazins Quarks & Co und Leiter der WDR-Redaktion des 3sat-Wissenschaftsmagazins Nano. Für die ARD wird er in der Tagesschau und den Tagesthemen vom Weltklimagipfel in Paris berichten. Jahrelang recherchierte er in Bibliotheken und Archiven, um die verschwiegenen Geheimnisse seiner Familie aufzudecken. Ergebnis war zunächst der Film „Der Jude mit dem Hakenkreuz“, der 2007 beim WDR lief und bei Youtube und in der ARD-Mediathek verfügbar ist. Daraus ging das gleichnamige Buch hervor, das 2014 im Aufbau Verlag erschien.

Sehr lebendig und spannend berichtete der vielbeschäftigte Wissenschaftsredakteur im Gespräch mit Bärbel Werzmirzowsky, zweite Vorsitzende und Geschäftsführerin der Jacob-Pins-Gesellschaft, über die Ergebnisse seiner jahrelangen Recherchen. Lichtbilder erhellten die Familiengeschichte, die exemplarisch ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte anschaulich macht und zugleich Parallelen zu heutigen Flüchtlingsschicksalen aufweist.

Warum er selbst das Judentum annahm? Es sei ihm darum gegangen, an die Zeit vor 1933 anzuknüpfen, Kontinuität herzustellen und den ermordeten Vorfahren die Ehre zu erweisen, sagt Beckhardt.