Höxter

In der Weser schwammen SA-Uniformen

Vor 70 Jahren endete in Höxter der Zweite Weltkrieg / Erinnerungen einer Zeitzeugin

7. April 1945: Die Höxteraner Weserbrücke wird auf Wehrmachtsbefehl gesprengt, obwohl die amerikanischen Truppen längst nicht mehr aufzuhalten sind.. | © FOTOS: ARCHIV GAUH

Mathias Brüggemann
07.04.2015 | 06.05.2015, 10:51

Höxter. Ostern vor 70 Jahren: "Wie ein wirrer, schwerer Traum liegen diese Tage hinter uns und die harte Wirklichkeit vor uns", schreibt die damals 44-jährige Höxteraner Lehrerin Adelheid Bartels in ihrem Erlebnisbericht über die letzten Kriegstage in Höxter. War die Stadt bislang von den Kriegsereignissen weitgehend verschont geblieben, erlebt sie in den letzten Kriegstagen ihre schwersten Zerstörungen. Vor 70 Jahren, am 7. April 1945, war der Krieg in der Weserstadt beendet.

In der Karwoche rückt die Front immer näher. Der Heeresbericht meldet bereits Kämpfe bei Scherfede und Warburg. "Man konnte an manchen Tagen den Kanonendonner hören", schreibt Adelheid Bartels, die von 1920 bis 1947 an der Realschule (vormals Höhere Mädchenschule) unterrichtete, in ihren Erinnerungen. Die Nachkommen der 1964 gestorbenen Höxteranerin haben die Aufzeichnungen dem Stadtarchiv Höxter zur Verfügung gestellt.

Zerstörte Häuser: Kurz vor Kriegsende wurden mehrere Häuser an der Weserstraße durch Artilleriefeuer beschädigt.
Zerstörte Häuser: Kurz vor Kriegsende wurden mehrere Häuser an der Weserstraße durch Artilleriefeuer beschädigt.

Karfreitag, 30. März 1945: Gerüchte kursieren, wonach die Amerikaner bereits vor Ottbergen stünden, dann hieß es, sie seien wieder nach Norden abgedrängt. "Wir lebten in der Hoffnung, ohne Kampf davonzukommen", schreibt die Höxteranerin. "Abends um 8 Uhr war Gottesdienst, da alles ruhig schien; es waren viele Menschen da, um sich Kraft für die kommenden Tage zu holen. Pastor Schloemann stand gerade vorm Altar, als ein furchtbarer Schlag erfolgte. Es musste in der Nähe eine schwere Bombe gefallen sein." Die Menschen stürmen in Panik aus der Kirche. Es wird Vollalarm ausgelöst. Die Menschen laufen in ihre Häuser. Danach aber bleibt alles ruhig. Auch über Ostern.

Höxter befand sich in einer Zange

Die Amerikaner sind inzwischen auch im Norden bei Bielefeld durchgebrochen, haben Herford und Bad Oeynhausen besetzt und streben in Richtung Porta Westfalica. Bei Warburg wird immer noch heftig gekämpft. Höxter befindet sich in einer Zange.

Am Ostersonntag ruft die Parteileitung zu einer Kundgebung in den Weseranlagen auf. Ein Wehrmachtsoffizier spricht über die militärische Lage. Ortsgruppenleiter Meyer warnt die Höxteraner, sich den anrückenden Truppen zu ergeben. Wer die weiße Fahne hisse, werde erschossen. "Kein Fußbreit Heimatboden dürfe dem Feind kampflos überlassen werden", schreibt Hans Boelte in seinem Buch "In jenen Tagen".

Wenige Tage später verbrennen Kreisleitung, Arbeitsamt und NS-Volkswohlfahrt ihre Akten, berichtet Adelheid Bartels. "Die Hakenkreuzfahnen wurden vernichtet, zu Haufen lagen die Parteiabzeichen, die von der feigen Gesellschaft abgelegt waren. Die SA-Uniformen schwammen in der Weser. Landrat, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter und sonstige Parteibonzen waren verduftet. Nur der Bürgermeister, der ebenfalls den Rat bekommen hatte, zu verschwinden, blieb auf seinem Posten."

Dann fiel der erste Schuss

Dann kommt der Freitag, 6. April 1945: Adelheid Bartels ist noch am Morgen in der Stadt und besorgt, "was man an Lebensmitteln noch bekommen konnte, denn wir mussten damit rechnen, dass wir mehrere Tage nicht kaufen konnten". Nachmittags um 17 Uhr fällt der erste Schuss.

Und dann schießt die Artillerie vom Bielenberg aus in die Stadt. Das Feuer liegt zumeist im Bereich der Altstadt an der Weser und am Wasserübungsplatz. Während sich die Parteibonzen in Autos aus dem Staub machen, suchen die Einwohner Zuflucht in den Kellern. Wie Adelheid Bartels haben sich viele für den Krekelerschen Keller unterhalb des Felsenkellers entschieden, wo man auch beim Bombenabwurf sicher war.

Tags darauf sprengen deutsche Pioniere die Weserbrücken bei Höxter und Corvey. Ein völlig sinnloses Unterfangen, denn der Vormarsch der Amerikaner ist nicht mehr aufzuhalten. Das erkennen auch Bürgermeister Hartmann, der Erste Beigeordnete der Stadt, Hugo Kuhne, Polizeichef Kollmann und Heinrich Nolzen, der als Dolmetscher fungiert. Sie führen eine Delegation an, die sich mit einer weißen Fahne den amerikanischen Truppen nähert.

"Freudig begrüßte man das Sonnenlicht"

Die Amerikaner sind inzwischen bis zu der Kaserne in der Brenkhäuser Straße vorgerückt. Am Abend finden Übergabenverhandlungen im Rathaus statt. "Die Stadt Höxter hatte aufgrund der schnellen Übergabe an die Alliierten nur drei Todesopfer bei der Zivilbevölkerung zu verzeichnen. Zahlreiche Häuser waren aber durch Bomben und Artilleriefeuer ganz vernichtet oder schwer beschädigt worden. Beschädigt wurden auch die Kilianikirche und die Turmspitze des Rathauses", schreibt Ernst Würzburger in seinem Buch "Höxter: Verdrängte Geschichte".

Für Adelheid Bartels und die anderen Höxteraner hat das bange Warten in dem dunklen, feuchten und kalten Keller endlich ein Ende. "Trotzdem wir nun in Feindes Hand waren, atmeten wir doch erleichtert auf . . . ", schreibt sie. Man sei dankerfüllt gewesen, dass man sein Leben erhalten hatte "und ertrug die schlaflosen Stunden bis zum Sonntagmorgen. Um 9 Uhr wurden wir endlich herausgelassen. Ach, wie freudig begrüßte man das Sonnenlicht!"

Information
Standrechtlich erschossen

Einen Tag vor der Übergabe der Stadt Höxter an die Alliierten wurde der Höxteraner Gastwirt Bernhard Dissen wegen „Wehrkraftzersetzung“ standrechtlich erschossen. In seinem Gasthaus, dem Braunschweiger Hof in der damaligen Adolf- Hitler-Straße (heute Corbiestraße 5), waren Wehrmachtssoldaten untergebracht. Am Vormittag kam es zu einem Streit, weil Disse den angetrunkenen Soldaten ihren mitgebrachten Schnaps weggenommen hatte. Zwei der Soldaten meldeten daraufhin einem Unteroffizier, dass ihnen Disse zwei Tage vorher geraten habe, die Waffen wegzuwerfen, Zivil anzuziehen und sich zu verstecken. Der Unteroffizier meldete dies dem Divisionsgefechtsstand und erhielt daraufhin den Befehl, Disse sofort festzunehmen. Noch am selben Tag wurde der Gastwirt von einem Exekutionskommando in der Gemarkung Lüre erschossen. Erst drei Tage später erfuhr Disses Frau vom Tod ihres Mannes.
Quelle: „Höxter: Verdrängte Geschichte“, Ernst Würzburger, Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden.