Freilichtbühne Bökendorf: "1.000 Fragen, die niemand beantworten kann"

Brakel-Bökendorf. "In 70 Jahren ist nicht eine Vorstellung ausgefallen, es wurden teilweise Leute aus dem Krankenhaus geholt, auf die Bühne gesetzt und anschließend wieder zurückgebracht", sagt Anna Mohr. Dann kam Corona. Und es fiel nicht eine Vorstellung, sondern gleich die ganze Saison ins Wasser. Für die 2. Vorsitzende der Freilichtbühne Bökendorf war das "wie ein Schlag in den Magen". Ausgerechnet diese Saison, in der die Bühne ihren 70. Geburtstag und den Millionsten Zuschauer feiern wollte. All das ist erst einmal aufgeschoben, genauso wie die Aufführungen von "Pippi Langstrumpf" und "Der kleine Horrorladen". "Wir wissen aber nicht, ob wir nächstes Jahr spielen dürfen, da sind 1.000 Fragen, die noch keiner beantworten kann", sagt Verena Becker. Sie ist 1. Vorsitzende und als Mohrs Tochter quasi auf der Bühne aufgewachsen. Um die Zukunft zittern, das ist nicht neu für die Bühne. "Das Geld war so knapp", erinnert sich Mohr, "wenn wir eine Saison geschafft hatten, hab ich mich immer gefragt, wie es weitergehen soll". Irgendwie ging es aber weiter. Wenn ein Darlehen aufgenommen werden musste, war für Mohr klar, dass sie bleibt, solange es abbezahlt wird. Es folgten weitere Kredite und weitere Versprechen, einer jüngeren Bühnen-Generation keinen Schuldenberg aufbürden zu wollen. Der Mann vor der Toilette Ihren Anfang bei der Freilichtbühne wird Mohr wohl niemals vergessen. Es war 1968, auf dem Spielplan: "Der Hauptmann von Köpenick". "Mein späterer Mann spielte den Soldaten, der vor der Toilette darauf wartete, dass der Hauptmann sich drinnen umzog", sagt sie. Zu der Liebe gab es das zeitaufwendige Hobby dazu. "Für eine Familie ist das so am besten zu bewältigen." Freilichtbühne, das hieße mitunter vier Tage die Woche unterwegs zu sein. Also macht man das am besten gemeinsam. "Ich bin richtig glücklich, dass ich mit ihm nicht immer zum Fußball musste", zieht Mohr lachend Bilanz. Und wer so viel Zeit auf, hinter und um die Bühne herum verbringt, der kommt wohl nicht drum herum, sich heimisch zu fühlen. Die beiden Frauen würden zwar nicht behaupten, dass sie jedes Brett "Am Hasenholz" am Knarren identifizieren könnten. Manch ein Mitglied kenne sich aber unheimlich gut aus. "Wir haben einen Techniker, der jeden einzelnen Schlüssel kennt. In einer großen Schüssel identifiziert er jeden Schlüssel auf Anhieb - und es gibt hier wirklich viele Türen." "Premierenstimmung ist wie eine Droge" Biografien wie die von Becker und Mohr, die ihr Leben der Bühne widmen, sind nicht selten. "Viele, die zum ersten Mal Premierenstimmung erleben, wenn alles klappt, die Leute an den richtigen Stellen lachen, den Applaus, die sind wie auf Droge", erklärt Becker. Genauso intensiv könne die Trauer sein, wenn ein Stück ende, wenn Schauspieler sich von ihren Rollen verabschieden müssten. "Manchmal ist das auch mit Tränen verbunden". Die Emotionen, die viele Arbeit, all das macht die rund 160 Menschen, die der Bühne und den Dramen auf verschiedenste Weise Leben einhauchen, zu so etwas wie einer zweiten Familie. In deren Schoß irgendwann auch diejenigen zurückkehren, die zwischendurch ihr eigenes Ding machen mussten. "Viele, die als Kinder Teil der Bühne waren, kommen später mit ihren eigenen Familien später zurück und bringen ihre eigenen Kinder dann wieder mit." Der 70. Geburtstag kann wegen des Coronavirus nicht zu einem rauschenden Familienfest werden, zu dem die ganze Bühnen-Verwandtschaft aus dem Kreis Höxter aber auch darüber hinaus freudig anreist. "Aber wir machen das beste daraus", sagt Becker. Zumindest den ökumenischen Gottesdienst, der normalerweise die Theatersaison einläutet, soll es an diesem Sonntag geben. Natürlich dort, wo die Familie immer zusammengekommen ist, und dort, wo sich auch Abstands- und Hygieneregeln am besten umsetzen lassen: auf der Bühne.

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