Massenproteste und Gewalt in Chile: Ein Brakeler ist mittendrin

Brakel/Santiago de Chile. Seit Anfang Oktober kommt es in Chile immer wieder zu Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Sebastian Schneider aus Brakel erlebt die Geschehnisse hautnah mit. Unter dem Druck dieser bislang nicht gekannten Massenprotesten hat Chiles Staatschef Sebastián Piñera am Wochenende seine gesamte Regierung entlassen. Die Ausgangssperre in der Hauptstadt Santiago de Chile wurde nach einer Woche aufgehoben. Dem vorausgegangen waren seit rund einer Woche Demonstrationen auf den Straßen gegen wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeiten, bei denen es schwere Zusammenstöße mit der Polizei, 19 Tote und mehr als 580 Verletzte gab. Mittendrin bei den chilenischen Unruhen ein Brakeler: Sebastian Schneider lebt seit fast 15 Jahren in Chile, sein Sohn wurde dort geboren. Seit sechs Jahren ist er in der Hauptstadt zu Hause und seit vier Jahren im Stadtzentrum, nur rund 500 Meter Luftlinie vom Plaza Italia entfernt. Auch er war zum friedlichen Protest unterwegs, erlebte die Gewalt hautnah, war von Tränengas und Erschöpfung nach drei Tagen auf der Straße gezeichnet. Er berichtet in die Heimat und versucht, die aus seiner Sicht zuletzt &bdquo;unübersichtliche und unvorhersehbare Situation" einzuschätzen und ein anderes Bild zu geben als das verzerrte der lokalen Medien dort. Und er schickt Grüße &bdquo;aus dem erwachten Chile". &bdquo;Ich interessiere mich für Politik und Geschichte" &bdquo;Ich interessiere mich für Politik und Geschichte und sehe die chilenische Demokratie mit ihren Strukturen und Personalien mit sehr kritischen Augen", schreibt er. &bdquo;Abgesehen davon arbeite ich im Tourismus. Und eine Berichterstattung, die sich auf die schrecklichen Bilder der Gewalt fokussiert, ist nicht nur schädlich für das Ansehen meiner Wahlheimat, sie ist auch grundlegend falsch", sagt Schneider, der als Ausländer mit einer unbegrenzten Aufenthaltsgenehmigung auch seit neun Jahren das Recht zum Wählen hat. Er sei glücklich, schreibt der Brakeler, &bdquo;dass breite Teile des chilenischen Volkes bereit sind, in einer so riskanten Situation für eine bessere Gesellschaft auf die Straße zu gehen. Die Proteste haben meine volle Unterstützung." Er habe mehrfach täglich an pazifistischen Protesten teilgenommen und versuche, sich über vertrauensvolle Quellen zu informieren &bdquo;und der Desinformation mit eigenen Kommentaren und Stellungnahmen zumindest ein bisschen entgegenzuwirken". Noch am Freitag waren mehr als eine Million Menschen gegen den konservativen Präsidenten (regierte von 2010 bis 2014 sowie wieder seit März 2018) auf die Straße gegangen und hatten den Rücktritt sowie grundlegende Wirtschaftsreformen gefordert. Aus Sicherheitsgründen an dem Tag frei bekommen Schneiders Arbeitgeber hatte ihm aus Sicherheitsgründen an diesem Tag freigegeben, berichtete der Brakeler. &bdquo;Ich habe aber beschlossen, auf der Straße präsent zu sein, bis der Präsident zurücktritt." Am Tag zuvor war Schneider noch bis kurz vor der Ausgangssperre auf dem Plaza Italia gewesen. &bdquo;Danach habe ich vor der Haustür einen Cacerolazo (lautstarke Demonstrationen mit extra von den Demonstranten mitgebrachten Töpfen und Pfannen; Anm. der Redaktion) veranstaltet. An beiden Orten wurden Menschen durch Polizeigewalt verletzt, und ich empfand die Gewalt als überproportional." Die Proteste waren bereits eine Woche zuvor durch gestiegene U-Bahn-Preise ausgelöst worden. Die Regierung hatte die Preiserhöhung zwar schnell wieder zurückgenommen und Sozialreformen angekündigt, aber der Protest der Menschen war nicht mehr aufzuhalten gewesen und mündete schließlich in der Rücktrittsforderung. Piñera steht wegen der abflauenden Konjunktur und Kritik an seinem Führungsstil schon länger unter Druck. Er hatte schon zwei Mal sein Kabinett umgebildet. &bdquo;Uns Protestierenden ist bewusst", schreibt Schneider, &bdquo;dass wir diesen Moment nutzen müssen, um einen wirklichen demokratischen Wandel zu erreichen". Und abschließend: &bdquo;Ich hoffe weiterhin auf einen wirklichen Wandel für die chilenische Zivilgesellschaft. Ich bin zuversichtlich, dass diese bewegende Zeit mehr Positives als Negatives für Chile hervorbringt."

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