Borgentreich. Die Orgelstadt ist einer der ersten Orte Deutschlands, dessen Chronik weltweit live mitverfolgt werden könne, sagt Hubertus Hartmann. Mit der Online-Chronik beschreitet der Ortschronist neue Wege einer zeitgemäßen Geschichtsschreibung.
„Um der Nachwelt in Wort und Schrift auf dem Wege einer einfachen auf bloße wahrhafte Thatumstände sich gründende Erzählung die aller merkwürdigste Begebenheiten vom Anfang dieser Sommer nämlich vom Jahre 1800 treu und wahrhaft zu offenbahren, wird derselben nachfolgende Geschichtsbeschreibung oder Erzählung gewidmet": Als der unbekannte Autor einst diese Zeilen in gestochener deutscher Kurrentschrift mit der Feder zu Papier brachte, hat er sicherlich nicht geahnt, dass sich zwei Jahrhunderte später viele tausend Leser seine Niederschriften schmunzelnd zu Gemüte führen würden.
In Buchform soll das Werk in Kürze erscheinen
Möglich gemacht hat es das Engagement ehrenamtlicher Übersetzer. Auf Initiative von Ortsvorsteher Werner Dürdoth und Chronist Hubertus Hartmann ist die alte Chronik der Orgelstadt von der „Sütterlinstube" Hamburg in ein aktuelles Schriftbild übertragen und digitalisiert worden. Marlene Conze und Anni Ohlrogge aus Borgentreich haben sich der Jahre 1948 bis 2005 angenommen und die handschriftlichen Aufzeichnungen in den Computer getippt. Auch in Buchform soll das Werk in Kürze erscheinen. Das Land NRW fördert das Projekt mit 2.000 Euro.
„Als ich die Chronik übernommen habe, dachte ich mir, Altbewährtes muss neue Wege beschreiten", sagt Hartmann. „Junge Leute gehen nicht ins Rathaus, um in einem Buch zu schmökern, dessen Schrift sie nicht entziffern können", schildert er seine Motivation zur Einrichtung des Chronik-Blogs. Seit 2017 können die Bürger ihre Chronik live im Internet verfolgen.
„Chronik kompakt": 200 Jahre Borgentreicher Historie für eilige Leser
„Eine Chronik verrät viel über eine Stadt und deren Bewohner. Sie gewährt tiefe Einblicke in den Charakter eines Ortes, offenbart Stärken und Schwächen einer Gemeinschaft, zeigt sowohl die guten als auch die negativen Seiten – bis hin zu Verfehlungen und Straftaten einzelner Bürger", macht Hartmann deutlich. Die Ortschronik biete einen interessanten und unterhaltsamen Streifzug durch ihre Heimatgeschichte.
Auch seien die Niederschriften der Vergangenheit stets geprägt von den subjektiven Eindrücken ihrer Verfasser. „Und die haben manch nette Stilblüte hervorgebracht", weiß der Chronist. Per Mausklick oder Touchscreen werde Heimatgeschichte nun vielleicht auch für die Jugend interessant, hofft Hartmann. Unter dem Menüpunkt „Chronik kompakt" sind über 200 Jahre für eilige Leser, die sich nicht Jahr für Jahr durch die kompletten Aufzeichnungen wälzen wollen.
„Eine spannende Ortschronik sollte mehr enthalten als nur die Namen von Schützenkönigen oder die Erwähnung von Vereinsjubiläen und fröhlichen Feiern", meint der gelernte Journalist. „Nüchterne Zahlen aus der Kommunalpolitik gehören ebenso dazu wie das kleine, aber ungewöhnliche Ereignis am Rande." Gerade die kleinen Geschichten seien es, „die Borgentreich liebens- und seine Chronik lesenswert machen", betont der Chronist, der sich aber ebenso gesellschaftlich-politischen Themen widmet. Kritisch betrachtet Hartmann in diesem Zusammenhang die Rolle des Denkmalschutzes.
"Ein Projekt mit Leuchtturm-Potenzial"
Dass die alte Chronik nun digital verfügbar sei, mache die Borgentreicher Historie für viele erfahrbar und erlebbar, sagt Bürgermeister Rainer Rauch. Die digitale Ortschronik habe Leuchtturm-Potenzial: „Vielleicht können wir an dieses gelungene Projekt anknüpfen, um die Geschichte unserer Stadt einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen."
Dass vielerorts überhaupt eine Ortschronik existiert, ist einem Erlass zu verdanken, in dem 1817 die preußische Regierung alle Städte und Gemeinden aufforderte, rückwirkend ab 1800 eine Chronik zu führen. Die Ortschronik ist online unter https://chronik-borgentreich.jimdo.com zu finden.
