Borgentreich

Borgentreicher Ortschronik ab sofort im Netz

Der Journalist Hubertus Hartmann hat die Borgentreicher Ortschronik ins Internet gestellt - Die Leser und Bürger sollen bei diesem Projekt mit einbezogen werden

Hubertus Hartmann: Er hat auch Ausschnitte der alten, im Jahr 1800 begonnen Chronik, digitalisiert. | © Privat

05.05.2017 | 05.05.2017, 07:00

Borgentreich (nw). Als einer der ersten Orte überhaupt hat Borgentreich eine rund um die Uhr öffentlich zugängliche Chronik. Im Internet können Bürger praktisch live mitverfolgen, was der Chronist für die Nachwelt festhält.

Diese Aufgabe hat für die Orgelstadt mit Beginn des Jahres Hubertus Hartmann übernommen. Er kümmert sich um die nachhaltige Dokumentation des örtlichen Geschehens. Sowohl in Buchform, wie seit Jahrhunderten üblich, als auch digital. Unter dem Leitthema „Orgelstadt im Zeitraffer" ist die Seite „Chronik Borgentreich" (www.chronik-borgentreich.jimdo.com) ab sofort freigeschaltet.

„Den Chronisten sehe ich nicht nur als nüchternen Berichterstatter", sagt Hartmann. „Ein Chronist darf auch den Finger in Wunden legen und Probleme benennen", nimmt der gelernte Journalist die Rolle des kritischen Begleiters und Kommentators lokaler Geschehnisse und kommunaler Entscheidungen für sich in Anspruch. Auch sei die Chronik kein geheimes Buch, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Stadtarchiv verstauben müsse. Sein Anliegen sei es, die Borgentreicher Ortschronik zeitgemäß zu führen und für alle Bürger im Netz zugänglich zu machen.

»Ein Ortschronist, der die Chronik im Internet führt, ist mir bislang nicht bekannt«

Mit diesem Ansatz betritt der 63-Jährige offenbar Neuland. „Ein Ortschronist, der die Chronik im Internet führt, ist mir bislang nicht bekannt", erklärt Kreisheimatpfleger Hans-Werner Gorzolka und bezeichnet den Borgentreicher Weg als „interessantes Projekt". „Eine spannende Ortschronik sollte mehr enthalten als nur die Namen von Schützenkönigen oder die Erwähnung von Vereinsjubiläen und fröhlichen Feiern", meint Hartmann. „Die aktuelle Pro-Kopf-Verschuldung gehört ebenso dazu wie das kleine, aber ungewöhnliche Ereignis am Rande."

So findet bei ihm beispielsweise auch der 25-jährige Felix Jürgens Erwähnung. Der junge Borgentreicher hat seine Ausbildung als bester Tischlergeselle des Kreises Höxter absolviert und geht danach auf die Walz – für mindestens drei Jahre und einen Tag, wie es die Tradition verlangt. Auf seinem Weg vom Elternhaus zum Ortsausgangsschild wird er von anderen Wandergesellen mit Gesang und in zünftiger Kluft begleitet. Oder die Diplom-Designerin Monika Göke, die mit unternehmerischem Mut und Sinn für Tradition das alteingesessene Handarbeits- und Kurzwarengeschäft „Frau Alois Lotze" übernimmt.

Kritisch: Rolle des Denkmalschutzes

Sie bewahrt die Borgentreicher Institution nach dem Tod der letzten Inhaberin Rosemarie Lotze vor der Schließung.„Gerade diese kleinen Geschichten sind es, die Borgentreich liebenswert machen", meint der Chronist und widmet sich zugleich gesellschaftlich-politischen Themenschwerpunkten wie etwa dem wachsenden Gebäudeleerstand in der Orgelstadt, der seiner Ansicht nach nicht nur der demografischen Entwicklung geschuldet ist: „Gut ausgebildete junge Leute zieht es in die Metropolen, weil in unserer Region qualifizierte Arbeitsplätze Mangelware sind."

Kritisch betrachtet Hubertus Hartmann in dem Zusammenhang die Rolle des Denkmalschutzes: Potenzielle Käufer denkmalgeschützter Gebäude scheiterten mit ihren Sanierungs- und Nutzungsplänen immer wieder an überhöhten behördlichen Auflagen. Aber „Denkmalschutz 2.0" könne nur aus einer Symbiose von Bewahren und Nutzen bestehen. "Erhalt unter Inkaufnahme von Verfall konterkariert letztlich alle Bemühungen um ein intaktes Ortsbild", kommentiert Hartmann in seiner Internet-Chronik 2017.

Auch alte Schriften digitalisiert

In den ersten Wochen seiner Tätigkeit hat Hartmann nicht nur Interessantes im Jahr 2017 dokumentiert, mit Fotos, Hintergrundinformationen und Kommentaren angereichert, sondern auch handschriftlich verfasste Chronikniederschriften früherer Jahre digital aufbereitet und ins Netz gestellt.

Die Borgentreicher Bürger möchte er nicht nur als Leser einbeziehen: „Tipps und Hinweise, aber auch Kritik nehme ich gerne entgegen." In der Internet-Chronik gibt es dafür extra ein Kontaktformular.

Mehr zu sehen gibt es auf der Internetseite www.chronik-borgentreich.jimdo.com

Information
Wissenswertes, Amüsantes und ein Testament
Die ersten Aufzeichnungen in der alten Borgentreicher Ortschronik datieren aus dem Jahr 1800. „In diesem Jahre stand die Stadt unter der Regierung des Hochwürdigsten Bischof Franz Egon zu Paderborn", heißt es da. „Dem Communalwesen stand ein gütiger Stadt-Magistrat, der zugleich von der Bürgerei gewählt wurde, vor. Dieser übte die Binnen-Juristica in der Stadt aus, womit die Feld-Juristica von einem Fürstbischöflichen Küster verwaltet wurde." Der erste in der Chronik erwähnte Bürgermeister des Bördestädtchens hieß Andreas Kloke.
Von Diamantenen Hochzeiten und Ernteerträgen oder dem unvergessenen Fernsehauftritt von Resi Striewe 1980 in Blacky Fuchsbergers Show „Auf los geht’s los" wird in dem dicken Buch ebenso berichtet wie vom Großbrand, der am 28. Dezember 1914 13 Gebäude, darunter neun Bauernhöfe, in Schutt und Asche legte. Selbst das am 1. Dezember 1827 verfasste und nach dessen Tod 1840 veröffentlichte Testament von Friedrich Wilhelm III. ist in dem Werk abgeheftet. Verschiedene Chronisten haben in diesem Buch handschriftlich hunderte von Seiten gefüllt, bevor im Jahr 2007 das aktuelle Chronikbuch begonnen wurde. Das historische Buch befindet sich im Stadtarchiv.