Moderner Goethe als Gender-Schauspiel in der Stadthalle Beverungen

Beverungen. Manche Theaterstücke sieht man sich an, obwohl man sie schon kennt. Goethes Faust ist ein Theaterstück, das man sich nicht ansieht, obwohl man es schon kennt, sondern weil man es kennt. Es ist der Reiz, das Bekannte neu zu entdecken, auf neue Weise zu verstehen und Querverbindungen und Parallelen zu früheren Erfahrungen ziehen zu können, was den &bdquo;Faust" immer wieder aufs Neue zum Erlebnis macht. Goethes Faust war in einer Inszenierung der Burghofbühne aus Dinslaken im Theaterprogramm der Beverunger Kulturgemeinschaft zu sehen. Rund 200 Schüler und einige ältere Theaterfreunde erlebten eine engagierte zeitgenössische Inszenierung mit viel nackter Haut und literweise Theaterblut. Die Burghofbühne ist bekannt für moderne, jugendlich engagierte Produktionen. Diesem Anspruch wurde auch die aktuelle Faust-Inszenierung unter Regisseur Matthias Fontheim gerecht. Manche Szenen erinnerten eher an ein Splatter-Movie als an deutsches Traditionstheater. Wohl auch gerade desalb zählt diese Inszenierung zu den am meisten diskutierten &bdquo;Faust"-Produktionen. "Faust" wird von einer Frau gespielt Seit 2014 läuft dieser Burghof-Faust und das spricht für seine Qualität. Der &bdquo;Faust" wird hier von einer Frau gespielt. Das ist nichts revolutionär Neues mehr. An der Münchener Residenz war zuletzt ein &bdquo;Faust" mit einem weiblichen &bdquo;Mephisto" zu sehen. Und das ist alles richtig so, denn es ist auch im Sinne Goethes, den &bdquo;Faust" von seinen Altherrenfantasien zu entstauben und mit frischem Wind der Gender-Bewegung anzufüllen. Es geht im &bdquo;Faust" nicht um Unzucht mit Minderjährigen. Diesen Eindruck erwecken regelmäßig sogenannte klassische Inszenierungen, wo greise Professoren junge Mädchen verführen. Das hat nichts mit Goethe zu tun. Faust ist ein Jugendwerk des Sturm und Drang. Johann Wolfgang von Goethe war 23 Jahre alt, als er die Arbeit am Faust aufnahm. Er hatte gerade sein Studium in Leipzig abgeschlossen, und seine Studentenzeit wirkt in dem Drama nach. Jugendlicher Wissensdurst, Zweifel am Althergebrachten, hemmungslose Leidenschaft und in jeder Hinsicht über die Stränge zu schlagen, sind Themen, die sich als rote Fäden durch das Drama wie auch durch die Inszenierung zogen. &bdquo;Urkraft" ist das Schlüsselwort zum Verständnis der Burghof-Inszenierung. &bdquo;Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen, wenn es nicht aus der Seele dringt und mit urkräftigem Behagen die Herzen aller Hörer zwingt", sagt Faust in der &bdquo;Nachtszene". Einziger Wermutstropfen der Aufführung war die oftmals im Sog des körperbetonten Bühnenspiels untergegangene Textverständlichkeit. &bdquo;Du musst verstehn, aus Eins mach Zehn und Zwei lass gehn und Drei mach gleich, so bist du reich", beginnt da Hexeneinmaleins. Davon war leider beim Gebrüll in der &bdquo;Hexenküche" nichts zu verstehen. Körperbetont, radikal und dennoch im Rollenverständnis ganz konservativ Trotzdem gelang es der Burghofbühne, den &bdquo;Faust" mit seiner für heutige Verhältnisse schwer nachvollziehbaren Verssprache, auch für ein neues, junges Publikum erlebbar und zugänglich zu machen. Dieser Faust war körperbetont, radikal und dennoch im Rollenverständnis ganz konservativ. Auch wenn Faust mit Friederike Bellstedt (50) durch eine Frau verkörpert wurde, wurde hier kein feministischer Frauen-Faust vorgeführt. Bellstedt gelang es vielmehr, geschlechtsübergreifend im klassischen Dramaverständnis, den Charakter eines getriebenen Menschen zu zeigen. Glanzleistungen zeigten auch Matze Vogel (28) als &bdquo;Mephisto" und Charlotte Will (22) als &bdquo;Gretchen". Gerade das Gretchen ist eine besonders knifflige Rolle. Die Kölner Jungschauspielerin Charlotte Will verkörperte glaubwürdig das schöne Dummchen, das aber durch sein intuitives Verständnis für Recht und Unrecht über den zynischen Gelehrten stand.

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