Corona-Demos: Nur Meter auseinander - doch durch Welten getrennt

Bad Driburg. Zuerst ist da nur Musik: Die Stimme des Rockmusikers Marius Müller-Westernhagen schallt durch die Lautsprecher der Lautsprecherbox, die auf ein Wägelchen mit vier Rollen vor das Bad Driburger Rathaus gestellt wurde. Langsam füllt sich der Platz, mehr Menschen kommen, alte, junge Leute, auffällig viele Familien mit Kindern. Von schräg gegenüber, vom Leonardo-Brunnen, da wo die Gegendemo zum "Spaziergang" stattfindet, kreischt das Rückkopplungsgeräusch eines Mikrofons herüber. "Freiheit, Freiheit. Ist das Einzige, was zählt", raspelt Westernhagens Reibeisenstimme dagegen. Montag, 19 Uhr, zwei Veranstaltungen, zwei Orte, nur wenige Meter voneinander entfernt und doch Meilen auseinander. Dazwischen die Polizei, die mit mehreren Einsatzwagen vertreten ist - an beiden Versammlungsorten. Bis zum Ende der Veranstaltung haben die Beamten auf Seiten der Spaziergänger 250 Teilnehmer gezählt - im Laufe des Abends kommen stets weitere Personen hinzu - bei der Kundgebung am Leonardo-Brunnen schätzt die Polizei die Zahl auf 80 Personen.Nach der Musik von der Freiheit, kommt noch"Get up - Stand up", ein Song, den Bob Marley aus dem Dunstkreis der Rastafari-Bewegung getragen hat und der später zu einem zentralen Song der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde. Einige, nicht alle auf dem Platz tragen Kerzen, vor der Menschengruppe in rund drei Metern Höhe an vier Fahnenmasten sind jeweils zwei große blaue Banner angebracht "Impfen lassen ... für unsere Kinder und Familien", steht jeweils in weißer Schrift darauf.Lesen Sie auch: Kommentar: Wie Demokratie funktioniert Unter den Bannern turnen Kinder die Treppenstufen rauf und runter, ohne Maske, wie die meisten zu Beginn der Versammlung. Auf den Treppenstufen stehen eine hell leuchtende Laterne und eine Kerze, daneben Transparente in blauer und weißer Druckschrift: "Junge Menschen stehen auf" steht auf einem, "Transportwesen steht auf", "Einzelhändler stehen auf", "Senioren stehen auf". Und so weiter. Alle stehen aber schon. Der Versammlungsleiter auch - und greift zum Mikrofon. Versammlung rund um Stehtische Auf der anderen Seite hat sich die Gruppe derer, die Solidarität und Zusammenhalt während der Coronakrise betonen möchten, rund um ein paar Stehtische und einen Gartenpavillon versammelt. "Mit der Demokratie spielt man nicht", steht auf einem gelben Transparent mit schwarz-roten Lettern, die Veranstalter haben es vor den Tischen am Boden ausgebreitet. Die Initiatoren wollen ins Gespräch kommen, reden, über Ängste und Sorgen, über die geplante Impfpflicht und den Umgang damit. Mitinitiator Wilk Spieker hat dazu die SPD-Landtagskandidatin Nora Wieners, den Rechtsanwalt Tim Heuel und den Journalisten Alexander Bieseke aus Bad Driburg eingeladen."Wir sind keine Coronaleugner", meint der Versammlungsleiter nebenan am Rathaus, aber man stehe der Impfpflicht kritisch gegenüber. Wer an "Spaziergängen" teilnehme, gehöre keiner bestimmten politischen Richtung an, versichert er. Dann drückt der Mann auf ein paar Tasten, zu hören ist ein Merkel-Zitat: "Es gibt Zeiten, in denen Ungehorsamkeit eine Pflicht sein kann". Angela Merkel hat diesen und weitere folgende Sätze zum Thema Widerstand am 20. Juni 2019 gesagt. Anlass war damals der Jahrestag des Attentats von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Bevor alle losmarschieren, vergewissert sich der Sprecher noch: "Sind wir kritisch?" Die Teilnehmer antworten wie mit einer Stimme: "Ja."Rechtsextreme Kleinstpartei hat auch eingeladen Und gehen los, vorher aber weist der Mann mit dem Mikro darauf hin, dass die Demo angemeldet ist und deshalb laut gültiger Regeln eine Maske getragen werden müsse. Die meisten kommen seiner Aufforderung nach, der Lautsprecher auf dem Wagen, aus dem die warnende Stimme Angela Merkels erschallt, wird vornweg gezogen. Zu diesem Spaziergang, wie zu allen übrigen im Kreis Höxter, hatte auch die rechtsextreme Kleinstpartei "Der dritte Weg" öffentlich auf ihrer Homepage eingeladen. Am Leonardo-Brunnen hat sich inzwischen ein lebendiges Gespräch Für und Wider die Impfpflicht entwickelt. "Wir sollten erst alle Hürden abarbeiten, die einer Impfpflicht im Wege stehen", meint Bieseke, dessen Bruder vor genau einem Jahr an Corona gestorben war. Er halte Impfungen für richtig und wichtig, sei von einer allgemeinen Impfpflicht für alle Altersgruppen aber nicht vollends überzeugt. Wieners betont, wie wichtig das Impfen ist und stellt heraus, dass jeder, der sich infiziert, im Krankenhaus landen könne - egal welchen Alters: "Wir stehen alle in der Verantwortung, das Virus macht vor Altersgrenzen keinen Halt." Deshalb will sie auch eine Impfpflicht ab 18 Jahren nicht ausschließen. Bieseke findet es gut, dass über das Thema letztlich der Bundestag nach eingehender Beratung entscheiden soll. "Wenn es eine Entscheidung gibt, stehe ich auch dahinter." Spieker fragt, ob und wie mit einer höheren Impfquote die Pandemie beendet werden könnte - und weist selbst darauf hin: "Spanien hat eine höhere Impfquote - aber es gibt auch Infektionen. Allerdings weniger Intensivpatienten."Alles friedlich verlaufen Nach rund einer Stunde kommen die Spaziergänger wieder auf dem Platz vorm Rathaus an.Laut Angaben der Polizei verlief alles friedlich, die Zahl der Teilnehmer sei noch ein wenig angestiegen, weil Menschen auf den Straßen zum Demonstrationszug dazugestoßen sind. Der Versammlungsleiter sagt, er glaube nicht daran, dass "eine Impfung das Immunsystem überlisten" könne. Die Versammlungsteilnehmer applaudieren. Dann wird gesungen. Freiheit von Westernhagen. "Beim nächsten Mal", kündigt er an, wolle man das Lied gemeinsam singen, wenn man durch die Straßen gehe.

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