Noch einmal um den Pudding

Löhne. Neun Grad und Nieselregen. Und dann dieser ganze Corona-Mist. "Wie soll man da in Weihnachtsstimmung kommen?", frage ich mich, als ich vor der Haustür meiner Eltern auf das Thermometer schaue. Mein Blick wandert durch die Siedlung am Osterfeldweg. Hier und da steht ein Schwibbogen im Fenster, ein paar Lichterketten sind zu sehen. Hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich eine glückliche Kindheit verbracht. Vielleicht entdecke ich hier in den Straßen ja auch den Geist längst vergangener Weihnachtszeiten wieder. Auf geht's, noch einmal kurz um den Pudding. Der Potthastweg: Nass und schwarz glänzt der Asphalt im Schein der Straßenlaternen. Autos parken an den Rändern, hier und da stehen große Pfützen. An jedem Haus kommen mir die Namen der damals schon alten Bewohner in den Sinn - die natürlich längst gestorben sind. Jetzt leben hier die Kinder oder die Enkel. Oder ganz andere Leute. Manche Häuser und Vorgärten haben sich sehr verändert, manche gar nicht, manche sind weihnachtlich beleuchtet, andere kommen recht düster daher. In manchen Häusern sind Menschen zu sehen, die ich nicht kenne. Vorm Fernseher. Oder am Esszimmertisch sitzend. Auf der Schäferstraße wird ein dunkelhäutiger Mann auf einem Fahrrad just neben einer Pfütze von einem Auto überholt und nass gespritzt. Der Mann ruft etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe - aber ich bin mir sicher, dass es nichts Weihnachtliches war. "Haben Sie mich gerade fotografiert?" Auf der Alten Werster Straße das gleiche Bild: Nasser Asphalt, Pfützen, grelles Laternenlicht. Und die gleichen Gedanken: Dort hat früher der und der gewohnt, und dahinten die und die. Vor einer ehemaligen Kneipe, die vor Jahrzehnten für alle nur "bei Ken" hieß, will ich ein Foto machen. Ein Auto blendet mich und hält dann direkt hinter mir an. "Haben Sie mich gerade fotografiert?", will der junge Fahrer wissen. Ich kann ihn beruhigen. "Ich fotografiere nur die Straße", sage ich. Am Himmel leuchtet leider gar nichts - überall nur Wolken. "Wenn ihr wenigstens mal für Schnee sorgen würdet", maule ich in Richtung oben. Schnee. Wie gern hab' ich früher Nachtspaziergänge im Schnee gemacht. Am liebsten bei klarem Himmel und Vollmond. Und mit meinem Großcousin, der hier auch gleich um die Ecke wohnte. Und mit einer Thermoskanne voll Glühwein. Und dann haben wir uns über Gott und die Welt unterhalten. Sinn des Lebens, Religionen, Umweltverschmutzung und was junge Menschen sonst noch so umtreibt. In der Schlingheide fällt mein Blick auf ein Klinkerhaus, das früher als das schönste Wohnhaus weit und breit galt. Und beim Martin-Luther-Singen gab's dort immer am meisten. Auch knapp 40 Jahre später heben sich Haus und Vorgarten vom Rest der Siedlung ab - vor allem durch eine sehr üppige Weihnachtsbeleuchtung. Kleine Verwechslung am Straßenrand Während ich mir den Balkon anschaue, bemerke ich hinter mir auf der Straße ein haltendes Auto. Zunächst lasse ich mir nichts anmerken. "Womöglich noch so ein Knötterpott", geht es mir durch den Kopf. Erst dann merke ich, dass ich den Parkplatz des Fahrers blockiere. Ich trete zur Seite, eine junge Frau steigt aus. Ist das etwa meine ehemalige Mitschülerin...? Noch bevor ich zu Ende gedacht habe, spreche ich die Frau bei ihrem vermeintlichen Vornamen an. Gleichzeitig ist mir klar, was für einen Unfug ich da gerade von mir gebe - die Angesprochene ist geschätzte 25 Jahre jünger als ich. "Nee, das ist meine Mutter", sagt die Fahrerin. Wir müssen lachen. Apropos Töchter: Wird Zeit, dass ich nach Hause fahre. Genug Nieselregen. Gleich gibt's Abendbrot. Und die Kleinen sorgen am Tisch bestimmt für Weihnachtsstimmung.

Meistgelesen