Mit 18 raus aus der Jugendhilfe: "Viele landen in der Wohnungslosigkeit"

Hiddenhausen. Jenny hatte sich selbst weh getan, weil ihr zu Hause auch weh getan wurde. Mit 15 sei sie immer auffälliger in der Schule geworden. Bis sie schließlich ein Sozialarbeiter aus ihrer Familie befreite, erzählt sie. Jenny kam in ein Mädchenhaus der Jugendhilfe Schweicheln in Bielefeld. "Das war eine der besten Entscheidungen in meinem Leben", sagt die 35-Jährige heute. Ihr Weg war seitdem zwar noch immer steinig, viel steiniger als der der anderen Jugendlichen mit einer intakten Familie, aber er führte sie letztendlich dahin, wo sie heute ist - und heute ist sie glücklich. Sie steht regelmäßig auf der großen Bühne, singt und verdient Geld mit ihrer Leidenschaft. Ihr kompletter Name ist Jennifer Grove. Sie und ihr Mann sind das lokal berühmte Musikduo "White Coffee". Obwohl Grove weiß, dass es sie hätte schlimmer erwischen können, denkt sie nicht gerne an die Zeit zurück. "Ich hatte immer das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein und das wird so auch mein ganzes Leben lang so bleiben", befürchtet die Sängerin. Schon sehr früh im Leben sei sie darauf angewiesen, auf eigenen Beinen stehen zu müssen. Es sei zwar regelmäßig ein Sozialarbeiter, ein Erwachsener da gewesen, der sie in alltäglichen Situationen unterstützt hatte, aber ein Rückhalt wie der einer liebenden Familie fehlte.Ganz schlimm wurde es als es hieß, aus der Mädchen-Wohngruppe ausziehen zu müssen und plötzlich auch keine finanzielle Hilfe mehr zu bekommen, so Grove. Sie, die ein schüchternes Mädchen gewesen sei und eher Angst vor Menschen hatte, sollte sich nun auf dem Wohnungsmarkt und in der Arbeitswelt beweisen. Hätte sie das nicht hingekriegt, wäre sie auf der Straße gelandet. Ein Auffangnetz hätte es nicht gegeben.Häufiiger Schulden und HartzIV "Es ist nicht selten, dass Careleaver aus dem System fallen", erklärt Charlotte Reiche. Die Sozialpädagogin ist Teil eines fünfköpfigen Teams der Jugendhilfe Schweicheln, das sich neben ihrer eigentlichen Arbeit in dem Modellprojekt "Heimathafen" mit dieser Thematik beschäftigt. Careleaver (zu Deutsch: Hilfeverlasser) sind junge Erwachsene, die in Jugendwohngruppen oder Pflegefamilien leben und sich auf den Übergang in ein eigenverantwortliches Leben vorbereiten oder die stationäre Jugendhilfe beziehungsweise Pflegefamilie bereits verlassen haben. "Careleaver sind häufiger von Wohnungslosigkeit betroffen, sie sind bildungsbenachteiligt und sie müssen häufiger HartzIV beantragen, wenn sie beispielsweise die Wochen von der Schule bis zum Studium überbrücken wollen", so Reiche weiter. Danach komme der Antrag auf BaFöG und später die Schulden. "Heimathafen", soll dabei helfen, die Lebensläufe zu stabilisieren. "Wir wollen emotional und sozial weiter für sie da sein. Wir beraten in Fragen zur Bewerbung, zu Schulden, oder bei der Wohnungssuche und wir bieten einen Treffpunkt an. Einen Raum, um zusammen sein zu können. Manchmal machen wir auch gemeinsame Ausflüge." Heimathafen ist ein Ankerpunkt Zwei Workshops mit neuen und "alten" Careleavern hätte es bereits gegeben, bei denen die Teilnehmer erzählt hätten, was sie am meisten bei dem Übergang belastet hatte und was sie sich für die zukünftige Generation an Careleavern wünschen würden, sagt Reiche. Beistand, Rückhalt, jemanden zum Reden - einen Ankerpunkt, wie es sonst eine Familie bieten würde, das seien die Antworten gewesen. Gesagt - getan! Die neuen Räume an der Herforder Straße 208 sind immer mittwochs von 9 Uhr bis 10.30 Uhr und von 14 Uhr bis 16 Uhr sowie nach Absprache für alle Careleaver geöffnet. Weiterhin gebe es so gut wie jedes Wochenende eine gemeinsame Aktion wie Filmabende oder Ausflüge. Auch ein Wohnzimmerkonzert mit "White Coffee" sei bereits dabei gewesen.An der Wand hängt eine Bilderkette von den den Teilnehmern bei den Aktionen. Grove ist ist auch abgelichtet. Sie strahlt auf dem Foto. Sie singt. "Für jemanden, der aus der Jugendhilfe kommt, ist es einfach schön, mal einen Abend zu verbringen, an dem man sich nicht erklären muss."

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