"Wie der letzte Dreck": Ein LKW-Fahrer redet Klartext

Hiddenhausen. Bevor Thomas Wagner (53) auch nur ein Auge zumachen kann, sichert er seine vier Quadratmeter große LKW-Kabine immer zwei Mal. Erst wenn er die Sicherheitsverriegelung gecheckt hat und der Gurt zwischen beiden Türen auf Anschlag gespannt ist, erlaubt sich der LKW-Fahrer eine Mütze voll Schlaf. Denn das Rasten auf einem Parkplatz ist gefährlich, erzählt er. Es wäre nicht das erste Mal, dass er ausgeraubt werde: In den meisten Fällen würden zwar nur die LKW-Planen aufgeschnitten oder der Sprit abgezapft, aber einmal sei er sogar schon, während er schlief, betäubt und bestohlen worden. Noch etwas skeptisch schaut der fast zwei Meter große Mann hinter seiner Tasse Kaffee auf. Seine beiden Chefs Norbert und Julian Dix von der Hiddenhausener Spedition Artur Kossak sitzen ihm gegenüber. "Was wollen Sie denn wissen?", fragt er mich. Wagner, der eigentlich ein Menschenfreund ist - wie er sagt - begegnet anderen aktuell eher verhalten. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. In den vergangenen Jahren seien die Leute immer mehr auf Abstand gegangen, sobald sie erfahren hatten, dass er Fernfahrer sei. Ein Vorfall hat sich in seinem Kopf verankert und werde ihn wohl auch sein Leben lang begleiten, sagt er: "Während des Lockdowns vor etwa einem Jahr, stand ich an der Kasse bei einem Autohof. Der Kassierer fragte, ob ich Fernfahrer bin. Ja, sag ich. Und plötzlich trat die Frau hinter mir einen großen Schritt zurück." Alles ist stressiger geworden Die Fassungslosigkeit steht Wagner beim Erzählen ins Gesicht geschrieben. Am liebsten hätte er sie angeschrien, sagt er. "Stinke ich oder habe ich die Pest?" Die Leute sollten sich mal überlegen, wer ihnen das Toilettenpapier bringt, wer dafür sorge, dass die Supermarkt-Regale voll seien, da reiche schon ein Blick nach Großbritannien. "Ohne uns LKW-Fahrer gibt's nichts zu kaufen." Es fehle die Wertschätzung für das, was die Fahrer auf sich nehmen. Und das nicht nur seitens der Bevölkerung. Auch bei den Auftraggebern, wie beispielsweise die großen Zentrallager der Supermarktketten, werde man behandelt wie Dreck. "Nach zwei Tagen Fahrt komme ich beim Kunden an und darf mich noch nicht mal waschen gehen. Manche haben extra Dixi-Klos für Fernfahrer hingestellt, damit die bloß nicht bei denen die Waschräume betreten." Und wenn man zu spät kommt, weil auf der Route etwa Stau gewesen war, dürfe er oft bis zu vier Stunden beim Kunden warten, bis er wieder an der Reihe mit Be-oder Entladen sei. Täglich habe er Stress, pünktlich müsse er sein - aber die erlaubte Fahrtzeit von viereinhalb Stunden am Stück dürfe er nicht überschreiten. Der Druck führe auch zu den von den PKW-Fahrern so gehassten Elefantenrennen. Auch ein Familienleben ist machbar Das sei früher nicht so gewesen, erinnert sich Wagner. Er habe die Touren nach Süd-Frankreich geliebt. Als die Firma noch international ausgefahren hatte, sei er gerne gen Süden gefahren. Seine beiden Kinder waren auch oft mit dabei. Das hatte schon Tradition, sagt der Familienvater. Auch er sei damals als "Bengel" bei seinem Vater mitgefahren. Da gab es noch vernünftige Raststätten. Und er wollte auch schon immer so einen Scania V8 fahren, wie es der Vater getan hatte. "Das ist der Porsche unter den LKWs." So gilt seine Leidenschaft neben der Arbeit ebenfalls schnellen Autos - und Reisen. Zwei mal im Jahr gönnt er sich eine Pauschalreise in den europäischen Süden mit seiner Ehefrau. Am liebsten in die Türkei, sagt Wagner. Die bereits erwachsenen Kinder hüten in der Zeit das Haus in Hameln. Leisten könne er sich das alles, weil er spare, sagt er. Und entgegen aller Vorurteile ließe sich das Leben eines Lastkraftfahrers mit Familie gut einrichten - "solange es die Frau mitmacht", sagt Wagner und lacht. Klar, kann er auch verstehen, warum keiner mehr den Job machen möchte. Da ist der schlechte Ruf, die im Vergleich schlechtere Bezahlung und die fehlende Wertschätzung - aber er fährt immer noch mit Leib und Seele. Speditionsfirmen suchen händeringend Fahrer In Deutschland fehlen bis zu 80.000 Fahrer. Allein bei der Spedition Kossak könnten sofort fünf neue Fahrer anfangen, ergänzt Speditionsleiter Norbert Dix. Eine bessere Bezahlung könnte helfen, mehr Leute an den Job zu bringen, aber der Wettbewerb lasse es nicht zu, so Dix weiter. "Was wir aber bieten können, ist die Wertschätzung, die all unsere Fahrer bekommen. Wir sind hier der Heimathafen für sie." Und so etwas weiß Wagner zu schätzen. Seit 32 Jahren ist er schon bei der Firma Kossak - und beabsichtigt, noch weitere 15 dort zu bleiben.

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