21-Jähriger tritt für die Grünen an: "Ich will hier etwas bewegen"

Hiddenhausen. Manchmal braucht es einen Bruch in der Biografie, damit das Leben eine positive Wende nimmt. Lennard Raukohl hat so einen Bruch erlebt: &bdquo;Ich war in der 11. Klasse an der Olof-Palme-Gesamtschule und hatte einfach keine Lust mehr zum Lernen. Dann hab ich kurzum die Schule geschmissen und bin abgegangen." Was nun? Das Abitur war damit – wenn überhaupt noch möglich – in weite Ferne gerückt. &bdquo;Ich brauchte einfach eine Auszeit und wollte etwas Praktisches machen. Etwas, das man auch sieht, etwas mit den eigenen Händen tun", sagt Lennard im Gespräch mit der NW. Er macht sich schlau – und findet einen Strohhalm, an dem er sich wieder aufrichtet. Freiwilliges ökologisches Jahr absolviert Der Kreis Herford hat seinen Bauhof in Bünde. Dort macht Lennard im Jahr 2018 ein freiwilliges ökologisches Jahr. Und er blüht förmlich wieder auf. &bdquo;Das war toll! Wir haben in der Natur gearbeitet, waren meist draußen und haben alles gemacht, was auf einem Bauhof eben so anfällt. Grasmähen, Heckenschneiden, Laubkehren, Straßenarbeiten." Langsam formt sich in ihm eine Lebenseinstellung. Denn im ökologischen Jahr ist er auch in ganz Deutschland auf Seminaren. &bdquo;Da ging es um viele Themen, die mir nach und nach die Augen für die Welt geöffnet haben", sagt er. &bdquo;Auf den jeweils einwöchigen Tagungen haben wir auch Themen wie Ökologie, Überfischung der Meere und zum Beispiel die Überproduktion von Fleisch diskutiert und dazu auch richtig gute Fachvorträge gehört und selbst gehalten." Nach und nach kommt Lennard wieder in die Spur. Von den Themen Finanzen und Wirtschaft fasziniert Seine Mutter Claudia Raukohl ist zwar schon bei den Grünen in Hiddenhausen und kandidiert bei der Kommunalwahl 2020 auch für den Rat. Aber soweit ist Lennard im Jahr 2019 noch nicht. Die Arbeitsstruktur des freiwilligen Jahres bringt auch wieder Struktur in sein Leben. Er will erneut zur Schule gehen und meldet sich ausgerechnet da an, wo der Themenschwerpunkt nach disziplinierter Arbeit riecht: das Herforder Berufskolleg am Wilhelmsplatz, ein Wirtschaftsgymnasium. Der Schwenk vom Abbruch an der OPG zu einer zahlenorientierten Schule erscheint von außen hart. Aber Lennard interessiert sich schon seit seiner frühen Jugend für eine heiß diskutierte Technologie, die immer mal durch die Schlagzeilen geht und für Aufsehen sorgt: Bitcoins, Kryptowährung, ein internetbasiertes Zahlungssystem, das die Weltwirtschaft eines Tages nachhaltig beeinflussen könnte. &bdquo;Ich bat meine Eltern damals um 800 Euro, damit ich einen Bitcoin kaufen könnte", sagt er heute schmunzelnd. &bdquo;Das macht natürlich niemand, einfach so Geld in Unbekanntes zu investieren. Und so haben sie es dann auch nicht getan." Aber, hätten sie mal: &bdquo;Denn eine Woche später war der eine Bitcoin nicht mehr 800 Euro wert, sondern 16.000!" Seitdem ist Lennard Raukohl von den Themen Finanzen und Wirtschaft fasziniert. Deswegen auch die Wirtschaftsschule: &bdquo;Mit anschließendem BWL-Studium. Das ziehe ich jetzt durch", sagt er. Früh Verantwortungsbewusstsein entwickelt Die Formalien, sprich seine Ausbildung, hat er also wieder im Griff. Jetzt kommt die Herzensangelegenheit: &bdquo;Ich habe einen Bruder, der an Epilepsie erkrankt ist. Deswegen bin ich schon von klein auf dafür, Schwächeren zu helfen. Für Gerechtigkeit und habe früh Verantwortungsbewusstsein entwickelt", sagt Lennard. &bdquo;Dazu gehört auch Verantwortung gegenüber der Umwelt, das habe ich in meinem ökologischen Jahr gelernt." Bereits seit 2019 ist er in der Grünen Jugend in Herford aktiv und seit einigen Monaten nun bei den Grünen in Hiddenhausen. Für sie kandidiert er bei der Kommunalwahl in Schweicheln-Bermbeck um einen Sitz im Rat. Was sind seine Themen? &bdquo;Ich finde, wir sollten vor allem den regionalen Handel mit Lebensmitteln stärken. Fleisch zum Beispiel wird zur totalen Verwertung teilweise durch halb Europa gefahren und kommt dann irgendwann bei uns in die Regale. Das muss doch nicht sein." Allein der CO2-Ausstoß dafür sei immens hoch und etwas, das man sich wirklich sparen könne. &bdquo;Ich möchte auch das Bewusstsein der Menschen dafür stärken, bei normalen Bauern auf dem Dorf zu kaufen", sagt er. &bdquo;Ich denke, gerade in meiner Generation wissen viele gar nicht, dass es Hofläden gibt, die zu guten Preisen Lebensmittel verkaufen und nicht nur Bioläden, deren Preise sich ja wirklich nicht jedermann leisten kann. Vor allem nicht, wenn man jung und in Ausbildung ist." Lieber ein &bdquo;Local Hero" als ein &bdquo;Global Loser" Aber ist Lokalpolitik nicht ein bisschen zu dröge für jemanden, der sich über die Zukunft eines alternativen Weltwirtschaftssystems – Bitcoins – Gedanken macht? &bdquo;Überhaupt nicht", sagt Lennard. &bdquo;Lieber Local Hero, als Global Loser – lieber lokaler Held, als globaler Versager." Und eins habe er schon sehr früh von seiner Mutter gelernt: &bdquo;In der Kommunalpolitik kann man am meisten für die Menschen im eigenen Ort tun. Deswegen will ich hier etwas bewegen." Nach seiner Schul-Auszeit hat er auch eine deutliche Meinung über Fridays for Future-Bewegung: &bdquo;Die Ziele sind richtig, wir müssen uns viel mehr für das Klima einsetzen. Dafür stehe ich. Aber ständig Schule schwänzen, um zur Demo zu gehen – das geht gar nicht." Aus dem einstigen Schulabbrecher ist ein aufstrebender junger Mann geworden, für den sich wirtschaftliche Ambitionen und das Engagement für Umwelt und Natur nicht ausschließen. Was kann er anderen jungen Menschen raten, die wie er vor einiger Zeit, plötzlich in einer Sackgasse stehen? &bdquo;Das Jahr Auszeit war sehr wertvoll für mich. Ich habe mich da gefunden und kann jedem nur raten, so etwas ebenfalls zu machen. Man lernt so viele Dinge fürs Berufsleben und sieht danach einfach klarer."

Meistgelesen