Herforder Obachlosen-Unterkünfte voll: Wie die Wohnungsnot die Ärmsten trifft

Herford. Das Wesen und der Zustand einer Gesellschaft zeigen sich vor allem an der Tatsache, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Mit diesen Schwächsten hat Bettina Schelkle seit nunmehr 23 Jahren täglich zu tun. Sie leitet den Sozialberatungsdienst der Diakoniestiftung für Menschen in sozialen Schwierigkeiten und Wohnungsnot. Und so manche Entwicklung der letzten Zeit bereitet Bettina Schelkle Sorgen. Nicht zuletzt die Tatsache, dass derzeit alle Unterkünfte voll besetzt sind - und die kalte Jahreszeit gerade erst anfängt. &bdquo;Wir sind für Menschen da, die in unmittelbarer Existenznot sind, für Menschen ohne eigene Wohnung, solche, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind oder auch für Menschen, die sich ansonsten in prekären Lebenslagen befinden“, erklärt Schelkle die Zuständigkeit, die sich auf den gesamten Kreis Herford erstreckt. Dass das Hilfesystem unter Druck ist, machte Bettina Schelkle auch kürzlich in einer Sitzung des Herforder Sozialausschusses deutlich. &bdquo;Im Jahr 2022 wurden 879 Personen von uns beraten. Die Zahlen steigen und hinzu kommt, dass es immer schwieriger und zeitintensiver wird, den Menschen zu helfen, da die Problemlagen komplexer geworden sind, zunehmend Sprachbarrieren die Beratung schwieriger machen und auch immer mehr psychisch belastete Menschen zu uns kommen.“ Seit rund 30 Jahren sei die Personalsituation in ihrem Bereich unverändert gebieben - die Fallzahlen und auch die Problemlagen hätten sich in dieser Zeit aber vervielfacht. Deshalb sei es nötig, die Beratungskapazitäten zu erhöhen. Die Zahl der Menschen, die keine eigene Wohnung haben, steigt Das größte Problem stelle aktuell die Wohnungsnot dar, sagte Bettina Schelkle im Gespräch mit der &bdquo;Neuen Westfälischen“. Besonders kleine, günstige und große, günstige Wohnungen - für Alleinstehende und Familien - seien einfach nicht da. &bdquo;Und die schwierigen Bedingungen des Wohnungsmarktes treffen uns besonders stark. Die Zahl der Menschen, die keine Wohnung haben, steigt.“ In Herford lebten derzeit nach Einschätzung der Wohnungslosenhilfe sieben bis acht Personen auf der Straße. &bdquo;Das sind, besonders in dieser Jahreszeit, sieben bis acht Menschen zu viel“, sagt Schelkle deutlich. Aber es gebe noch eine weitere Gruppe, die nicht zu vernachlässigen sei: &bdquo;Es gibt die Menschen, die keine Wohnung haben, aber bei Freunden und Bekannten untergekommen sind. Das ist eine extrem fragile Angelegenheit und gilt für uns als prekäre Lebenlage - so oder so.“ Eine solche Übergangslösung könne schnell zu Problemen mit dem Vermieter führen und sich schneller in Luft auflösen als gedacht.“ Deshalb rechnen wir auch diese Menschen zu denen, die aktut von Wohnungslosigkiet betroffen sind, und das sind in diesem Monat in Herford rund 100 Personen.“ Die Einsicht müsste her, dass es eine Wohnungsnot gibt Kritik übt Bettina Schelkle an der Politik: &bdquo;Hier in Herford wird der Eindruck vermittelt, dass wir keine Wohnungsnot haben. Aber das stimmt nicht. Die Zahlen, die herangezogen werden, kommen durch ungeeignete Indikatoren zustande.“ Es werde zum Beispiel geschaut, wie viele Wohnberechtigungsscheine (WBS) ausgegeben werden. &bdquo;Das ist ein schlechter Indikator, denn wer beantragt einen WBS? - Menschen, die eine Wohnung in Aussicht haben, bei der einer verlangt wird. Wir haben unter unseren Klienten niemanden, der einen WBS beantragt hat“, so Schelkle. Die Messinstrumente bezüglich der Wohnungsnot müssten dringend besser und somit ehrlicher werden, fordert Bettina Schelkle. Ein sinnvoller Indikator wäre zum Beispiel die Zahl der Rückmeldungen auf Wohnungsangebote - vor allem im günstigen Preissegment. &bdquo;Ich weiß, dass die Politik nur begrenzten Einfluss auf den Wohnungsmarkt hat. Aber es müsste zunächst erst einmal die Einsicht her, dass es ein Problem gibt. Wenn die nicht da ist, sind wir von einer Lösung noch weiter entfernt.“ Auch weit entfern sei man von einer Lösung in der Unterkunft in der Werrestraße in Herford. Auch die 31 Wohneinheiten zur Unterbringung von Menschen in Wohnungsnot sind aktuell voll belegt. &bdquo;Die Lage dort spitzt sich immer wieder zu. Vieles geht kaputt, wird mutwillig zerstört. Unser Hausmeister macht eigentlich jeden Tag immer wieder den gleichen Dreck weg, und viele der Bewohner fühlen sich nicht sicher“, beschreibt Bettina Schelkle. Junge Erwachsene werden - wenn möglich - dezentral untergebracht In 25 der Wohneinheiten sei es inzwischen gelungen, unbefristete Mietverträge abzuschließen mit Menschen, die zunächst kurzfristiger dort untergebracht waren. &bdquo;Diese Menschen hätten sonst auf dem Wohnungsmarkt keine Chance“, sagt Schelkle. Die eingenommenen Mieten würden zwar wieder in das Gebäude gesteckt. &bdquo;Aber der Aufwand für Reparaturen ist so hoch, dass es für eine grundlegende Sanierung nicht reicht.“ Dass die Zustände in der Unterkunft in der Werrestraße so schwierig sind, erklärt die Leiterin des Sozialberatungsdienstes so: &bdquo;Wir haben dort auch viele Besucher, die gar nicht da wohnen und ihre Drogen dort verkaufen. Wir haben hier eine Bündelung von Menschen mit zahlreichen Problemlagen. Das ist nicht optimal.“ Um zu entschärfen, sei eigentlich eine dezentrale Unterbringung der Menschen die bessere Lösung. &bdquo;Das kostet nur wieder mehr Geld und Personal.“ Seit mehreren Jahren habe man wegen dieser Schwierigkeiten ganz bewusst den Bereich der jungen Erwachsenen abgekoppelt. Darum kümmert sich vorrangig Joana Drallmeier. &bdquo;Hier haben sich die Probleme oft noch nicht so verfestigt und wir setzen in dezentraler Unterbringung alles daran, damit scheinbar vorgezeichnete Wege noch unterbrochen werden können“ so Drallmeier. Gerade bei jungen Frauen spiele hier auch der Sicherheitsaspekt eine Rolle. Menschen ohne Obdach leben extrem gefährlich Sicherheit ist generell ein weiteres Thema, das Bettina Schelkle zunehmend Sorgen bereitet. &bdquo;Da ist auf der einen Seite die Sicherheit unserer Mitarbeiter. Zunehmend werden Kolleginnen und Kollegen angegangen - meist ,nur' verbal, aber manchmal eben auch körperlich. Das ist ein Problem. Da geht es uns nicht anders als Feuerwehrleuten oder dem Rettungsdienst." Aber auch über die Sicherheit der Klienten macht sich Bettina Schelkle Gedanken - nicht zuletzt seit dem dramatischen Vorfall im lippischen Horn-Bad Meinberg, wo zwei Jugendliche einen Obdachlosen getötet, ihre Tat gefilmt und in den sozialen Medien geteilt hatten. &bdquo;Menschen ohne Obdach leben in einer extrem gefährdeten Situation. Und es gibt auf der anderen Seite die extreme Entwicklung, dass vor allem jungen Menschen offenbar die Fähigkeit zur Empathie und zum Perspektivwechsel fehlt. Sie wollen um jeden Preis Aufmerksamkeit - und sei es auf Kosten anderer, hilfloser Menschen“, so Schelkle. Auch aus Herford habe es schon Filmaufnahmen in den sozialen Medien gegeben, in denen sie ihre Klienten wiedererkannt habe, wie sie in unwürdigen Situationen gefilmt und verhöhnt wurden. &bdquo;Vor einiger Zeit klingelten häufiger mal Jugendliche in der Unterkunft in der Werrestraße. Und wenn die Bewohner die Tür öffneten, bekamen sie einen Eimer Wasser ins Gesicht geschüttet. Das landete dann auch auf den Plattformen im Internet.“ Die Gesellschaft trägt Verantwortung - auch in Krisen Natürlich trügen die Menschen, die ohne Wohnung seien oder in einer Obachlosenunterkunft lebten, oftmals selbst dazu bei, dass ihre Situation so sei wie sie sei. Das entbinde die Gesellschaft aber nicht von ihrer Verantwortung, betont Bettina Schelkle. &bdquo;Wir haben gerade viele Krisen zu bewältigen, die Lage ist für viele kompliziert. Und die Wohnungslosenhilfe wird sicher nicht die Stelle sein, an der nicht gespart wird“, weiß sie. Dennoch sei aus ihrer Sicht eines ganz wichtig: &bdquo;Wir müssen uns den Menschen zuwenden und uns die ganze Geschichte anhören.“

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