Das Klinikum Herford geht mit klimaschädlichen Narkosegasen neue Wege

Kreis Herford. Narkosegase sind florierte Kohlenwasserstoffe (FKW) und gehören – wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas – zu den langlebigen Treibhausgasen. Damit sind sie stark klimaschädlich. Die Kreiskliniken Herford-Bünde haben inzwischen Wege gefunden, die schädlichen Gase sehr weitgehend zu reduzieren und die verbleibenden zu recyceln. Damit sind sie weiter als die Uniklinik Aachen, die darin eigentlich als Vorreiter gilt. Narkosegase werden seit mehr als 50 Jahren bei Operationen eingesetzt. Ihre positive Wirkung für die Patienten entfalten sie besonders bei großen Eingriffen. Denn sie schützen Gehirn (neuroprotektiv) und Herz (kardioprotektiv) und führen – bei richtiger Anwendung – zu weniger Verwirrtheit nach der Operation als andere Narkosemittel. &bdquo;Außerdem gibt es Untersuchungen, dass Krebs nicht so schnell zurückkommt“, sagt Dietrich Henzler, Professor, Direktor und Facharzt für Anästhesiologie am Klinikum Herford. Alternativ können Patienten ein Narkosemittel auch intravenös (über die Vene), erhalten. Dann handelt es sich meist um das Narkosemittel Propofol, das ein gutes Einschlafen und Aufwachen ermöglicht und nur selten zu Übelkeit führt. Es verursacht zudem keine bekannten Umweltschäden. Wegen der Vorteile von Narkosegasen sei es allein für sich aber keine gute Alternative, sagt Henzler. Bei Narkosen wird nicht wenig CO2 freigesetzt Henzler und sein Team verfolgen bei der Anästhesie ein Verfahren, das dem von Hybridautos ähnelt: Sie kombinieren Narkosegas und -mittel und nutzen dabei die Vorteile beider Narkosearten. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, dass nur wenige Kliniken so konsequent anwenden wie Henzler und sein Team. In den vergangenen Jahren haben sie zwei Narkosegase eingesetzt: Sevofluran und Desfluran. Ein Milliliter Desfluran verursacht dabei vier Kilogramm CO2-Äquivalente, ein Milliliter Sevofluran 0,3 Kilogramm. Anders ausgedrückt: Im Durchschnitt verursacht eine Narkose mit Sevofluran so viel CO2-Äquivalente wie ein modernes Auto, das 8 Kilometer weit fährt. Desfluran ist hingegen so klimaschädlich wie das gleiche Fahrzeug auf einer Strecke von 260 Kilometern Nun scheint es, als könnten Narkosegase allein schon wegen der Mengen keinen großen Schaden anrichten. Doch das ist mitnichten so. Rund 10.000 Mal im Jahr operieren Ärzte am Klinikum Herford. 2017/2018 entwichen dabei etwa 42 Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre und belasteten das Klima. Zum Vergleich: Die Uniklinik Aachen verursachten im gleichen Zeitraum bei doppelt so vielen Operationen 480 Tonnen CO2-Äquivalente. Die Kreiskliniken kombinieren zwei Narkosemittel Schon damals stand das Klinikum also gut da. Henzler und sein Team konnten die Emissionen durch die gleichzeitige Verwendung von Narkosegas und intravenös verabreichtem Narkosemittel jetzt aber noch weiter reduzieren – auf rund 30 Tonnen im Jahr. Eine der großen Sorgen von Patienten könnte dabei sein, dass sie etwas von der Operation mitbekommen. Diese Gefahr besteht jedoch nicht: Die Anästhesisten kontrollieren die Hirnströme der Patienten während der Operation fortlaufend. Und daran könnten sie sehr genau erkennen, wie tief jemand schläft, sagt Henzler. Das EEG-Gerät (EEG steht für Elektroenzephalografie, das Gerät misst die Hirnströme in verschiedenen Bereichen des Gehirns) ist in jedem Operationssaal der Kreiskliniken verfügbar, was übrigens nicht selbstverständlich ist. Denn es geht auch ohne. Henzler erklärt das so: &bdquo;Ich kann ohne Tacho Auto fahren, weil ich ein Gefühl für meine Geschwindigkeit habe. Aber die genaue Geschwindigkeitsbegrenzung halte ich so nicht ein.“ Ohne Narkose-EEG tendierten Anästhesisten dazu, eher etwas mehr als weniger Narkosemittel zu geben. Mit der Folge, dass sich gerade bei älteren Patienten nach der Operation eine Verwirrtheit (kognitive Dysfunktion) zeigt. &bdquo;Davor haben die Patienten mehr Angst als vor Wachheit während der Operation“, sagt Henzler. Die Patienten sind nach der Operation nicht verwirrt Wegen des Monitorings während der Operation seien die Patienten danach &bdquo;sehr schnell wieder wach und nicht verwirrt. Auch alte Leute nicht“. Anfang dieses Jahres haben Henzler und sein Team zudem die Restbestände des stark klimaschädlichen Desfluran aufgebraucht und das Narkosegas auch nicht mehr nachbestellt. &bdquo;Desfluran und Sevofluran haben im Wesentlichen die gleiche Wirkung“, sagt Henzler. Der Direktor der Uniklinik für Anästhesiologie am Klinikum rechnet für die Zukunft daher nur noch mit 15 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr. Schon lange atmen Patienten bei der Operation die ausgeatmete Luft teilweise wieder ein. Dafür wird das Kohlendioxid zuvor aus ihrer Atemluft herausgefiltert. Das Gerät dafür, das sogenannte Dräger-Kreisteil, gibt es schon sehr lange: Entwickelt wurde es ursprünglich, weil Narkosegas teuer ist und die Wiederverwendung der gefilterten Atemluft Narkosegas spart. Inzwischen gibt es aber außerdem technische Lösungen, auch die kleinsten Restmengen Narkosegas-Ausstoß zu verhindern: Dabei wird die Luft, die ausgeatmet wird, nicht an die Umwelt abgegeben, sondern das Narkosegas mit Hilfe eines Kohlefilters aufgefangen und von einer Fachfirma, die darauf spezialisiert ist, recycelt. Das passiert inzwischen am Klinikum Herford. Am Bünder Lukas-Krankenhaus sind die Geräte schon da und werden in Kürze in Betrieb genommen.

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