"Unterhaltsrecht ist nicht mehr zeitgemäß": Geplante Reform stößt im Kreis Herford auf Kritik

Kreis Herford. Unterhaltszahlungen sollen sich in Zukunft stärker daran ausrichten, wie viel Betreuungsarbeit der vom Kind getrennt lebende Elternteil leistet. Bundesjustizminister Buschmann will demnach unterhaltspflichtige Eltern entlasten, die nach der Trennung ihr Kind wesentlich mitbetreuen. Die NW hat bei Experten nachgefragt, was vom Eckpunktepapier zu erwarten ist – deren Antworten zeigen, wo die ganz praktischen Probleme einer Reform liegen könnten. &bdquo;Das Kind darf durch die Änderungen am Ende finanziell nicht schlechter gestellt sein und auch nicht durch juristische Auseinandersetzungen streitender Elternteile in ein weiteres Konfliktfeld hineingezogen werden“, kritisiert Juliane Wlodarczak, Pressesprecherin des Deutschen Kinderschutzbundes. Der Kinderschutzbund leistet in mehr als 400 Orts- und Kreisverbänden – darunter in Herford – Elternberatung, Familienhilfe und Jugendarbeit. &bdquo;Das Unterhaltsrecht ist schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr ganz zeitgemäß“, sagt Rüdiger Meyer-Spelbrink. Der Bundesgeschäftsführer der Väterinitiative &bdquo;Väteraufbruch für Kinder e. V.“ mit seinen 4.000 Mitgliedern und Sitz in Frankfurt ist seit seiner Trennung vor gut 30 Jahren Mitglied in dem Verein, der die Stärkung der Rolle des Vaters als oberstes Ziel hat. "Modell entspricht nicht mehr der sozialen Wirklichkeit" Zur Reformierung und Verbesserung habe es bereits viele Vorschläge gegeben, doch bislang habe sich nichts am gesetzlichen Normfall des sogenannten Residenzmodells &bdquo;Einer betreut, der andere zahlt“ geändert: &bdquo;Dieses Modell, das vor drei Jahrzehnten noch ein anderes war, entspricht heute nicht mehr der sozialen Wirklichkeit vieler getrennt lebender Eltern, auch schon aufgrund der beruflichen Situation“, sagt Meyer-Spelbrink. Aus Sicht des Vorstands sei die Anpassung des Unterhaltsrechts dringend geboten, die Reformpläne Buschmanns &bdquo;grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung“. Juliane Wlodarczak sagt allerdings auch: &bdquo;Bei unserer Arbeit stellen wir oftmals fest, dass die meisten unterhaltspflichtigen Väter gar keinen Unterhalt zahlen.“ In diesen Fällen tritt das Jugendamt in Vorleistung. Ein nicht zahlende Vater kann aber zur Rückzahlung verpflichtet werden. Die Rückgriffsquote sei allerdings &bdquo;unterirdisch gering“, sagt sie. Das wüssten auch die Väter. Burkhard Michler, Leiter des Amtes für Jugend und Familie beim Kreis Herford, betont das Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen. Er sagt aber auch: &bdquo;Die Dauer der Umgangskontakte eines Elternteils an die finanzielle Unterstützung des Kindes zu knüpfen entspricht in keiner Form der Vorstellung der Jugendämter.“ Der Amtsleiter sieht die Gefahr einer hohen Steigerung an Verwaltungsaufwand: &bdquo;Hier hoffen wir einfach auf die Verständigung unter den Eltern.“ Die geplanten Änderungen dürften nicht zu Nachteilen des unterhaltsberechtigten Kindes führen. Schon jetzt sei es so, dass bei strittigen Auseinandersetzungen argumentativ oftmals &bdquo;alles Mögliche ins Spiel gebracht würde“, um den Unterhalt so gering wie möglich zu halten: &bdquo;Schließlich bleiben die Kosten wie Ernährung, Schulausflüge oder die insgesamt gestiegenen Kosten beim überwiegend betreuenden Elternteil ja gleich.“ Komplizierte Unterhaltsverfahren befürchtet Herfords Amtsgerichtsdirektor Bernd Kahre erklärt auf NW-Nachfrage: &bdquo;Wenn die geplanten Änderungen in der bis jetzt vorgelegten Form umgesetzt werden sollten, bedeutet das einen erheblich verkomplizierten Aufwand der Beweisaufnahme in den Verfahren.“ Unterhaltsverfahren würden dadurch nicht einfacher. Dies sei eine sehr unerquickliche Feststellung für die Gerichte, &bdquo;verbunden mit sehr aufwendiger Rechnerei“. Diese Auffassung teilt der Herforder Fachanwalt für Familienrecht, Michael F. Tabarelli: &bdquo;Mit den aktuellen Berechnungsprogrammen zum Unterhaltsanspruch lassen sich die Änderungen nicht errechnen.“ Deshalb ist er sicher: &bdquo;Die Reform wird noch lange dauern – vermutlich bis zum Ende der Legislaturperiode.“ Er sieht die Gefahr: &bdquo;Da, wo es jetzt schon knapp durch die Zahlung von Mindestunterhalt ist, wird es noch weniger.“ Überhaupt sieht Tabarelli im Unterhaltsrecht nur eine &bdquo;Scheingerechtigkeit“. Tabarelli: &bdquo;Das Ziel, eine gemeinsame Elternschaft zu forcieren, ist vom Ansinnen her ok. Aber das Kind muss in beiden Haushalten finanziell gut aufgestellt sein.“ Ohne die Möglichkeit einer profunden Beweisaufnahme in den Unterhaltsverfahren sei die einhellige Meinung der Familienrichter am Amtsgericht Herford: &bdquo;Wie kann das praktikabel sein?“ &bdquo;Wenn eine Stunde mehr oder weniger Umgang unmittelbare Auswirkung auf die knappe Haushaltskasse hat, ist es nachvollziehbar, dass dies zu vermehrten Umgangsstreitigkeiten führt“, ist sich auch Väter-Vertreter Meyer-Spelbrink sicher. &bdquo;Wir mahnen an, für Klarheit zu sorgen“ Und es gibt ganz praktische Fragen: Juliane Wlodarczak meint: &bdquo;Wir mahnen an, für Klarheit zu sorgen, wie der Abschlag von per se 15 Prozent des Unterhalts bei anteiliger Betreuung zustande kommt und wie die Umsetzung genau aussehen soll: Kauft dann der umgangsberechtigte Elternteil auch die Winterjacke oder die benötigten Schulmaterialien fürs Kind, weil dann mehr Umgang stattfindet?“ Meyer-Spelbrinks Ansicht nach ließen sich durch die Einführung des Wechselmodells als gesetzlicher Regelfall – also die paritätische Residenz der Kinder in beiden Haushalten ihrer Eltern – Streitigkeiten und juristische Auseinandersetzungen von Anfang an vermeiden: &bdquo;Die Ausgangsbasis wäre dann für alle Beteiligten – auch für die Kinder – klar: Beide Elternteile sind gleichermaßen zuständig.“ Diese Sichtweise erfordere &bdquo;Toleranz in beiden Richtungen“. Er berichtet, viele der bei ihm ratsuchenden Väter mit Schwierigkeiten bei der Ausübung ihres Umgangsrechts würden &bdquo;finanziell ziemlich am Limit leben“ und hätten das Gefühl, &bdquo;ungerecht behandelt worden zu sein“. Mit einer erwartbaren Zunahme an Konflikten müsse eigentlich auch der Ausbau von Beratungsangeboten einhergehen, was allerdings aufgrund von Sparmaßnahmen vieler Sozialverbände fraglich sei.

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