Leiter des Herforder Jugendamtes räumt nach 15 Jahren seinen Schreibtisch

Herford. Auf dem großen Besprechungstisch steht eine Schale mit Süßigkeiten. &bdquo;Seelentröster“ nennt Andreas Spilker die Auswahl an Mini-Schokoriegeln. &bdquo;Eigentlich sieht es hier nicht so aus“, sagt der Leiter des Herforder Jugendamtes entschuldigend und deutet auf das Regal an der Wand hinter seinem Schreibtisch. Dort haben sich schon einige Flaschen mit guten Tropfen und zahlreiche Grußkarten angesammelt. Offenbar gibt es viele Menschen in Herford, die es nicht verpassen wollen, dem langjährigen Jugendamtsleiter alles Gute zu wünschen für seinen weiteren Weg. Ende des Monats geht Andreas Spilker in den Ruhestand. 15 Jahre ist Spilker Leiter des Jugendamtes, das seinen Sitz seit kurzem auch an der Arndtstraße 8 bis 10 hat. Davor – seit 1989 – war er auch schon beim Jugendamt Herford, zunächst als Leiter der Jugendberatungsstelle und später als stellvertretender Leiter des Amtes. Und davor? &bdquo;Da war ich ein ordentlicher Verwaltungsbeamter in Bielefeld“, erzählt Spilker schmunzelnd. Nachdem er in der Nachbarstadt die Zuständigkeit für das Freizeitzentrum Baumheide übernommen hatte, orientierte er sich allerdings um – eine Tatsache, die nicht alle verstanden. &bdquo;Vor allem mein Vater hatte wenig dafür übrig, dass ich meinen sicheren Beamtenstatus gegen ein Studium der Sozialarbeit eintauschte.“ Fasziniert von fremden Milieus Aus seiner Sicht gab es dafür aber gute Gründe, wie Spilker anschaulich schildert: &bdquo;Ich war zum ersten Mal mit Milieus konfrontiert, die ich nicht kannte. Ich war fasziniert. Und ich war beeindruckt vom Umgang der Sozialarbeiter in Baumheide mit diesen Milieus.“ Nicht zuletzt gehörte auch seine spätere Ehefrau zum Team der Sozialarbeiter in Baumheide. In Bielefeld begann Spilker dann sein Studium. &bdquo;Ich merkte schnell, dass es die Menschen sind, die ich liebe. Die Kommunikation mit ihnen – auch mit den schwierigen.“ Teil seines Studiums war auch eine Weiterbildung zum Märchenerzähler. &bdquo;Das hat mir viel Freude gemacht. Märchen können Türen öffnen. Und schlussendlich ist die Sprache das wichtigste Instrument in der Jugend- und Familienberatung.“ Kaum etwas Erfüllenderes habe es in seinem Arbeitsleben gegeben, als zu erleben, dass Kinder und Jugendliche Vertrauen fassen, dass sie sich öffnen. &bdquo;Wenn Jugendliche merken, dass ihnen zugehört wird, dass sie reden dürfen, dann ist plötzlich die ganze Geschichte da, die sie in sich tragen.“ Kaum etwas sei erfüllender, als wenn Jugendliche Vertrauen fassen Viele dieser Geschichten hat Andreas Spilker in den Jahren beim Jugendamt Herford gehört und viele haben ihn berührt – &bdquo;auch als Menschen“, wie er sagt. Der Start in der Hansestadt sei aber nicht ganz einfach gewesen. &bdquo;Nach den ersten vier Wochen dachte ich, dass ich nicht bleiben würde“, sagt er rückblickend. Alles sei sehr eng miteinander verknüpft gewesen, die Abteilungen der Verwaltung waren für ihn ungewohnt verzahnt. &bdquo;Das war in Bielefeld anders. Aber schon bald wusste ich gerade das zu schätzen: In Herford gibt es kurze Wege und gute Möglichkeiten.“ An einen Rückschlag erinnert sich der heute 65-Jährige in seinem ersten Jahr als Jugendamtsleiter: &bdquo;In diesem Jahr gab es in Herford zwei Kindstötungen – beides Säuglinge. Da fängt man unweigerlich an zu zweifeln. Aber wir haben diese Fälle extern aufarbeiten lassen und heraus kam, dass wir nicht hätten eingreifen können.“ Dennoch zieht Spilker einen wichtigen Schluss aus dem Erlebten: &bdquo;Der Kinderschutz ist der zentralste Baustein unserer Arbeit.“ Auch viele gesellschaftliche Veränderungen hat Andreas Spilker wahrgenommen. Oft komme nur die Botschaft in der Öffentlichkeit an, dass mehr Kinder auffällig seien als früher. &bdquo;Allerdings reagieren Kinder mit ihrem Verhalten auf Lebensumstände. Es ist wichtig, immer das ganze System anzuschauen, in dem ein Kind sich bewegt – mit Eltern, weiteren Bezugspersonen, Kita, Schule und allem, was noch dazu gehört“, so Spilker. Aber in dem ganzen System stehe für ihn als Jugendamtsleiter und auch als Menschen immer das Kind im Mittelpunkt der Betrachtung. Jugendamt häufig negativ besetzt Häufig sei das Jugendamt, das in Herford mit dem Slogan &bdquo;Mit Herz und Kompetenz“ wirbt, für Familien negativ besetzt. &bdquo;Als Drohung kommt es häufig vor, dass gesagt wird, wenn dies und das nicht klappt, dann melde ich das dem Jugendamt und das holt dich dann ab“, weiß Spilker. Aber das Herausnehmen eines Kindes aus dem familiären Umfeld sei immer nur das letzte Mittel. &bdquo;Da sind wir dann wieder beim zentralen Thema Kinderschutz.“ Er und auch jede und jeder seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vergesse niemals seine oder ihre erste &bdquo;Inobhutnahme“, wie Andreas Spilker sagt. &bdquo;Auch ich habe Erinnerungen daran, wie ich ein Kind aus einer Familie abholte und es voller Vertrauen und Erleichterung seine kleine Hand in meine legte.“ Erstes Ziel sei es im Anschluss dann auch immer, dass das Kind irgendwann in seine Familie zurückkehren könne. &bdquo;Aber in manchen Fällen geht das halt einfach nicht“, so Spilker, der Vater von drei Kindern ist. Der Jugendamtsleiter betont vor allem auch die Verantwortung der Eltern. &bdquo;Diese Verantwortung beginnt schon vor der Geburt des Kindes und dauert mindestens bis zu seinem 18. Lebensjahr.“ Und das Jugendamt sei die einzige Behörde – abgesehen von der Polizei in Situationen, in denen Gefahr in Verzug ist -, die dieses Elternrecht zum Wohle des Kindes außer Kraft setzen könne. &bdquo;Ich bin stolz darauf, dass wir das machen“, betont Spilker. Was sich der Märchenerzähler für den Ruhestand vornimmt Wer Andreas Spilker mit so viel Herz von seiner Tätigkeit reden hört, vermag sich kaum vorzustellen, dass er Ende des Monats aufhört. Er werde erst einmal Pause machen, sagt er zu seinen Plänen danach. Und eines klingt sehr nachvollziehbar: &bdquo;Ich bin zwar traurig, die Menschen hier zu verlassen. Aber ich bin auch sehr froh, Verantwortung abgeben zu können.“ Eine Verantwortung, die er gerne an Tanja Stölting übergibt. Die 50-Jährige ist derzeit noch seine Stellvertreterin und übernimmt zum April die Leitung. Kochen werde er mehr, wenn er nicht mehr arbeiten müsse. Und auch wieder aufs Pferd zu steigen sei eine Option. Das ist ein Sport, den er mit 60 Jahren einmal ausprobierte und der ihm viel Freude machte. Aber auf eines freut sich besonders der Märchenerzähler in Andreas Spilker: &bdquo;Ich werde mir auf jeden Fall mehr Zeit für meine zwei Enkelkinder nehmen.“

Meistgelesen