Gefährlicher Einsatz: Oberarzt des Herforder Klinikums operiert im Erdbebengebiet

Kreis Herford. Der Neurochirurg und Oberarzt Mohammad Elhalabi hat sich nach den ersten Nachrichten über die Jahrhundertkatastrophe im türkisch-syrischen Erdbebengebiet im Klinikum freistellen lassen. Er ist spontan nach Nordsyrien aufgebrochen, um dort schwerst verletzten Menschen mit seiner ärztlichen Kunst zu helfen. Sachlich und im Schnelldurchgang berichtet er nun, wie es dazu gekommen ist und auf welche Probleme er gestoßen ist. Als er aber von den Schicksalen von Patienten und Arztkollegen spricht, stockt der Redefluss. Der 35-Jährige ringt um Fassung und kämpft mit den Tränen. Der Arzt hat selbst eine Flüchtlingsgeschichte Elhalabi hat als Palästinenser aus Jaffa seine eigene Flüchtlingsgeschichte. Er ist in Jordanien aufgewachsen und hat in Amman Medizin studiert. Beim Studium hat er auch seine Frau kennengelernt, mit der er einen sechsjährigen Sohn und eine dreijährige Tochter hat. Die Familie lebt in Hamm. Nach Deutschland kam Elhalabi 2013 im Zuge seiner Weiterbildung als Mediziner. Seit April 2022 ist er Oberarzt am Herforder Klinikum. Als Mitglied des DRK Gelsenkirchen und des Deutsch-Orientalischen Ärzteforums hat er schon früher humanitäre Einsätze geleistet, so in der Flüchtlingskrise 2014/15. Als am Montag, 6. Februar, die ersten Nachrichten vom verheerenden Erdbeben im Nahen Osten verbreitet wurden, hat er Kontakt zum Roten Kreuz aufgenommen, doch das hatte hier keinen Einsatz geplant. Am Mittwoch kam die Nachricht in der Chat-Gruppe des Ärzteforums, dass ein Neurochirurg gebraucht werde. Neurochirurgen kümmern sich insbesondere um Schädel-, Hirn- und Rückenmarksverletzungen. Der sechsjährige Sohn hat die Gefahr für den Vater erkannt Chefarzt Rainer Denstorf-Mohr und Bereichsleiter Anas Sinan machten es möglich, dass Elhalabi aufbrechen konnte, und gaben ihm die Botschaft mit auf den Weg, gegebenenfalls auch am Klinikum Patienten aufzunehmen. Auch Elhalabis Frau hatte zuvor zugestimmt. Für die Betreuung der Kinder des Ärzte-Ehepaares sprangen Freunde ein. Vor dem Sechsjährigen war die Gefährlichkeit des Einsatzes nicht zu verbergen. Nordsyrien steht unter türkischer Verwaltung und die Freigabe für eine Einreise für zehn Tage kam schnell. Am Freitag startete der Flug mit sieben Ärzten verschiedener Fachrichtungen nach Istanbul. Weiter ging es mit einem Inlandsflug nach Adana und mit Taxis. 28 Stunden dauerte die Reise bis nach Jenderes. "Einer der mitreisenden Kollegen hat selbst 14 Angehörige verloren. Ihm ist nur der Bruder geblieben", berichtet Elhalabi. "Als ich mit dem Chefarzt des Krankenhauses am Telefon Kontakt aufgenommen habe, war der gerade auf der Beerdigung seiner Frau und seiner Tochter. Er sagte: Ich komme morgen wieder." Schlimmer als in jedem Hollywoodfilm "Es sieht in der Region aus wie nach einem Atomkrieg", sagt der Arzt. "Es ist schlimmer als in jedem Hollywoodfilm." Türkisches Gebiet ist stärker vom Erdbeben getroffen als Nordsyrien, doch ist die Organisation medizinischer Versorgung dort besser. In Nordsyrien leben in erster Linie Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens. 100.000 Menschen leben noch in Zelten in der Umgebung der Stadt Jenderes. Das Ärzteforum hat Zelte für 106 Familien aufgebaut, die vor dem Beben gerade ein festes Dach über dem Kopf bekommen hatten. Es ist keine befriedete Region des Bürgerkriegslandes Syrien. "Überall laufen die Menschen bewaffnet herum", berichtet Elhalabi. Die örtlichen Ärzte hatten in dem Krankenhaus fünf Tage am Stück gearbeitet, am ersten Tag 1.500 Patienten behandelt. Die Ärzte aus Deutschland kamen als Entlastung. Am ersten Einsatztag hat der Neurochirurg einen 40-jährigen Mann mit Hirnblutung - ein Vater von fünf Kindern - behandelt. Elhalabi musste improvisieren, weil das Krankenhaus nicht für solche Eingriffe eingerichtet ist. Er konnte das Leben verlängern, aber am Ende nicht retten. Gestorben ist nach vergeblichen Mühen auch ein Kind, das einen Arm und ein Bein verloren hatte. Im mitgebrachten Schlafsack übernachtet Am zweiten Tag musste ein 25-Jähriger nachbehandelt werden, der eine Querschnittslähmung erlitten hat. Er kann im Rollstuhl weiterleben, hat aber keine Angehörigen mehr und muss in der Trümmerlandschaft zurechtkommen. In einem zweiten Krankenhaus der Stadt operierte Elhalabi fünf Stunden unter Röntgeneinsatz. Für ihn gab es eine Schutzweste, das örtliche Team ging hinaus oder nahm die Strahlung in Kauf. Geschlafen hat der Herforder Arzt in einem Patientenzimmer im selbst mitgebrachten Schlafsack: "Ich war früher Pfadfinder." Es gab Momente der Angst für Mohammad Elhalabi - sei es wegen der anhaltenden Kriegssituation, sei es wegen Nachbeben, bei dem auch im Krankenhaus Wände erzitterten und bröckelten. Die Menschen, die das große Beben mitgemacht haben, sind traumatisiert, schlafen im Auto, selbst wenn ihre Häuser noch stehen. Jetzt gibt es Diagnosen aus Herford Warum hat sich Elhalabi in Gefahr begeben? "Warum hat man schließlich Arzt gelernt?", fragt er. "Das Lächeln eines Menschen, dem man geholfen hat, reicht." Würde er den Einsatz noch einmal wagen? "Im Prinzip ja", sagt Elhalabi. "Dort im Gebiet vielleicht aber nicht, weil die Infrastruktur, wie Instrumente für meine speziellen Eingriffe, nicht da ist. Da macht man schnell falsche Hoffnung." Er engagiert sich dennoch aus der Ferne, indem er über das Internet bei Diagnosen unterstützt und örtliche Kollegen fortbildet. Der Verein, für den Mohammad Elhalabi ehrenamtlich im Einsatz ist, sammelt Spenden für Medikamente, Nahrung und Kleidung. Informationen gibt es unter www.deutsch-orientalisches-aerzteforum.de

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