Was für und was gegen Schulnoten spricht - zwei Meinungen

Herford. Am Freitag gab es Halbjahres-Zeugnisse. Ein Ereignis, das oftmals in der Folge Diskussionen und auch Fragen in Familien aufwirft. Eine Fünf in Mathe? Wie konnte das passieren? Und was machen wir jetzt, damit die Note bis zum nächsten, versetzungsrelevanten Zeugnis besser wird? Das heute in Deutschland übliche sechsstufige Zensursystem von eins, sehr gut, bis sechs, ungenügend, wurde 1938 eingeführt. Es hat viele Kritiker und dennoch wird bis heute fast überall daran festgehalten. Hier eine Pro- und eine Kontra-Meinung zu Schulnoten. Natalie Gottwald, Redakteurin der NW-Redaktion Herford, meint: Noten bereiten aufs Leben vor Klar ist eine Fünf unter der Klassenarbeit kein Vergnügen. Aber eines zeigt sie ganz deutlich: Die Leistung muss besser werden. Die Gegner des Benotungssystems meinen gerne, Schulnoten würden zu viel Druck erzeugen, dem Kind schaden, es demotivieren. Auf der anderen Seite kann eine schlechtere Note auch dazu führen, dass ein Kind gerade durch sie motiviert wird, besser werden zu wollen. Man muss sich außerdem fragen, was die Kinder nach der Schule, im späteren Alltag erwartet: Beurteilungen sind Teil des Lebens. Da kann es nicht schaden, frühzeitig zu lernen, damit umzugehen und darauf konstruktiv zu reagieren. Auch die Einordnung der eigenen Leistung wird mit Noten einfacher. Denn meistens wissen die Kinder selbst ganz genau, warum ihr Sitznachbar, der sich in der Deutschstunde mindestens zehn Mal meldet, eine bessere Note hat, als derjenige, der sich eben nicht einbringt. Nicht die Noten sind das Problem Die Schulnote ist eine Momentaufnahme – nicht mehr und nicht weniger. Sie ist nicht in Stein gemeißelt und kann durch eigenes Zutun verbessert werden. Und um zum Argument der Gegner zurückzukommen, dass Noten zu viel Druck erzeugen: Da sind in aller erster Linie Eltern, aber auch Lehrer gefragt, diesen Druck nicht im Wortsinn erdrückend, sondern motivierend zu gestalten. Eine Fünf ist kein Weltuntergang. Steht sie einmal auf dem Zeugnis, können alle Beteiligten konstruktiv überlegen, wie das Kind von der Note wieder runterkommt. Gespräche und Lösungswege müssen zwingend auf die schlechte Note folgen. Verständnis und Hilfestellung sind angesagt. Eine Analyse der Stärken und Schwächen des Kindes ist außerdem hilfreich, denn schließlich kann nicht jeder Mensch alles können. Schimpfen und Drohen sind kontraproduktiv. Diese Reaktionen von Eltern sind es nämlich, die den Druck erzeugen. Die Note selbst ist nicht das Problem, sie ordnet die erbrachte Leistung nur ein. Wünschenswert ist, dass Kinder, die jetzt eine schlechte Note auf dem Zeugnis haben, ein bisschen Trost und Zuspruch bekommen. Und dann ist ein halbes Jahr Zeit, die Stärken zu feiern und gezielt an den Schwächen zu arbeiten. Und Schulnoten sind ein guter Indikator, eben diese beiden Seiten besser einschätzen zu können. Susanne Blersch, Redakteurin der NW-Redaktion Herford, meint: Wir brauch eine Systemänderung Gute Note gleich gute Zukunftsperspektive: Diese Denkweise hält sich hartnäckig. Eine gute Note kann motivieren, eine schlechte übt im ungünstigsten Fall vor allem Druck aus, kann zu Stress führen und zur Angst vorm Scheitern. Dabei fehlt es der Note an Aussagekraft, sie sollte nur eine von mehreren Maßnahmen der Bewertung sein. Die Entwicklung eines Kindes wird in einer Note nicht berücksichtigt. Sie stellt lediglich eine Momentaufnahme dar. Hinzu kommt die Subjektivität beim Vergeben von Noten. In Studien wurde nachgewiesen, dass Lehrkräfte, die ein und dieselbe Klassenarbeit vorgelegt bekommen, diese unterschiedlich bewerten. Wer jetzt an einen Englischaufsatz oder eine Gedichtanalyse denkt, für den klingt das nicht weiter verwunderlich. Doch auch in der Mathematik kommt das vor, weil etwa der Lösungsweg differenziert bewertet wird – oder eben nicht. Auch die Intention der Lehrkraft, Sympathien und Tagesform spielen laut Experten eine Rolle. Noten sind nicht objektiv und nicht gerecht Befürworter von Noten schätzen die Vergleichbarkeit, doch genau hierin liegt auch ein großes Problem. Noten werden nämlich immer im Vergleich zu den Mitschülern vergeben. Objektiv ist das nicht. Auch nicht gerecht. Es hilft dem Schüler nicht zu erkennen, wie er sich verbessern kann. Um auf Noten verzichten zu können, müsste sich das ganze System ändern. Eine Analyse des Wissensstandes wäre viel effektiver. Regelmäßige Gespräche zwischen Lehrer und Schüler sind wichtig, um eine Lernentwicklung zu erreichen. Damit würde auch eine andere Lernkultur einhergehen. Schüler sollten individuell betrachtet, ihre Fähigkeiten ausgelotet und danach ein Lernziel erarbeitet werden. Nicht alle können Pilot oder Gehirnchirurg werden – das ist aber auch nicht schlimm. Es gilt, die Lust am Lernen zu fördern und sie durch schlechte Noten ohne Begründung nicht im Keim zu ersticken. Dafür brauchen Lehrkräfte Zeit und kleinere Klassen, das würde ihnen die Möglichkeit geben, Schüler individuell zu fördern und zu fordern. Ihre Talente und Fähigkeiten auszuloten und diese gezielt zu entwickeln. Die Lust an der Schule muss das oberste Ziel sein. Denn nur so kann die Schülerin oder der Schüler gestärkt ins Leben entlassen werden.

Meistgelesen