Abschied vom Marta nach 111 Ausstellungen

Herford. &bdquo;Ich werde wirklich bis zum letzten Tag hier sein", sagt der scheidende Marta-Direktor Roland Nachtigäller. Dann werde vermutlich kaum jemand im Haus sein und er Zeit haben, sich nach 13 Jahren in Ruhe aber ohne Sentimentalität vom Marta zu verabschieden. Für die Übergabe an seine Nachfolgerin Kathleen Rahn sei alles vorbereitet. &bdquo;Ich bin froh, dass sie schon zum 1. Februar anfangen kann und die Kontinuität gewährleistet ist", sagt er. Rumpeliger Start Sein eigener Start verlief allerdings ganz anders. Offiziell hatte er die Leitung des Marta ab Februar 2009 übernommen, war aber schon seit Anfang November 2008 neben Jan Hoet vor Ort. &bdquo;Zwei Direktoren in einem Haus waren keine gute Idee", sagt er rückblickend. Auch der Start sei eher rumpelig gewesen. &bdquo;Hoet hatte kaum etwas hinterlassen, so dass wir fast aus dem Stand die erste Ausstellung ’Nullpunkt. Nieuwe German Gestaltung’ mit dem belgischen Designkritiker Max Borka entwickeln mussten", erinnert er sich. Kompetenz im Team Die Ausstellung sei zum Glück ein Erfolg gewesen. Danach habe er begonnen, das Programm des Marta im &bdquo;Rückgriff auf die gemeinsame Kompetenz" im kuratorischen Team zu entwickeln. Bis heute werden Themen und Ausstellungsideen im kuratorischen Team gemeinsam entwickelt. &bdquo;Am Ende haben dann ein oder zwei Kolleginnen die Fäden in der Hand", sagt er. Daher stehe auch das Ausstellungsprogramm für das Jahr 2022 mit den verteilten Verantwortlichkeiten bereits. So habe seine Nachfolgerin Zeit, sich einzuarbeiten und das Marta als Inspirationsquelle auf sich wirken zu lassen. Marta ist akzeptiert Er gehe davon aus, dass Rahn sich bemühen werde, das Haus weiter in Richtung Stadtgesellschaft zu öffnen. &bdquo;Als ich angefangen habe, stellten sich sich mir die Menschen als frühere Marta-Gegner oder Marta-Befürworterinnen vor. In meiner Wahrnehmung spielt diese Spaltung heute keine Rolle mehr", sagt er. &bdquo;Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die Herford ohne Marta nicht mehr kennt und mit Kita oder Schule öfter hier gewesen ist. Für die ist das Museum fest mit ihrer Biografie verbunden." Einladung zur Debatte Viele davon hätten inzwischen die Offenheit, selbstverständlich ins Museum zu gehen und sich auf das Gezeigte einzulassen. &bdquo;Natürlich gehen einige, wenn ihnen nicht gefällt, was sie sehen. Wenn sie aber zur nächsten Ausstellung wiederkommen und sich dann begeistern lassen, haben wir alles richtig gemacht. Schließlich wollen wir zur Auseinandersetzung über Kunst und gesellschaftliche Themen anregen. Wir laden immer wieder dazu ein, sich eine eigene Meinung zu bilden." Leuchtturm strahlt noch Rund 70 Prozent der Besucher kommen aus mehr als 50 Kilometern Entfernung, der Rest aus dem näheren Umkreis. Die überregionale Strahlkraft des &bdquo;Leuchtturms" sei weiterhin gegeben, die Wahrnehmbarkeit für ein &bdquo;Museum in der Peripherie" immer noch enorm. Dazu tragen die thematischen Ausstellungen, die in Deutschland einmalige Einbeziehung von Design und Architektur und deren Befragung durch die Kunst und die Gehry-Architektur bei: &bdquo;Die Räume bieten unglaubliche Möglichkeiten zur Verwandlung so dass man manchmal denkt, es handele sich um ein ganz neues Museum." Großes Medieninteresse Ungebrochen sei das Medieninteresse. &bdquo;Zahlenmäßig kommt das Marta so oft vor wie früher", sagt Nachtigäller. &bdquo;Allerdings haben sich mit der Medienlandschaft auch die Formate verändert. Die klassische Ausstellungsbesprechung findet immer seltener statt. Trotzdem sind wir oft und gut etwa als Ausstellungstipp vertreten." Neue Formate wie unser Youtubekanal oder der Instagram-Auftritt ermöglichen eine direkte Diskussion mit unserer Community." Die unglaubliche Reichweite des Podcasts &bdquo;Die Leichtigkeit der Kunst" zur Ausstellung &bdquo;Schimmer und Glanz" habe ihn wirklich überrascht." Werden die digitalen Kanäle dazugezählt, sei die überregionale Wahrnehmbarkeit des Museums eher gewachsen. Manchmal passt alles &bdquo;Warum Journalisten auf manche Ausstellungen anspringen und auf andere nicht, lässt sich kaum vorhersagen", sagt Nachtigäller. &bdquo;Auch die Interessen von Medien und Besuchern unterscheiden sich. Manchmal fällt beides glücklich zusammen." Die Ausstellung &bdquo;Bucky Fuller & Spaceship Earth" 2011 war so ein Glücksfall. Die Besprechungen waren euphorisch, das Publikumsinteresse enorm. Die Begegnung mit dem britischen Star-Architekten Norman Foster 2011 gehört für Nachtigäller zu den Höhepunkten seiner Zeit in Herford. Auch Jonathan Meese, habe ihn 2014 mit seiner Sammlung, die er in Ausstellung &bdquo;Freundliche Übernahme" zeigte, beeindruckt. Zu Nachtigällers persönlichen Ausstellungsfavoriten gehört die Ausstellung ’Die Realität... ist absurder als jeder Film’. Die präsentierte 2019 Filme israelischer Künstler. 13 Jahre, 1.800 Künstler &bdquo;Genau 111 Ausstellungen haben wir in meiner Amtszeit präsentiert", sagt der Marta-Direktor. &bdquo;Die Zahl hat mich selbst überrascht, zumal wir zuletzt nur sechs große Ausstellungen pro Jahr präsentiert haben." Zu Beginn sei die Frequenz in der Tradition Hoets höher gewesen. Mitgezählt sind auch Ausstellungen wie die zum Recycling-Designpreis, 25 Jahre Plattenlabel &bdquo;ACT" oder Marta-SMS in den Umbaupausen des Museums. &bdquo;Mehr als 1.800 Künstler und Künstlerinnen waren in meinen 13 Jahren in den Ausstellungen vertreten." Das liegt auch daran, dass das Marta selten monografische, sondern oft thematische Gruppenausstellungen präsentiert. Oft seien junge Künstlerinnen und Künstler am Anfang ihrer Karriere dabei gewesen. Thema Digitalisierung &bdquo;Ganz vorne ist das Marta beim Thema Digitalisierung. Corona hat dort Vieles zusätzlich beschleunigt", sagt Nachtigäller. Im Moment stelle er eher eine Müdigkeit beim Publikum fest, was die Begeisterung für virtuelle Ausstellungsrundgänge, Vorträge und Ähnliches angeht. &bdquo;Nach Corona wird es eine große Aufgabe sein, herauszufinden, wie viel Digitalisierung sinnvoll ist. Dabei sollte es nicht nur um technische Möglichkeiten, sondern um die Konzepte gehen", sagt er. Museen als Orte bleiben &bdquo;Ganz sicher wird es nicht ohne ein Museum als physischen Ort gehen, aber auch hybride Formate wie Vor-Ort-Veranstaltungen plus Stream wird es wohl weiter geben." Aus den Erfahrungen der letzten Jahre wisse er aber auch, dass das Publikum gesehen, wahr- und ernstgenommen werden möchte. &bdquo;Möglichkeiten zur Interaktion, Ansprechpartner in der Ausstellung oder die Gelegenheit Spuren zu hinterlassen sind den Menschen wichtig", sagt er. &bdquo;Auch für junge Menschen ist ein Museum ein Ort, um zur Ruhe zu kommen und sich Zeit für die Betrachtung neuer Dinge zu nehmen. Auch dafür muss ein Museum in der immer schneller werdenden Zeit mit ihrem Populismus ein Ort sein." Kultur ist notwendig Kultur – und das auch für Angebote wie Stadtbibliothek, Musikschule, Theater oder Philharmonie – sei kein Luxus für wenige, sondern leiste wichtige soziale und pädagogische Arbeit. &bdquo;Dafür kann gar nicht genug Geld ausgegeben werden", ist er überzeugt. &bdquo;Marta war und ist nie überbesetzt, sondern die Kolleginnen und Kollegen arbeiten oft über ihre vereinbarte Arbeitszeit hinaus, weil sie für eine Sache brennen." Neue Aufgabe reizt Nachtigäller hat inzwischen alles für die Übergabe vorbereitet und blickt nach vorn auf seine neue Aufgabe als Geschäftsführer bei der Stiftung Insel Hombroich in Neuss. &bdquo;Das klingt trocken, ist aber eine kreative Mammutaufgabe. Es geht darum, das gesamte Ensemble mit Landschaftspark, mehreren Gebäuden, dort ansässigen Musikern und Autoren und begleitendem Programm sichtbarer und für die Menschen zugänglicher zu machen", sagt Nachtigäller. Herford nie Endstation Für ihn sei immer klar gewesen, dass Herford nicht die letzte Station vor der Rente sein sollte. Es habe sowohl vor und nach seiner vorzeitigen Vertragsverlängerung in Herford 2017 Kontakte zu verschiedenen Kultureinrichtungen gegeben. Die habe er zunächst nicht weiter verfolgt, und 2020 und 2021 habe ihn Corona enorm beschäftigt. Schließlich habe er ein Museum durch die wechselvollen Monate bringen müssen und mit ihm ein ganzes Team mit allen Nöten und Ängsten, die die Zeit für alle gebracht habe. &bdquo;Dass der Wechsel genau jetzt passiert, passt", sagt er. Er sei bereits regelmäßig in Hombroich, seine Frau werde folgen und die Tochter nach dem Abitur bereits ausgezogen.

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